Tom Aspacher
Die Flucht des Feuerteufels
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Inhaltsverzeichnis
Titel Tom Aspacher Die Flucht des Feuerteufels Dieses ebook wurde erstellt bei
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Tag 19
Impressum neobooks
Der faulige Knoblauchgestank aus dem Wageninneren haute ihn beinahe um. Richard Holsbein hielt die Luft an, stieg in sein Auto und warf erst einmal den angekauten Döner raus, den sein Kumpel in der Nacht zuvor auf dem Armaturenbrett hatte liegen lassen. Dann setzte er zurück, wobei er hektisch sämtliche Fenster öffnete. Gerade als er einen Kontrollblick in den Rückspiegel werfen wollte, kam sein angerosteter Renault Espace mit einem lauten Knall zum Stehen. Holsbein stieg aus. Er sah sich benommen um. Ein schwarzer, ziemlich neuer SUV war ihm hinten reingekracht. Wer am Steuer saß, konnte er durch die abgedunkelte Frontscheibe nicht richtig erkennen. Nur dass sich der Airbag nicht geöffnet hatte. Es konnte also nicht so schlimm sein.
»Hallo? Alles klar bei Ihnen?«, erkundigte er sich vorsichtig.
Eine etwa dreißigjährige Brünette stieß die Wagentür auf und stampfte wütend auf ihn zu. »Sind Sie schon frühmorgens besoffen?«, schrie sie ihn an und musterte kopfschüttelnd die nicht allzu große Beule an ihrem Auto.
Holsbein schloss nicht aus, dass sich noch Restalkohol in seiner Blutbahn befand. So einfach wollte er sich aber nicht in die Opferrolle fügen, zumal sie das seiner Meinung nach ruhig ein wenig netter hätte sagen können. »Ich frage mich schon, wer da besoffen ist«, setzte er zur Gegenwehr an. »Wer ist denn wem reingedonnert?«
Die Brünette war damit alles andere als einverstanden und begann einen wutentbrannten Monolog über Verkehrsregeln im Allgemeinen und das Vortrittsrecht im Speziellen. Sie redete und redete und wollte einfach nicht aufhören. Holsbein mochte wütende Frauen eigentlich überhaupt nicht, er fand die Brünette aber doch recht attraktiv. Vielleicht waren die Hüften ein wenig knochig. Aber sie hatte nette Titten und ein hübsches Gesicht mit hochstehenden Wangenknochen. Slawischer Typ, bemerkte er mit Kennerblick. Das Beste aber waren ihre Gummibootlippen. Er stellte sich vor, was sie damit alles tun konnte und grinste genüsslich. Doch dann begannen die Lippen in ein Handy zu sprechen. Die Brünette hatte die Stadtpolizei angerufen und ließ sich nun zum Chef durchstellen. »Das ist nämlich mein Vater«, zischte sie ihm zu.
Holsbein war nicht besonders scharf darauf, am Morgen nach einer durchzechten Nacht noch eine Diskussion mit den Bullen zu führen. Er riss sich endgültig von diesen großen weichen Dingern los und gab der Brünetten zähneknirschend zu verstehen, dass er für alle Kosten aufkommen würde. Der Tag fing ja gut an.
»Bist spät dran.«
»Ich hatte Ärger, so eine blöde Kuh ist mir mit ihrer Protzkarre voll hinten reingefahren. Die war am frühen Morgen schon besoffen.« Holsbein ließ sich in seinen Stuhl fallen und startete seinen Computer auf. Püppy, die Redaktionspraktikantin, war offenbar schon lange hier. Zwei halbherzig ausgedrückte Teebeutel lagen auf ihrem Schreibtisch und die Literflasche mit Bio-Kokoswasser war fast leer.
»Wo ist Kathrin?«, wollte er wissen.
»Die ist schon ausgerückt.«
»Und der Chef?«
»Der auch.«
Holsbein kratzte sich am Hinterkopf. »Was ist denn los, dass die schon im Aktionsmodus sind?«
»Der Brandstifter hat wieder zugeschlagen.«
Ein Brandstifter terrorisierte die Stadt Amsheim nun seit bald zwei Wochen. Angefangen hatte es am frühen Sonntagabend vor den Sommerferien, als der Abfalleimer einer Bushaltestelle in Feuer aufging. Die freiwillige Feuerwehr rückte aus. Es gab Sachschaden von ein paar Tausend Franken. Und der »Amsheimer Bote« titelte am Morgen darauf: »Vandalen zünden Bushaltestelle an – Polizei sucht Zeugen«.
In den folgenden Tagen schlug der Brandstifter immer wieder zu. Einmal waren es ein paar Zeitungsbündel vor einem Kiosk, dann die Gerätebox des Kleingartenvereins oder der weiß getünchte Zaun des Stadtpräsidenten Valentin Ehrbar, was im Ort für einige Aufregung sorgte, zumal seine politischen Gegner sofort einen versuchten Versicherungsbetrug witterten. Ehrbar wiederum sah darin eine Tat seiner Widersacher, von denen es nicht wenige gab. Beide Seiten durften sich im »Amsheimer Boten« ausgiebig aufregen.
Der bisherige Höhepunkt aber war der abgebrannte Hühnerstall von Bauer Müller. Holsbein war damals als Erster vor Ort gewesen, schließlich wohnte er gleich ein paar Meter vom Tatort entfernt. Er schaffte es sogar noch, die Hühner zu fotografieren, wie sie mit ihrem qualmenden Gefieder panisch im Gehege herumjagten. Der Redaktionsleiter hatte jedoch Skrupel gehabt. Er ließ lediglich das Bild abdrucken, auf dem der Bauer mit Betroffenheitsmiene auf die Überreste des Hühnerstalls zeigte. Holsbein hätte die rauchenden Hühner bevorzugt.
Ansonsten schöpfte der »Amsheimer Bote« aber aus den Vollen. Der »Feuerteufel«, wie er längst genannt wurde, bestimmte die Berichterstattung. Selbstverständlich befragten die Redakteure nach jedem Brand jeweils sämtliche verfügbaren Nachbarn, die mit jedem Vorfall verängstigter reagierten. Denn allen im Ort war längst klar: Es konnte jeden treffen. Der Chef der Stadtpolizei, Linus Huber, kam mehrmals im »Boten« zu Wort und versicherte, alles Menschenmögliche zu tun. Das allerdings wurde spätestens nach dem dritten Brand in zahlreichen Leserbriefen stark angezweifelt. Des Weiteren berichteten die Feuerwehrleute umfassend über ihre Einsätze. Ein Sicherheitsexperte gab Tipps, wie sich die Einwohner vor dem Feuerteufel schützen konnten. Und der Leiter der neu gegründeten Bürgerwehr ließ sich mit Pfefferspray und Schäferhund in selbstbewusster Pose ablichten. Überschrift: »Wir werden ihn kriegen!«
Der Redaktion des »Amsheimer Boten« kam die Nachrichtenflut ganz gelegen. Ansonsten mussten sich die Journalisten in der Saure-Gurken-Zeit mit der Neueröffnung von Nagelstudios und Geschenkboutiquen herumschlagen. Nun aber konnte sich der als Käseblatt verschriene »Bote« als richtige Zeitung präsentieren, aus der landesweit die Medien zitierten. Der Chefredakteur wurde mehrmals vor die Kameras verschiedener Fernsehstationen gezerrt und durfte seine Expertenmeinung kundtun. Und Holsbein fand, dass er dabei jedes Mal voll dämlich rüberkam. Das leichte Lispeln, die zu breite Krawatte, das runde Babygesicht und darauf die Baskenmütze, welche die Stirnglatze verdecken sollte – so was ging einfach nicht. Und schon gar nicht bei hundertdreißig Kilo Lebendgewicht. Holsbein hätten keine zehn Pferde dazu gebracht, seinen Kopf in eine Kamera zu halten. Für ihn war ohnehin das Wichtigste, dass die Angeber von den »Nordost-Nachrichten« immer einen Schritt hinterherhinkten und schon mehrmals unterwürfig auf der Redaktion des »Amsheimer Boten« anrufen mussten wegen irgendwelcher Informationen oder Kontakte. Verwöhnte Bubis waren das, mit ihren beschrifteten Redaktionsautos, den professionellen Fotografen, der Kantine mit den drei Menüs zur Auswahl – eines davon vegetarisch – und dem großen Verlagshaus im Rücken. Die hatten nach Holsbeins Ansicht die eine oder andere Lektion in Demut verdient, und so ließ er sie jeweils gerne ein wenig zappeln, bis er ihnen eine Telefonnummer rausrückte.
»Ach ja …«, gähnte Püppy und drückte auf einem der matschigen Teebeutel herum. »Der Chef hat gemeint, du solltest dich doch auch mal am Tatort blicken lassen.«
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