Das Land ringsum war dünn besiedelt, es mochte also Tage dauern, bis die Nachricht von der Vernichtung Warma’s die anderen großen Städte erreichen würde.
Die Heerschaar der Orks war nach Südosten abgezogen, vermutlich in Richtung Jukno.
Die Hauptstadt des nördlichen Königreiches war angeblich besser geschützt, als es Warma gewesen war, doch Gai zweifelte daran, dass sich dieser brutal vorgehenden Horde von Unholden irgendetwas lange widersetzen konnte.
Ihn hungerte und der Frost ließ seine Zähne klappern vor Kälte.
Sein Blick fiel auf einen Haufen Reisig, der neben dem Baum lag.
Hätte er doch wenigstens Feuerstein und Stahl bei sich, ging es ihm durch den Kopf, so hätte er zumindest ein Feuer entzünden können, um sich zu wärmen, aber in den Trümmern der Stadt hatte sich wirklich nichts Brauchbares mehr finden können.
Verärgert wischte er mit der Hand durch die Luft, als wolle er damit versuchen, seine Gedanken zu vertreiben.
Ein Knall ertönte, Funken sprühten aus dem losen Reisighaufen, und wenige Sekunden später stand dieser in Flammen.
Erschrocken und überrascht zugleich sprang Gai auf, stolperte über den Baum und fiel rücklings zu Boden. Dank seiner guten Reflexe war er aber sofort wieder auf den Beinen und betrachtete das prasselnde Feuer zu seinen Füßen.
Hier war Magie am Werk, ging es ihm durch den Sinn.
Nichts anderes hätte die feuchten Äste so schnell entzünden können, wenn nicht Zauberei.
Aber wie war das möglich?
Er selbst hatte nie Anzeichen für eine magische Begabung bei sich entdecken können, wie also war er dazu plötzlich in der Lage?
Gai kletterte über den Baum und hockte sich vor das Feuer, um sich daran zu wärmen.
Er war dankbar für dieses kleine Wunder, doch gleichzeitig spähte er misstrauisch hinter und um sich herum in den Wald, als würde er erwarten, dass schon im nächsten Moment jemand hervor treten würde.
Doch er war allein, wie er feststellen musste.
Also, dachte Gai, muss ich dieses Feuer entfacht haben. Aber wie?
Er hielt die Hand über die aufflackernden Flammenzungen und sagte:
>>Werde kleiner, aber verlösche nicht. <<
Augenblicklich sank das Feuer in sich zusammen und wurde zu einem matten Glimmen zwischen den dünnen Ästen.
Verblüfft betrachtete Gai seine Handfläche.
>>Werde größer, << sagte er und hob die Hand über dem Feuer etwas.
Die Flammen begannen zu zucken und wuchsen wieder aus dem Reisighaufen heraus.
Gai lehnte sich mit dem Rücken an den umgestürzten Baum und starrte auf das langsam brennende Holz.
Er konnte nicht begreifen, wie er plötzlich Zauber bewirken konnte, doch er spürte, wie sich Erschöpfung in seinem Körper breit machte.
Müde zog er die Kapuze seines Umhanges über den Kopf, verschränkte die Arme vor der Brust und schlief ein.
Ein Knirschen und Knacken im Unterholz riss ihn aus seinem traumlosen Schlaf.
Er hatte jedwedes Zeitgefühl verloren, wusste nicht, wie lange er schlafend am Feuer gesessen hatte und sah zum Himmel hinauf, um die Tageszeit am Stand der Sonne zu erfahren.
Es musste später Nachmittag sein, denn die grelle Scheibe stand schon recht tief.
Wieder ertönte ein Knirschen, dann hörte er jemanden rufen:
>>Heda, Fremder, darf ich mich zu euch gesellen? <<
Gai war schlagartig wach und auf den Beinen. Während seine Hand nach dem unter dem Mantel verborgenen Dolch griff, sah er sich aufmerksam um.
Einige Schritte entfernt von ihm stand ein Karren, der von einem zotteligen Kaltblüter gezogen wurde. Auf dem Kutschbock saß ein rundlich aussehender Mann in einem dicken Fellmantel, eine graue Wollmütze auf dem Kopf tragend.
Der Mann schien nicht mehr der Jüngste zu sein, denn sein Gesicht war runzlig und wettergegerbt.
Seine Knollnase schimmerte rötlich, doch in der Stimme des Fremden lag kein bedrohlicher Unterton.
>>Ich habe euer Feuer gesehen, << verkündete dieser, >>und dachte, dass etwas Gesellschaft euch wohl nicht stören würde. Dürfen Catus und meine Wenigkeit uns an eurem Feuerchen wärmen? <<
Gai entspannte sich, doch seine Finger hielten weiter den Griff des Dolches unter dem Mantel umschlossen.
>>Wer seid ihr und wo ist euer Begleiter namens Catus? , << fragte er.
Der Fremde grinste und deutete mit beiden Händen auf sein Pferd.
>>Dieser Prachtbursche ist Catus, << verkündete er, >>und mich nennt man Oblivan.
Ich bereise die nördlichen Lande und kaufe Felle für die Schneider in den südlichen Provinzen.
Aber ich handle nicht nur damit, sondern biete auch andere Dinge für den täglichen Bedarf an.
Wir sind schon seit den frühen Morgenstunden unterwegs und mich friert doch etwas, also dürfte ich mich zu euch gesellen? <<
Gai nickte und setzte sich wieder neben das Feuer.
Oblivan klatschte zufrieden in die Hände und kletterte von seinem Wagen herunter.
Dies schien ihm nicht leicht zu fallen, immer wieder stöhnte und ächzte er und verfluchte seine alten, steifen Glieder. Er lockerte die Zügel von Catus, befreite ihn vom Karren und führte ihn zum Feuer hin, wo er die Zügel um einen dicken Baum schlang und verknotete.
Mit einem Seufzer der Erleichterung sank er schließlich neben Gai auf den Baum nieder und zog sich die Mütze vom Kopf.
Oblivan war ein beleibter Mann, der es dem Aussehen nach verstand, es sich gut gehen zu lassen.
Als er einen Schlauch unter seinem Fellmantel hervorzog und den Verschluss öffnete, wurde die Luft erfüllt vom Duft würzigen Weines.
Daher auch die rote Nase, dachte Gai.
>>Gegen diese Kälte bedarf es des richtigen Getränkes, meint ihr nicht auch? , << verkündete Oblivan.
Gai erwiderte nichts, woraufhin Oblivan nur mit den Schultern zuckte und einen großen Schluck zu sich nahm.
>>Was verschlägt euch in diese götterverlassene Einöde, junger Freund? , << fragte er dann.
Gai überlegte kurz, dann antwortete:
>>Ich bin auf Wanderschaft. << Er hoffte, dass seine Antwort möglichst unverbindlich, unverfänglich war und Oblivan von weiteren Fragen Abstand nehmen würde, doch der Händler schien durch seine Worte keineswegs entmutigt worden zu sein.
>>Ja, wenn man jung ist, da zieht es einen in die Fremde, << verkündete dieser im Tonfall des Fachmanns.
>>Mir ist es früher nicht anders ergangen.
Heute reise ich zwar immer noch viel, aber auch nur, weil mein Geschäft es von mir verlangt.
Ich bin auf dem Weg nach Warma, denn dort kann man zu dieser Jahreszeit exzellente Felle zu guten Preisen erwerben. Kennt ihr die Stadt? <<
Gai zögerte, ein Kloß schien ihm plötzlich im Halse zu stecken.
Dann nickte er und antwortete:
>>Ich stamme aus Warma, aber eure Reise dorthin solltet ihr abbrechen und lieber umkehren. <<
Oblivan ließ den Weinschlauch sinken und sah ihn verdutzt an.
>>Warum denn? , << fragte er.
>>Ich habe bisher immer gute Geschäfte dort machen können, selbst in mageren Jahren.
Die Felle aus dieser Region bringen einen schönen Gewinn in den Städten des Südens. <<
>>In diesem Jahr werdet ihr dort nichts mehr kaufen, das kann ich euch versprechen.
Und in Zukunft wohl auch nicht. <<
Gai’s Antwort schien Oblivan zu verdrießen, denn er erwiderte sichtlich ungehalten:
>>Wenn das so ist, mein junger Freund, könnt ihr mir sicherlich auch sagen, warum ich nicht nach Warma fahren soll? Keine Seuche oder Hungersnot hat mich in der Vergangenheit davon abgehalten, also warum ratet ihr mir davon ab? <<
>>Weil die Stadt nicht mehr da ist, << sagte Gai und blickte voller Verbitterung in die Flammen.
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