„Ich weiß. Mike hat mir das alles schon erklärt“, entgegnete Cathy knapp. Der Doktor war ihr nicht unangenehm, aber er störte sie dennoch dabei die friedliche Ruhe zu genießen.
„Ms. Coleman, Ihr Aufenthalt hier war alles andere als geplant. Normalerweise untersuche ich meine Patienten eingehend und erfrage die Hintergründe, ehe ich mich entscheide, sie als Patienten aufzunehmen oder nicht. Auch wenn das Vorgeplänkel bereits übersprungen ist, möchte ich trotzdem mehr über sie erfahren. Vor allem möchte ich wissen, warum sie mit den Drogen aufhören möchten.“
„Doktor, wie heißen Sie eigentlich?“, fragte Cathy neugierig. Mike hatte es zwar erwähnt, aber sie hatte es sich leider nicht gemerkt.
„Julian Briskow, Dr. Briskow, Julian. Was Ihnen lieber ist. Ich pflege ein sehr offenes Verhältnis zu meinen Patienten und sehe mich viel eher als Helfer und Freund, denn als Respektsperson.“
„Schön, ich denke aber, dass ich lieber bei Dr. Briskow bleibe. Kann ich Sie etwas fragen?“
„Natürlich, dafür bin ich doch hier.“
„Diese friedliche Leere in mir. Bleibt sie oder kommen die Stimmen wieder?“
Das war es, was sie beschäftigte, ging es Julian Briskow durch den Kopf. In den Jahren seiner Arbeit hatte er sich viel mehr mit Psychologie beschäftigten müssen, als er das in seinen Studienjahren für möglich gehalten hatte. Doch meist war der körperliche Zustand eines Menschen nur Ausdruck der Seele. Immer wieder neu war für ihn jedoch, wie jeder Mensch verschieden auf die gleiche Situation reagierte. Diese innere Leere von der sie sprach, erlebten ungefähr 70% aller Patienten nach dem erwachen. Die einen gerieten in einen Angstzustand und hatten regelrechte Panikattacken, die anderen versuchten krampfhaft die Leere mit Ablenkung zu füllen und wieder andere, ein sehr geringer Teil, genossen diese Stille. Es gab keine wissenschaftliche Erklärung dafür, wodurch diese Stille entstand und warum die einen es spüren konnten und die anderen nicht. Doch Dr. Briskow vermutete, dass es damit zusammenhing, dass die Psyche während des Komas den körperlichen Entzug nicht mitbekommen hatte und nun nach Anzeichen und Körperreaktionen suchte, die das Suchtverhalten zeigte. Doch da gab es nichts mehr und das vermittelte der Psyche ein Gefühl von Leere. Doch bald schon würde die Psyche die körperlichen Entzugserscheinungen in Form von Phantomschmerzen imitieren, um die kaputte Seele mit Drogen zu versorgen. Daher war es unverzichtbar eine Psychotherapie zum Entzug zu machen.
„Sie scheinen diese Leere zu genießen. Dennoch empfinden die meisten Menschen diese Leere als beängstigend. Was finden Sie daran so schön?“, fragte er neugierig nach.
„So viele Stimmen haben auf mich eingeredet und mich nie in Ruhe gelassen! Ich wollte schon lange das alles nicht mehr und trotzdem habe ich irgendwann nachgegeben, um für kurze Zeit wieder Ruhe zu haben. Doch daraus sind wieder andere Probleme entstanden und ich wurde erpressbar und konnte so nie aus dem Dilemma heraus. Ich habe einfach keinen Ausweg mehr gesehen und bin jetzt nur noch froh, von all dem nichts mehr zu hören. Diese Stille in mir ist beruhigend und entspannend zugleich. Ihren Worten kann ich entnehmen, dass es nicht ewig anhalten wird, oder?“
„Ein oder zwei Tage wahrscheinlich. Dann wird sich ihr psychischer Entzug bemerkbar machen. Als sie gestern hier ankamen, waren sie im kalten Entzug schon sehr weit fortgeschritten. Wie kam es dazu? Hatten Sie den Entzug bereits geplant?“
„Geplant war gar nichts. Mein Dealer, der mich auch auf den Strich geschickt hatte, hatte mir keine Drogen mehr gegeben und mich so erpresst einen weiteren Freier aufzusuchen. Es gab eigentlich eine Abmachung, aber an die hat er sich nie gehalten, wenn Geld im Spiel war. So auch gestern Abend. Nur dann kam alles anders. Mike hatte mich gesucht und auch gefunden. Mir ging es zu dieser Zeit schon schlecht, aber Mike hatte mich gebeten durchzuhalten, da wir morgens schon hierher wollten. Schon das war verdammt hart und ich hatte mir mehrmals überlegt, wie er es schaffen wollte, so schnell einen Klinikplatz zu bekommen. Immer wieder war ich kurz davor abzubrechen, doch diese Frau hat mir geholfen und letztlich hat Mike es doch geschafft. Er schafft meist das, was er sich in den Kopf gesetzt hat. Wie hat er Sie herumbekommen?“
„Wir haben eine gemeinsame Bekannte, die sehr überzeugend war“, gestand Dr. Briskow.
„Mike hatte etwas mit ihr, oder?“, vermutete Catherine und die Direktheit verwirrte ihn.
„Vermutlich schon. Ich habe sie nicht gefragt, aber er sagt ja“, offenbarte er ihr.
„Ihre feste Freundin?“
Dr. Briskow schüttelte den Kopf und drehte abwesend an seinem Ehering. „Meine Frau…“
„Es tut mir leid. Aber warum helfen Sie mir und Mike überhaupt. Es wäre viel logischer, wenn sie uns zum Teufel jagen.“
„Ich kann sauer auf ihn sein, aber nicht auf Sie. Wenn ich Ihnen meine Hilfe verweigere, breche ich meine eigenen Grundsätze: jedem Patienten, der wirklich aufhören will, zu helfen. Ich habe die Klinik vor 6 Jahren mühsam aufgebaut und war dabei immer meinen Grundsätzen treu. Die Quote der Ex-Junkies, die nie wieder angefangen haben, gibt mir recht. Warum machen Sie seine Affären mit?“
„Ich habe mit Mike keine Beziehung, falls Sie darauf anspielen. Ich habe mir immer mehr mit Mike gewünscht, jedoch scheine ich so ziemlich die einzige Frau in ganz Boston und der halben Welt zu sein, die nichts mit ihm hatte. Meine Mutter war die Haushälterin und gleichzeitig das Kindermädchen der Carringtons. In den Zeiten, als seine Eltern geschäftlich unterwegs waren, habe ich mit in der Villa wohnen dürfen. Sie können sich vorstellen, dass es bei der Leitung eines Hotelkonzerns nicht gerade wenige Geschäftsreisen gab. Mein ganzes Leben lang wollte ich nichts anderes als diesen Mann! Je mehr ich ihn wollte, desto mehr hatte er sich von mir distanziert. Und damit bin ich nie wirklich klar gekommen.“
„Sie meinen, Sie haben wegen ihm mit Drogen angefangen?“
„Gehen Sie doch von sich selbst aus. Sie lieben Ihre Frau und bekommen immer wieder ein neues Verhältnis ihrer Frau mit und können absolut nichts daran ändern. Sie kommen von ihr einfach nicht los und können sie auch nicht daran hindern mit anderen etwas zu haben. Ich habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen als mit Drogen diese Eifersucht zu betäuben.“
„Haben Sie niemals versucht sich von ihm zu lösen? Mit einer Therapie oder so?“
„Mit einer Therapie nicht. Aber ich habe so ziemlich alles andere ausprobiert. Ich hatte jede Menge Männer, die mich auf andere Gedanken bringen sollten. Ich hatte sogar eine Phase, in der ich in die Kirche gerannt bin und zu Gott gebetet habe, um von ihm loszukommen. Doch nichts hatten diesen Schmerz in mir vertreiben können. Nur die Drogen gaben mir für eine gewisse Zeit Linderung. Und das war der Anfang vom Ende.“
„Egal wie viele Geschichten ich höre. Sie fangen unterschiedlich an und enden doch alle gleich. Was mich noch interessiert: Sie sind doch schon sehr lange abhängig. Warum hat er ausgerechnet jetzt nach Ihnen gesucht und will Ihnen helfen?“
„Wir haben die letzte Nacht sehr lange darüber geredet.“
Dr. Briskow merkte sofort den zeitlichen Fehler in ihrer Erzählung. Doch er wollte sie nicht unterbrechen. Es passierte vielen, die aus dem Koma wieder aufwachten, dass sie die Zeit des Komas nicht hinzuzählten.
„Mike denkt momentan viel über sein Leben nach und ich denke, das hängt mit dem Engel zusammen. Jedenfalls hatte er sich für sein Verhalten mir gegenüber entschuldigt und mir auch seine Sicht der Dinge erklärt. Er hatte mich nie als Frau, sondern als Schwester gesehen und gehofft, ich würde meine Verliebtheit aufgeben, wenn wir uns weniger sehen würden. Und nach allem, wie ich ihn kenne, glaube ich ihm das auch. Er konnte schließlich auch nicht wissen, dass es für mich nicht nur eine Schwärmerei war.“
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