„Hi“, begrüßte sie ihn.
„Hi, wie geht’s dir?“, fragte Mike nach.
„Du bist wirklich hier! Ich hatte es gehofft, aber ich hatte wohl nicht wirklich damit gerechnet.“
„Ich halte meine Versprechen! So, wie ich dich auch die nächsten Monate unterstützen werde.“
„Was ist mit Mum? Ist sie frei?“, waren Cathys nächste Sorgen, die sie unbedingt geklärt haben wollte.
„Beruhige dich, es ist alles in Ordnung. Sie ist zur Beobachtung im Krankenhaus, aber es geht ihr gut. Sie wurde die meiste Zeit betäubt und die Ärzte wollten sie daher überwachen, um mögliche Nebenwirkungen mitzubekommen, die zu Komplikationen führen könnten. Willst du mit ihr telefonieren? Ich kann sie schnell anrufen, wenn du möchtest.“
„Nein, noch nicht. Ich bin nur froh, dass es ihr gut geht. Sie wird sicherlich sauer auf mich sein. Es war meine Schuld, dass sie das erleben musste. Ich werde mir das nie verzeihen.“
„Es ist nicht deine Schuld und auch dein Dealer Matthew Warren war es nicht, der dahintersteckte. Diese Jasmin, ihr Halbbruder und dessen Freundin haben das miteinander ausgeheckt. Der Bruder und seine Freundin konnten festgenommen werden, doch diese Jasmin ist leider entkommen und wird noch gesucht.“
„Aber warum? Warum tut Jasmin das? Ich dachte wir sind so etwas wie Freundinnen!“, fragte Cathy verzweifelt.
„Eine Freundin warst wahrscheinlich nur du. Sie hatte andere Ziele verfolgt und wollte schnell das große Geld machen. Und da war ihr jedes Mittel recht dazu. Aber das ist nicht mehr wichtig. Die Polizei wird sie sicherlich bald finden und dann wird sie ihre gerechte Strafe bekommen. Da ist noch eine Sache. Ich habe mich gestern sehr lange mit William unterhalten. Ich kann in New York die Leitung des Hotels übernehmen. Ist es für dich in Ordnung, wenn du mit mir nach New York gehst? Wenn du nicht willst, finden wir sicherlich auch eine andere Lösung. Was sagst du dazu?“
„Ich bin nicht fest gebunden. Ich kann überall leben und warum also nicht New York? Ich bin schon glücklich, dass du mir überhaupt helfen willst, da werde ich dir doch sicherlich nicht im Weg stehen, wenn du deinen Traum erfüllen kannst. Aber wie kommt es, dass William dir New York überlässt?“
„William und ich sind uns während der Entführung näher gekommen und wir haben uns endlich ausgesprochen. Er war nie an der Leitung der Hotels interessiert und wurde von unserem Vater einfach hineingezogen. Ich habe mich mit ihm geeinigt, dass ich in New York einige Konzepte ausprobiere, solange du deine Therapie brauchst, so dass ich mich auch um dich kümmern kann. Wenn du das alles dann gut abgeschlossen hast, werde ich wieder nach Boston zurückkehren und die Konzernleitung übernehmen. Du kannst dann gerne wieder mitkommen, wenn du möchtest. Aber bis dahin vergeht noch viel Zeit und wenn es soweit ist, können wir uns gemeinsam einen Weg überlegen.“
„Ich werde dir sicherlich nicht im Weg stehen.“
„Du stehst mir doch nicht im Weg, du bist ein Teil meines Lebens, den ich schon viel zu lange ausgeschlossen habe. Drogensucht hin oder her, du gehörst genauso zu meinem Leben, wie auch Martha und nun auch William und Laura. Und genau deshalb will ich, dass dein Leben wieder einen Sinn macht und es lebenswert wird. Ich erwarte absolut nichts von dir, außer, dass du den Drogen fernbleibst. Damit erweist du mir den größten Gefallen.“
„Glaube mir, ich werde alles versuchen davon wegzukommen. Du siehst müde aus!“
„Ich habe nicht viel geschlafen die letzten Tage, aber es geht schon.“
„Mike, es ist schön, dass du hier bist, aber du brauchst nicht rund um die Uhr an meinem Bett sitzen. Geh nach Hause und schlaf dich aus! Du warst das Letzte, das ich gesehen habe, als ich eingeschlafen bin und das Erste, als ich wieder aufgewacht bin. Schöner könnte es nicht sein! Aber jetzt geht es mir soweit gut und ich komme vorerst alleine klar. Solange ich im Krankenhaus bin steht mir jede Hilfe zur Verfügung, ich brauche dich hier nicht unbedingt. Erhole dich von den Strapazen und wir sehen uns in ein paar Tagen wieder.“
Cathys Angebot kam Mike sehr entgegen. Er hatte vor die nächsten Tage mit Bella zu genießen und so musste er kein schlechtes Gewissen Catherine gegenüber zu haben. Also widersprach er ihr nicht und nahm ihr Angebot dankend an.
„Danke, das ist lieb von dir, auch wenn es eigentlich umgekehrt sein sollte. Ich wollte für dich da sein und nicht du für mich. Aber vielleicht hast du Recht. Ich lasse in New York alles vorbereiten und hole dich dann in ein paar Tagen hier ab für dein neues Leben. Dr. Briskow wird dir in allem mit Rat und Tat zur Seite stehen. Vielleicht hat er auch noch wertvolle Tipps für dich, die dir beim psychischen Entzug helfen können. Für alle Fälle lasse ich dir noch meine Handynummer da. Da kannst du mich jederzeit erreichen.“
Mike schnappte sich einen Stift und schrieb auf der Rückseite des Patientenscheins, der auf dem Nachtkästchen lag, seine Handynummer auf. Er hoffte, dass sie nicht anrufen würde und doch wollte er, dass sie das Gefühl hatte, dass er für sie da war. Er umarmte sie und verabschiedete sich von ihr mit einem Küsschen auf die Wange. Dann war er weg und Catherine lag alleine in ihrem Bett. Ihr Kopf war leer und zum ersten Mal wusste sie nicht, was sie denken sollte oder wollte. Es war nichts da, dass sie bewegte, dass sie beherrschte oder dass sie antrieb. Einfach nur eine Stille und Leere herrschte vor. Sie versuchte in sich hinein zuhören und nach bekannten Stimmen zu lauschen. Stimmen, die ihr all die Jahre gesagt hatten, was sie tun sollte. Stimmen, die ihr sagten, dass Mike der Mann ihres Lebens war. Stimmen, die nach Vergessenheit riefen und sie an Drogen erinnerten. Stimmen, die sie quälten mit Vorwürfen und zur Selbstzerstörung aufriefen. Doch genau in diesem Moment konnte sie keiner dieser Stimmen hören. Und verblüffender Weise nicht einmal die Stimme, die lauter, wie alle anderen schrie – die Stimme nach Vergessenheit. Diese war es auch, die Catherine immer wieder zu den Drogen greifen ließ. Je schlechter es ihr ging, desto mehr schrie die Stimme nach Vergessenheit. Sie wollte alles, was sie jemals falsch gemacht hatte, einfach vergessen. Vergessen, dass sie sich den Drogen hingegeben hatte und vergessen, dass sie auf der Straße gelandet war. Vergessen, dass sie alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten enttäuscht und verloren hatte. Vergessen, dass andere, widerliche Menschen Macht über sie hatten und sie nicht mehr Herr über sich selbst war. Doch alles schien auf einmal nicht mehr wichtig zu sein. Nichts davon berührte sie noch, oder machte ihr Angst. Selbst ihre ewigen Gedanken, was Mike jetzt von ihr halten würde, waren wie vergessen. Es war eine einzige, friedliche Stille in ihr. Manche Menschen würden sich jetzt fürchten, doch für Cathy war es der Frieden auf Erden, nachdem sie immer gestrebt hatte. Entspannt lehnte sie sich zurück, starrte an die Decke und genoss einfach die Ruhe in sich selbst. Stunden vergingen, doch sie nahm keine Zeit mehr wahr. Selbst das Klopfen an der Tür nahm sie nicht wahr. Dr. Briskow trat ein und sah besorgt zu seiner Patientin. Sie starrte an die Decke und regte sich nicht. Dr. Briskow ging eilig auf sie zu und prüfte ihren Puls. Er vermutete einen psychischen Schock und erschrak im ersten Moment, als sie sich auf seine Berührung rührte.
„Wie geht es Ihnen? Haben Sie Schmerzen?“
„Nein, es ist alles in Ordnung, Doktor.“
„Kann ich Sie trotzdem kurz untersuchen?“
„Natürlich.“
Cathy lehnte sich zurück und Dr. Briskow leuchtete in Ihre Augen, um die Reaktionsfähigkeit zu testen. Anschließend prüfte er noch den Blutdruck und den Puls. Alles war in Ordnung, trotzdem sah sie nicht danach aus. Auch einen Schock konnte er ausschließen.
„Körperlich sind die Entzugserscheinungen nun größtenteils vorbei. Es kann vorkommen, dass Sie noch Schmerzen ab und zu empfinden. Das liegt aber nicht am körperlichen Entzug, sondern die Schmerzen treten als eine Art Phantomschmerz auf, den die Psyche auslöst. Und das ist der Punkt an dem Sie stark sein müssen. Ich kann Ihnen für diese Art von Schmerzen keine Medikamente oder Linderung geben. Das müssen Sie alleine schaffen. Ich empfehle Ihnen daher eine Psychotherapie, um die seelischen Gründen aufzuarbeiten. Natürlich kann Sie niemand dazu zwingen, aber für einen langanhaltenden Erfolg ihres Entzuges wird es notwendig sein.“
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