Er wusste nicht, ob das Mädchen ihn verstand, aber er hoffte der Ton seiner Stimme würde dazu beitragen.
Flatternd bewegten sich die Augenlider des Mädchens, wobei ihr angstvoller Blick auf Trina gerichtet war. Verwirrt kam es bebend aus ihrem Mund. »Wo bin ich, bist du ein Jäger?«
Ihre indigoblauen Augen sahen Julian verzweifelt und furchtsam an. »Jäger,« echote Julian und verstand nicht sogleich, was das Mädchen damit meinte.
»Nein ich bin Julian, ich hüte den Sommer über die Herde meines Vaters. Vor mir musst du keine Angst haben,« fügte er hinzu, denn er bemerkte sehr wohl den gehetzten angsterfüllten Blick des Mädchens.
Jählings verdrehte das Mädchen die Augen und ihr Kopf fiel schlaff zur Seite. Julian erkannte, dass das Mädchen wieder ohnmächtig war, daher schien es ihm das Beste zu sein sie in seine Hütte zu bringen. Dort legte er die Bewusstlose auf sein schmales Bett und bedeckte ihre Nacktheit mit einer Wolldecke.
Trina, die sich nicht abhalten ließ, folgte Julian und bezog aufrecht auf den Hinterbeinen sitzend, Stellung neben dem Bett. Ihr Blick wich nicht mehr von der Fremden, die sie unentwegt fixierte. Julian entzündete das Talglicht auf dem schmalen Tisch und rückte den Tisch näher an das Bett, um das Mädchen in aller Ruhe zu betrachten. Er zog den Hocker näher heran und setzte sich darauf.
Trina starrte unbeweglich auf das Mädchen. Nur gelegentlich fuhr ihre Zunge über die Schnauze, so als peinige sie eine innere Unruhe.
* Was bewegt Trina ,* fragte sich Julian und wunderte sich über das seltsame Verhalten seiner Hündin. Die ansonsten so spielerisch veranlagte Trina, wirkte plötzlich ernst und konzentriert, so als bewache sie das Mädchen vor möglichen Gefahren.
Nachdenklich sah Julian zu dem Mädchen auf dem Bett. So viele Fragen schwirrten ihm durch den Kopf, die nur sie beantworten konnte. Von wo und wie kam sie hier her. Aus welchem Teil von Verden kam sie. Julian wusste aus den Erzählungen seines Vaters, dass es viele verschieden aussehende Menschen gab. Aber aus welcher Region das Mädchen stammen konnte, wusste er nicht.
Vielleicht stammte sie aus dem viele Monatsreisen entfernten Land Polaria. Die Menschen von dort, so erzählte es sein Vater, besaßen die hellste Hautfarbe von allen Menschen, die Verden bevölkerten. In diesem Land, so erzählte man sich ginge die Sonne nie unter. Doch es musste ein unwirtliches Land sein, in dem das ganze Jahr über Winter herrschte. Es gab viele Gerüchte über dieses geheimnisvolle Land, das bis jetzt nur wenige betreten hatten und wieder heil zurück gekommen sind.
Das erklärt noch lange nicht, wie sie in diesen Teil der Welt gekommen sein mochte, noch dazu ohne jedes Kleidungsstück. Geschah es durch Magie, so wie in den Geschichten, die ihre Mutter so oft erzählte, in denen es nur so von Zauberern und Magier wimmelte? Julian glaubte eigentlich für solche Geschichten zu alt zu sein, um daran zu glauben, aber wie anders erklärte man das Auftauchen des Mädchens.
Julian beugte sich etwas nach vorne und strich das Haar aus dem Gesicht des Mädchens, das wie ein Vorhang davor gefallen war. Sofort fiel ihm das rötliche Mal auf, das die Größe einer Münze hatte. Was hatte das zu bedeuten?
Julian wusste nicht, wie lange er so dasaß und auf das wunderschöne rätselhafte Mädchen gestarrt hatte. Er bemerkte nicht, wie die hoch aufgestellten Ohren Trina sich in alle Richtungen drehten und sie leise warnend zu Knurren anfing. Als Julian auf ihre Warnung nicht reagierte, stand Trina auf und schlich lautlos zum Eingang der Hütte.
Das leise Knacken eines Zweiges schreckte Julian auf und er sah, dass Trina sich nicht in der Hütte befand. Julian sprang von seinem Hocker hoch griff nach seinem Bogen und trat aus der Hütte ins Freie. Gerade noch rechtzeitig um den Aufprall eines Körpers auf dem Boden und Trinas drohendes Knurren zu vernehmen.
Julian erreichte mit wenigen Schritten die Längsseite der Hütte, und als er um die Ecke bog, sah er Trina über einen bewegungslosen Körper stehen. Ihr geöffnetes Maul mit den scharfen Zähnen lag an der Kehle des Mannes, der es nicht wagte, sich zu bewegen. Er kannte sich anscheinend mit Hunden aus, denn jede noch so kleine Bewegung von ihm und Trinas Zähne würden seine Kehle aufreißen.
* Mit Sicherheit ein Viehdieb, der versucht hatte, im Schutz der Nacht einige Schafe zu stehlen, * dachte Julian und lobte Trina angesichts ihrer Aufmerksamkeit.
»Gut gemacht Trina, du hast deinen ersten Viehdieb gestellt,« lobte er die Hündin und senkte den angelegten Pfeil.
»Ich bin kein Viehdieb,« presste der Mann zwischen den Zähen hervor. Sag deinem Hund, er soll mich loslassen, dann beweise ich es dir.«
Julian zögerte den Mann aus dem Griff Trinas zu befreien, denn er konnte ihn anlügen. Wenn Trina ihren Griff löste, konnte er ohne Weiteres zum Angriff übergehen. »Wer bist du,« fragte Julian angespannt und jederzeit bereit den Bogen zu heben und sich zu verteidigen.
»Gandulf, ich bin Gandulf,« erwiderte der Mann, »ich besitze die kleine Pferdefarm vor den Hügeln,« kam es heiser zurück. Julian war verwundert. Er hatte Gandulf auf dem Markt gesehen und konnte sich gut an ihn erinnern. Aber was machte er zu dieser Zeit hier unter freiem Himmel? »Was hast du hier zu suchen, noch dazu mitten in der Nacht,« fragte er daher misstrauisch.
»Pfeif deinen Hund zurück und ich werde es dir erklären.«
Julian gab Trina das Kommando Gandulf loszulassen. »Aus Trina,« befahl er ihr, worauf Trina widerwillig ihre Kiefer öffnete, sich aber nicht von der Brust Gandulfs bewegte.
»Was suchst du hier draußen,« wiederholte Julian seine Frage. Gandulf, der sich nicht bewegen konnte, ohne dass sich die Kiefer Trinas wieder schlossen, stieß gereizt hervor. »Sieh zu, dass du deinen Hund von meiner Brust bringst, dann erzähl ich es dir, oder willst du mich die ganze Nacht so liegen lassen?« Julian musste grinsen bei dem Protest Gandulfs. * Was erwartete er denn, wenn er sich mitten in der Nacht anschlich und dabei erwischt wurde. *
Julian befahl Trina zu sich. Mit sichtlichem Widerwillen löste sie sich von Gandulf und setzte sich neben Julian, verfolgte dennoch wachsam jede Bewegung des Eindringlings. Gandulf erhob sich langsam und vorsichtig, um den Hund keinen Grund zu geben erneut anzugreifen. Er wusste um die Gefährlichkeit dieser Hunde, wenn es um ihre Herde ging, zu der ja auch Julian für sie zählte. Plötzlich drang ein markerschütternder Schrei aus dem Inneren der Hütte.
»Neeeiiin ….. Mutter. Was hast du getan.« Dem Schrei folgte herzzerreißendes Schluchzen, das abrupt abbrach. Julian sah bestürzt zu Gandulf, der seinen Blick zur Hütte richtete. Julian rannte zum Eingang der Hütte, wo er mit Gandulf zusammenstieß, der ihm gefolgt war.
»Wer war das,« wollte er von dem Jungen wissen. Julians Blick glitt in das schummrige von dem Talglicht beleuchtete Innere und er benötigte keine Sekunde, um zu sehen, was geschehen war. Das Mädchen schien kurz aus seiner Ohnmacht erwacht zu sein, aber warum es geschrien hatte, konnte er sich nicht erklären. Das Mädchen hing halb auf dem Bauch über die Kante des Bettes heraus, so als hätte es aufstehen wollen, aber nicht die Kraft besessen sich ganz aufzurichten.
»Wer ist das Mädchen,« fragte Gandulf, der über seine Schulter hinweg schaute. Julian schüttelte nur seinen Kopf. »Ich weiß es nicht,« gestand Julian. »Sie lag unmittelbar nach dem Verschwinden einer Lichterscheinung leblos auf der Wiese vor der Hütte, da hab ich sie hereingebracht.«
Gandulf schob Julian sachte zur Seite und betrat das Innere der Hütte. Je näher er dem Bett kam, um so deutlicher wurden die Schwingungen, die das Mädchen aussandte. Er hatte gefunden, wonach er suchte. Gandulf legte das Wesen aus einer anderen Welt wieder ins Bett zurück, ehe er Julian fragte. »Welche Erscheinung meinst du.«
Читать дальше