„Ähm“, ich werfe einen raschen Blick auf die Mattscheibe. „Ich war noch auf der Suche nach dem richtigen Sender.“
Alexander Koller beugt sich mit dem Oberkörper ins Zimmer, späht zum Fernseher und feixt. „Mit Cristina Yang würde ich mich auch nicht anlegen wollen.“
Ich stutze.
„Meine Schwester hat ihre Vorliebe für die Serie oft genug mit mir geteilt – oder mich damit gefoltert. Je nachdem, wie man es nennen will. Auf jeden Fall bin ich ziemlich gut ins Bild gesetzt, was den Greyschen Kosmos angeht. Die fundamentale Frage lautet demnach McDreamy oder McSexy?“
Ich sehe ihn mit großen Augen an, er sieht mich mit großen Augen an. Wartet er allen Ernstes auf eine Antwort?
„Unentschieden, denke ich.“
„Und da heißt es immer, Frauen könnten sich nicht entscheiden.“ Alexander Koller schmunzelt. „Aber, um fair zu bleiben, es gibt schlimmere Serien. Die hier hat wenigstens spritzige Dialoge und starke Charaktere.“
Ich bin positiv überrascht, schenke ihm ein ehrliches, wenn auch nur angedeutetes Lächeln, dann besinne ich mich wieder auf das Wesentliche. „Was wollten Sie denn nun von mir?“
„T'schuldigung“, entgegnet er und kratzt sich an der Wange. „Ich habe Talent vom eigentlichen Thema abzukommen. Ich wollte Sie für Freitagabend zu mir einladen, als Entschuldigung dafür, dass ich Sie gestern aus dem Bett geworfen habe – und zum Kennenlernen. Immerhin wohnen wir von jetzt an quasi Tür an Tür.“
Noch jemand, der sich aufgerufen fühlt das Offensichtliche auszusprechen. Vielleicht würde er besser zu Anne passen als zu mir. Erst einen Moment später, zeitversetzt sozusagen, habe ich verarbeitet, was er außerdem gesagt hat.
„Ähm, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“ Ich kann hören, wie unbeholfen meine Stimme klingt, was nicht bedeutet, dass ich etwas daran ändern kann. „Wir kennen uns genaugenommen überhaupt nicht und eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit. Sie müssen nichts gutmachen, falls es darum geht – immerhin habe ich nicht nur eingesteckt, sondern auch ausgeteilt.“ Ich suche nach den richtigen Worten, was mir leichter fallen würde, wenn ich wüsste, was an diesem Punkt unserer Unterhaltung die richtigen Worte wären. Damit habe ich nun gar nicht gerechnet.
Alexander Koller stützt sich mit dem rechten Arm am Türrahmen – meinem Türrahmen! – ab und mustert mich leicht irritiert, ehe sich schließlich ein Ausdruck des Verstehens auf seinem Gesicht ausbreitet.
„Tut mir leid, das war gemein von mir. Ich hab Sie ja quasi ins offene Messer laufen lassen. Ich gebe Freitag ab zwanzig Uhr eine kleine Einweihungsparty für meine Umzugshelfer und ein paar Freunde. Da die nicht unbedingt leise wird, trifft es sich gut, wenn die Hausbewohner auch da sind. Außerdem müsste ich kein schlechtes Gewissen haben, weil ich Ihnen schon wieder den Schlaf raube.“
Langsam frage ich mich, ob ich, ohne es zu wissen, ein Abo der Peinlichkeiten abgeschlossen habe. Quasi ein Garant für Fettnäpfchen jeder Art, insbesondere was das Aufeinandertreffen mit meinem neuen Nachbarn angeht. Daran sind ohne Frage Margarete und Anne mit ihrem Gerede über Dates und Love Next Door schuld. Gut, mein Hello Kitty Bademantel ist auch nicht ganz unbedeutend.
„Wie sieht es aus? Zeit und Lust?“
„Diesen Freitagabend?“, wiederhole ich, um meine Verlegenheit zu überspielen und Zeit zu gewinnen. „Ich weiß noch nicht, ob ich da kann. Eine Freundin und ich hatten vor Essen und danach ins Kino zu gehen.“ Notlüge, gute Idee.
Alexander Koller denkt nicht mal eine Sekunde nach, ebenso wie er nicht einen Augenblick lang zögert. „Sie kann gerne mitkommen. Restaurant und Kino laufen nicht weg, meine Party dagegen schon. Ist ohnehin lustiger, je mehr wir sind.“
„Das ist wirklich … nett.“ Wieso muss er in der Tat nett sein, so, wie Annes es vorausgesagt hat? Ich hasse es, wenn sie recht behält, weil sie nicht müde wird, einem das unter die Nase zu reiben. Ich hätte ihn vor verschlossener Tür stehenlassen sollen, Höflichkeit hin oder her. „Ich werde meine Freundin fragen, ob sie einverstanden ist oder ob ihr das zu viel Trubel ist. Sie ist nämlich schwanger.“
„Tatsächlich?“ Seine Miene wirkt einen kurzen Augenblick lang verschlossen und unergründlich. „Im wievielten Monat ist sie denn?“
„Sie hat etwas vom fünften oder sechsten Monat gesagt.“ So viel zu einer Lüge, von der Not mal abgesehen.
„Eine Hausparty mit Musik sollte weder ihr noch dem Baby schaden. Sie können ihr ausrichten, dass wir keine wilde Orgie zelebrieren, es Saft und Wasser und auch etwas zu Essen gibt. Die Chance auf ein bisschen Spaß sollte sie auf jeden Fall nutzen so lange sie kann. Sobald der Nachwuchs da ist, wird für Derartiges erst mal wenig Zeit bleiben.“
Man könnte fast meinen, er spricht aus Erfahrung. Allerdings kann ich das nicht recht glauben. Ich denke vielmehr, dass er sich nur aufspielt und keinen blassen Schimmer hat, wie das Leben mit Baby aussieht. Gut, ich habe auch keine Ahnung davon, aber ich bin immerhin Annes Freundin und kann mir, im Gegensatz zu ihm, überhebliche Aussagen erlauben.
Als ich ihm antworte, kann ich nicht verhindern, dass meine Stimme eine Spur kühler und distanzierter klingt, was ich jedoch als positiv empfinde, da ich mich zugleich selbstbewusster und schlagfertiger fühle. „Ich werde sie fragen.“
„Okay“, Alexander Koller nickt unbeeindruckt, immer noch ein lockeres Lächeln auf den Lippen. „Dann will ich gar nicht länger stören.“
Ich nicke ebenfalls und will gerade die Tür schließen, als er die Hand hebt und mich daran hindert.
„Ach ja, da ist doch noch was. Wie wäre es, wenn wir die Förmlichkeiten sein lassen? Das wirkt inzwischen ziemlich fehl am Platz, finde ich, und spätestens Freitag ist es auf jeden Fall überflüssig. Warum also nicht gleich abschaffen? Ich bin Alexander, gern auch Alex.“
Ich mühe mir ein unbefangenes Lächeln ab, weil ich nicht weiß, ob ich mich über die abermalige Annäherung freuen soll oder nicht. „Sie können mich gern Hannah nennen.“
„Du kannst mich gerne Hannah nennen“, sagt Alexander Koller alias Alexander alias Alex mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich blicke ihn irritiert an.
„Nachdem wir uns gerade darauf geeinigt haben die Förmlichkeiten sein zu lassen, macht es wohl kaum noch Sinn, uns zu siezen.“
„Ja, das … stimmt.“
„Du gewöhnst dich schon noch dran. Freitagabend hast du ausreichend Zeit es dir einzuprägen.“
„Sofern ich komme. Also, kommen kann. Wegen meiner Freundin.“
Ein – für meinen Geschmack zu sehr wissendes – Grinsen legt sich auf Alexander Kollers Lippen. „Ich wünsch dir noch einen schönen Abend, Hannah.“
Die Art und Weise, wie er meinen Namen ausspricht, bringt mich kurz aus dem Gleichgewicht. Nicht äußerlich, sondern innerlich, sodass ich mir fast wünsche, er würde meinen Namen nochmals auszusprechen. Allerdings währt dieser Fast-Wunsch nur einen Sekundenbruchteil, weil ich bereits im nächsten Moment meine Balance wieder gefunden habe und mich frustriert frage, ob wir je ein normales Nachbarschaftsverhältnis aufbauen oder ich mich ihm gegenüber für immer wie ein Schulkind fühlen werde, dass sich einen Fauxpas geleistet hat.
„Danke, du auch.“
Er bedenkt mich mit einem letzten Lächeln. „Ich würde mich wirklich freuen, wenn du kommst. Egal ob mit oder ohne Begleitung.“
*
*
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„Wieso hast du denn das gesagt?“
Nachdem ich den Montagvormittag mit dem Setzen einiger Artikel und der Suche passender Bilddateien verbracht habe und der Zeiger der Uhr auf kurz nach halb eins gewandert ist, habe ich Annes Büronummer gewählt, um ihr von der Einladung zu erzählen, die nach meiner kleinen Notlüge auch sie einschließt. Natürlich habe ich nicht erwartet, dass sie meine Geschichte kommentarlos zur Kenntnis nimmt. Gehofft habe ich es trotzdem.
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