1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Einen Moment lang ist mir, als hätte ich vergessen, wie man spricht. Glücklicherweise fange ich mich schnell wieder. „Keine Sorge, ich bin nicht nachtragend. Außerdem habe ich es Ihnen ja direkt zurückgezahlt, damit sind wir quitt.“ Ich schenke ihm ein unverbindliches Lächeln, dann stelle ich die Weichen auf Rückzug. „Ich wünsche Ihnen noch einen guten Einzug. Wir laufen uns sicher noch das ein oder andere Mal über den Weg.“
„Das will ich hoffen.“
Ist das ein Grübchen in seiner linken Wange?
„Schwing endlich deinen Hintern her und hör auf zu baggern!“, kommt es von einer männlichen Stimme aus der Wohnung und verpasst mir den letzten Tritt.
Ich nicke Alexander Koller nochmals zu, versuche die Treppe nicht im Sprint, sondern in angemessenem Tempo zu nehmen, während in meinem Rücken jemand den Dienst mit einem Akkuschrauber aufnimmt.
Im Erdgeschoss werfe ich einen Blick auf das schwarze Brett nahe der Eingangstür und kann mich nicht entscheiden, ob ein Fluch oder Schrei angebrachter wäre.
Von der Magnetwand blickt mir nebst einer Liste mit Telefonnummern ein weißes DIN-A4 Blatt entgegen, verächtlich und spottend, wie es mir vorkommt. Der gesamte Text ist zu klein, um ihn aus dieser Entfernung zu lesen, aber die dicke Überschrift kann ich deutlich entziffern.
Einzug Koller - – Samstag, 25.04.2015
Wer lesen kann ist klar im Vorteil.
Ehe ich mich vom Fleck bewegt habe, kommt jemand mit einem Karton durch die Eingangstür. Kurz sieht er ebenso irritiert aus wie ich, wenn auch nicht so geschockt. Es dauert jedoch nicht lange, da zeichnet sich auf dem Gesicht des Blondhaarigen ein Ausdruck von Amüsiertheit ab, der dem von Alexander Koller ähnelt, jedoch weitaus ungenierter ist.
„Morgen.“ Er lässt den Blick von meinem Gesicht bis hinab zu den Schuhen gleiten, wobei ich mich abermals fühle, als würde ich mittels Laserblick geröntgt. „Netter Bademantel.“
Ich erwidere meinerseits ein knappes ´Morgen`, drehe mich um, springe regelrecht über meine Türschwelle und drücke die Wohnungstür hinter mir zu. Dann lehne ich mich rücklings mit geschlossenen Augen gegen das Holz und halte die Luft an, bis mir sicher bin, dass der Kisten-Typ nach oben verschwunden ist. Natürlich ist mir bewusst, dass er mich nicht durch die Tür atmen hört, aber es geht hier mehr um irrationales Verhalten denn um rationales.
Ich harre noch einige Minuten in der Diele aus und wünsche mir, ich hätte zweimal nachgedacht, ehe ich voller Mordlust aus der Wohnung stürze. Möglicherweise wäre ich dabei auf die Idee gekommen, dass der Lärm auch von einem neuen Mieter rühren könnte, der gerade dabei ist, einzuziehen. Nicht nur, dass ich wie eine übernächtigte Furie morgens um halb acht meinem Vermieter eine Standpauke halten wollte, nein, ich muss mich auch noch vor meinem neuen Nachbarn zur Idiotin machen.
Ich schließe die Augen und stoße einen Seufzer aus. Wieso nur tue ich mich seit vergangenem Freitag so verdammt schwer, ein Auge zuzumachen? Weshalb habe ich in den letzten Tagen nicht einfach mal einen Blick aufs schwarze Brett geworfen? Warum muss ich gerade heute mein Rückgrat und meine aufbrausende Seite entdecken?
Wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt, bleibt dumm.
Nein, ich singe nicht den Titelsong der Sesamstraße. Antworten auf meine, zugegeben, hypothetisch-rhetorischen Fragen hätte ich dennoch gern. Allerdings weiß ich aus Erfahrung, dass es Fragen gibt, auf die man einfach keine Antwort bekommt, so gern man sie auch hätte. Aus einem verqueren Blickwinkel kann man diese Nicht-Antwort wahrscheinlich auch als Form von Antwort ansehen, allerdings hilft mir das auch nicht weiter.
Jetzt, da mein Adrenalinspiegel sinkt, nehme ich abermals die in meinem Körper steckende Müdigkeit und den seltsam löchrigen Zustand meines Nervenkostüms wahr. Etwas läuft entschieden falsch. Schon wieder. Oder viel mehr, immer noch. Ich weiß nicht was das Ganze soll, aber wenn es nach mir geht, kann ich gut und gerne darauf verzichten. Weder habe ich Bedarf an schlaflosen Nächten, noch an einem Nachbarn, der ungefragt mein Zuhause stürmt – immerhin war ich zuerst da.
In einem kleinen Teich von Selbstmitleid und Scham paddelnd, überlege ich, ob ich zum Kiosk fahren, mir eine Zeitung kaufen und die Anzeigen für Mietwohnungen durchforsten soll. Nur für den Fall, dass das Zusammenleben mit meinem neuen Nachbarn weitergeht, wie es begonnen hat.
Allerdings muss ich das ja nicht sofort tun. Jetzt gleich will ich mich unbedingt noch mal in mein Bett kriechen – oder vielmehr will ich mich darin verkriechen.
Auf dem Weg ins Schlafzimmer schnappe ich mir aus dem Bad ein Stück Klopapier, knülle es zu zwei Stöpseln zusammen und stopfe sie mir in die Ohren. Etwas Besseres zur Lärmdämmung habe ich leider nicht parat. Konnte ja niemand ahnen, dass heute ein Mann mit schokobraunen Augen samt Hausstand und Gefolge anrückt. Gut, wer einen Blick aufs schwarze Brett geworfen hat, konnte es nicht nur ahnen, sondern vielmehr fest damit rechnen. Das ist ohne Frage der Grund, warum sich niemand der übrigen Hausbewohner am Lärm gestört hat.
Der Philosoph Francis Bacon hatte schon recht, geht es mir durch den Kopf, als ich die Bettdecke über mich ziehe. Wissen ist tatsächlich Macht. Und, wie ich ergänze, obendrein von enormem Vorteil, wenn man sich nicht zur rosa Kitty machen will.
4 – Verbales Ping-Pong 1.0
Ich wache auf, obwohl von Erwachen nach diesem mickrigen Versuch noch etwas Schlaf abzubekommen, nicht die Rede sein kann. Zwar bin ich immer mal wieder kurzzeitig weggedöst, aber das lässt sich allenfalls als Dämmerzustand bezeichnen, nicht als vollwertiger Schlaf. Die provisorischen Ohrstöpsel haben wenig geholfen und richtig steckengeblieben sind sie gleich zweimal nicht. Den erneuten Gang ins Bett hätte ich mir demnach sparen können.
Ich riskiere einen Blick auf mein Handy. Kurz vor neun, immer noch der gleiche bescheuerte Samstagmorgen mit dem gleichen Gefühl von Müdigkeit, innerer Unruhe und Verlegenheit.
Ich rolle mich auf den Rücken und starre an die Zimmerdecke. Das Beben und Vibrieren bilde ich mir hoffentlich nur ein. Wenn die Decke plötzlich runterkäme, wäre das wirklich die Krönung dieses Morgens.
Ob Alexander Koller dann auch gleich mit in meinem Bett landen würde, spinne ich den ohnehin überzogenen Gedanken weiter. Irgendwie finde ich diese Vorstellung sogar noch schlimmer als die, von Schutt erschlagen zu werden. Das wiederum ist definitiv verrückt und obendrein eine Spur bemitleidenswert. Welche Frau würde einen Freifahrtschein in einen gemütlichen Sarg – oder zum plastischen Chirurgen, sofern man nur Stellenweise zerquetscht wäre – einem unleugbar gutaussehenden Kerl als Bettgesellschaft vorziehen? Bestimmt nur solche, die sie nicht mehr alle beisammen haben.
Aber wann bin ich zu so jemandem geworden? War ich schon immer so? Ich glaube nicht, sicher bin ich mir jedoch nicht.
Um nicht von meinen Gedanken in den Wahnsinn getrieben zu werden, schiebe ich mich aus dem Bett, schnappe mir das Handtelefon aus dem Flur, krieche wieder zurück in mein weiches Territorium und wähle Annes Nummer.
Kaum eine Sekunde später drücke ich hastig auf die Auflegen-Taste. Es ist Samstag und immer noch relativ früh. Ob Anne überhaupt schon wach ist? Und Thomas? Vielleicht war er bis spät in der Kanzlei und ist erst vor kurzem eingeschlafen? Andererseits ist Anne Frühaufsteherin und Thomas eigentlich auch. Demnach sollten beide schon wach sein – eigentlich.
Unschlüssig beiße ich auf meiner Unterlippe herum.
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