Den Vergleich mit Heidi Klum bekomme ich öfter zu hören, ebenso wie den, ich hätte etwas von Sienna Miller. Was mich angeht, tendiere ich eher zu letzterem. Nicht nur, weil ich die britisch-amerikanische Schauspielerin vorziehe, sondern auch, weil ich mich eher in ihr als in dem in Bergisch Gladbach geborenen Model mit Dauergrinsen wiedererkenne. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich Sienna Miller hübscher finde und mich deswegen lieber mit ihr vergleiche – oder vergleichen lasse. Oft genug erkenne ich mich aber auch in keiner von beiden wieder, finde mich unscheinbar und alles andere als hübsch. Aber solche Tage kennt wohl jede Frau.
Als am Freitag endlich der Feierabend in greifbare Nähe rückt, freue ich mich auf ein faules Wochenende mit einer guten Mütze voll Schlaf. Ich will meinen PC schon runterfahren, als Manuela, unsere Chefredakteurin, neben mir auftaucht und sich nach dem Entwurf für die Postkartenbeilage der Ausgabe in vier Wochen erkundigt. Die Unterhaltung endet damit, dass ich, auch wenn sie sich schlussendlich mit Montag zufriedengegeben hätte, anbiete, zu bleiben und ihn sofort fertigzumachen.
Überstunden sind ein gutes Argument, wenn es um Bonuspunkte oder Gehaltserhöhungen geht. Zwar könnte ich heute gut darauf verzichten, doch genaugenommen läuft mir nichts davon; fängt mein Erholungswochenende eben ein bisschen später als geplant an.
Auf dem Nachhauseweg mache ich einen Boxenstopp bei der Burger-Kette mit dem großen, gelben M. Mein Kühlschrank ist so gut wie leer und nach Einkaufen ist mir nun wirklich nicht, das vertage ich auf morgen.
Nachdem Zeus´ Napf gefüllt und mein Tüten-Menü verspeist ist, lasse ich mir ein heißes Bad ein, um mir die Arbeitswoche von Körper und Geist zu waschen, wie man sprichwörtlich sagt. Zudem macht Baden bekanntlich müde. Nicht, dass ich das nötig habe, aber vielleicht kann ich danach besser abschalten und Ruhe finden.
Mit schrumpeliger Haut, entspannten Muskeln und dem anhaftenden Duft von Passionsblüte, lasse ich meinen Kater durch die Terrassentür nach draußen, um ihn kurz darauf wieder reinzulassen, zappe noch ein bisschen durchs laufende Fernsehprogramm und lege mich schließlich gegen halb zehn ins Bett.
Mein Plan, mich zeitig hinzulegen und am Morgen ausgeruht aus den Federn zu kriechen, geht nicht auf – schon wieder. Abermals liege ich im Bett und drehe Gedankenspiralen, die sich um alles und zugleich nichts drehen, auch wenn der Abend mit Anne immer wieder darin auftaucht.
Weil das nicht nur sinnlos, sondern obendrein auch noch frustrierend ist, stehe ich auf, hänge abermals bis kurz nach zwei vor der Mattscheibe ab, ehe ich einen zweiten Anlauf ins Heia-Land starte.
*
*
*
Ich kann nicht sagen, wann ich diesmal eingeschlafen bin, aber irgendwann hat es geklappt. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ich mit aufgerissenen Augen und galoppierendem Herzen senkrecht in die Höhe schieße und konfus herauszufinden versuche, wo ich bin und was vor sich geht.
Nach einigen Augenblicken innerer Sammlung bin ich in der Lage alle Informationen und Eindrücke zusammenzusetzen, sodass sie ein sinnvolles Bild ergeben.
Über meinem Schlafzimmer steppt der Bär – auch wenn ich mehr an eine Horde Elefanten denken muss, die sich in Stepptanz versucht, was zwar ein witziges Bild abgibt, mich aber dennoch nicht lachen lässt.
Ich taste nach meinem Handy. Kurz vor halb acht. Ich habe fünf oder sechs Stunden geschlafen – wenn es hochkommt. Das erklärt logisch, warum ich mich fühle, wie ich mich fühle – also sowieso schon fühle, ohne den zusätzlichen Schock, den ich gerade erlitten habe. Nämlich wie eine Bombe, kurz vorm Explodieren. Das Explodieren steht in diesem Fall für ´in Tränen ausbrechen` oder ´wie am Spieß losschreien`.
Wer im Haus meint, er müsse so früh einen derartigen Lärm veranstalten? Obendrein an einem Samstag? Hat derjenige noch nie was von Rücksichtnahme gehört? Oder von dem Wörtchen Hausordnung?
Nach oben starrend, als wäre die weiße Wand über mir durchsichtig, versuche ich ruhig zu bleiben und nichts von den beiden Szenarien – heulen oder schreien – in die Tat umzusetzen. Als jedoch einen Moment darauf ein weiteres Kratzen, so als würde man etwas oder jemanden über den Boden schleifen, über die Decke geht, kann ich es nicht länger unterbinden. In meinem Kopf entwickeln sich Mordgelüste dickbäuchigen Elefanten gegenüber, dicht gefolgt von der noch verlockenderen Idee, meine Nachbarin von oberhalb den schwergewichtigen Rüsseltieren als Fußabtreter zur Verfügung zu stellen.
Beim nächsten Poltern fällt mir ein, dass über mir niemand wohnt. Nicht mehr zumindest. Die Wohnung steht seit etwa zwei Monaten leer, weswegen die morgendliche Ruhestörung einen mysteriösen Beigeschmack bekommt und meinen trägen Verstand noch stärker in Anspruch nimmt.
Trotz des sich schließlich mühsam herauskristallisierenden Gedankens, dass es mein Vermieter ist, der diverse Schönheitsreparaturen an der verwaisten Wohnung vornimmt, merke ich bereits einen Augenblick später, dass es mir ziemlich egal ist, ob er tatsächlich für diesen Lärm verantwortlich ist und was der Grund ist, warum er ihn veranstaltet. Das Einzige, was mir schwer aufstößt, ist, dass dieser Lärm existiert und mich aus dem Schlaf gerissen hat.
Etwas knallt mit einem basstönenden Rums zu Boden.
Ich presse die Augen zusammen und bete um Fassung. Im Normalfall, wenn ich ausreichend Schlaf und Essen bekomme, bin ich eine freundliche, ausgeglichene und taktvolle Person, die gut mit allem und jedem auskommt. Selbst als es um die vorherige Mieterin ging – eine überhebliche Zicke mit Extensions, falschen Fingernägeln und Nerd-Brille, die so gar nicht zu ihr gepasst hat –, konnte ich mich mit ihr und der gemeinsamem Wohnsituation arrangieren. Was jedoch das Hier und Jetzt angeht, fühle ich mich weder freundlich, ausgeglichen oder taktvoll, dafür aber enorm dünnhäutig und gereizt. Schön und gut, wenn mein Vermieter die Wohnung auf Vordermann bringen will und mit wenig Schlaf auskommt, aber deswegen muss er nicht automatisch jeden anderen aus dem Bett werfen. Derartige Aktionen, früh morgens Rasenmähen oder Bäume beschneiden zum Beispiel, hat er schon öfters gebracht. Heute ist es jedoch einmal zu viel. Obendrein hat er sich den denkbar schlechtesten Tag dafür ausgesucht.
Ich schwinge die Füße aus dem Bett, elanvoller, als ich mich fühle, und bin schon halb aus dem Schlafzimmer, als mir aufgeht, dass ich lediglich einen Slip trage. Irgendwann heute Nacht habe ich alle Klamotten auf den Boden geworfen, da es mir mit einem Mal zu warm gewesen ist. Weil man jemanden entschieden besser zur Schnecke macht, während man etwas anhat, schlüpfe ich rasch in meinen Bademantel und steige mit nackten Füßen in ein Paar Sneakers. Kurz überlege ich, mir doch eine Jeans und ein Shirt anzuziehen, entscheide mich aber dagegen, weil mein Vermieter ruhig sehen kann, dass ich direkt aus dem Bett komme – und zwar wegen ihm. Außerdem habe ich vor, nach meinem Gang nach oben auf direktem Weg dorthin zurück zu kriechen.
Die Hand auf dem Türgriff atme ich nochmals tief durch, um meine Wut einzudämmen und mich so weit zu beruhigen, nicht in Tränen auszubrechen, wenn ich meinem Vermieter gegenüberstehe. Schlafentzug kann wirklich die seltsamsten Dinge mit einem anstellen. Bei mir führt er zu emotionaler Dünnhäutigkeit und verminderter Selbstkontrolle. Und das Letzte, was ich jetzt brauchen kann, ist, mir die Blöße zu geben, weil ich während meiner Predigt losheule, wie ein übernächtigtes Kleinkind. Dass ich mich tatsächlich so fühle, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.
Im Flur stelle ich fest, dass die Haustür speerangelweit offensteht. Ein kleiner Holzklotz ist darunter geschoben, sodass sie nicht zufallen kann.
Читать дальше