Da mein Verlangen, mich jemandem mitzuteilen und lautstark über meine Lage auszulassen, stärker ist als mein aktuelles Maß an Rücksichtnahme, lasse ich es auf einen Versuch ankommen und drücke die Wahlwiederholung. Nach dem dritten Läuten nimmt jemand ab und zwar Anne.
„Rosint?“
Erleichtert seufze ich ins Telefon. „Hallo Anne, ich bin’s, Hannah. Habe ich dich geweckt?“
„Hey, nein, ich war schon im Bad und gerade auf dem Weg in die Küche.“ Eine kurze Pause. „Warum rufst du schon so früh an? Ist was passiert?“
Ihre Skepsis kann ich ihr wohl kaum übel nehmen. Ich zähle definitiv nicht zu den Frühaufstehern. Da ich wochentags notgedrungen aus den Federn muss, schlafe ich am Wochenende furchtbar gerne aus und ausschlafen bedeutet in diesem Zusammenhang mindestens halb zehn, noch besser zehn Uhr.
„Ich würde gerne noch im Bett liegen und einem schönen Traum nachhängen“, erwidere ich gähnend. Dann berichte ich Anne von meiner schlaflosen Nacht. Allerdings ohne zu erwähnen, dass ich dieses Problem bereits seit einer Woche – um genau zu sein, seit dem Abend, an dem sie mir von ihrer Schwangerschaft erzählt hat – habe. Ich berichte lebhaft und mit jeder Menge Adjektiven von dem bösen Erwachen unterhalb einer Einzugsbaustelle, die mich gänzlich unvorbereitet getroffen hat und von Alexander Koller, denn den kann ich inmitten der ganzen Story schlecht auslassen.
Nachdem Anne herauszufinden versucht hat, über was ich mich denn nun mehr aufrege – die Ruhestörung oder den, mit meinen Worten, peinlichen Zusammenstoß –, kommt sie direkt zur Sache.
„Du musst unbedingt rauskriegen, ob er Single ist!“
„Daran habe ich ehrlich gesagt noch keinen Gedanken verschwendet“, entgegne ich Augen rollend. „Ich bin froh, dass ich mich nicht mit Barbie 2.0 herumplagen muss, aber wie – und ob – ich mit ihrem Nachfolger zurechtkomme, kann ich noch nicht sagen. Im Moment habe ich gemischte Gefühle.“ Es lässt sich nicht leugnen, dass ich überhaupt und generell jede Menge gemischte Gefühle beherberge.
„Ist doch alles halb so schlimm und morgen schon wieder vergessen. Für mich hört sich das eher nach einer vielversprechenden Chance an.“
„Vielversprechende Chance?“, wiederhole ich skeptisch. „Inwiefern?“
„Schon mal was von Love Next Door gehört? Du hast die besten Voraussetzungen Alexander Koller auf unkomplizierte Weise kennenzulernen, immerhin werdet ihr euch von nun an ständig über den Weg laufen.“
„Vielen Dank, das hätte ich fast vergessen“, entgegne ich in schnippischem Tonfall und knete mir die Nasenwurzel, während ich ihre Begeisterung für meine jüngst entstandenen Lebensbedingungen übergehe. Die Worte Love Next Door rufen in mir lediglich die Erinnerung an einen Kinofilm mit Jennifer Lopez wach, in dem der Junge von nebenan alles ist, nur nicht nett.
„Was bitte ist daran so schlimm?“
„Keine Ahnung, vielleicht will ich ihm gar nicht ständig über den Weg laufen. Womöglich ist er ein Serienkiller, der nur den netten Kerl von nebenan gibt.“
„Also bitte.“
„Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit ist gering“, räume ich ein. „Aber trotzdem, möglich ist alles.“
„Ich würde eher davon ausgehen, dass er ein netter Kerl ist, den es lohnt, näher in Augenschein zu nehmen – sofern er Single ist.“
„Hört, hört, sie hat doch noch so was wie eine moralische Grenze“, fobbe ich meine Freundin. „Und selbst wenn er der nette Typ von nebenan ist – das heißt noch lange nicht, dass ich ihn kennenlernen muss. Auch wenn es dir schwerfällt, es zu glauben: Man kann Single sein, ohne verpflichtet zu sein, auf Tuchfühlung zu gehen, sobald man einem anderen Single über den Weg läuft.“
„Du könntest ihn dir wenigstens mal genauer ansehen.“
„Und du könntest mal darüber nachdenken, ob du weniger Liebesschnulzen konsumierst. Manchmal bist du schlimmer als jeder Groschenromanautor. Wahrscheinlich würdest du selbst Jesus verkuppeln, wenn er dir über den Weg liefe und gerade Single wäre.“
„Mit Jesus bin ich nicht befreundet.“
„Ich nehme an“, entgegne ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne, „das soll heißen, dass ich mich geehrt fühlen kann, dass du mich verkuppeln willst?“
„Treffer.“
„Blöd nur, dass ich überhaupt nicht verkuppelt werden will.“
Anne seufzt, vielleicht ist es auch ein Stöhnen oder eine Mischung aus beidem. Ihrer Mission tut es allerdings keinen Abbruch. „Was, wenn dieser Alexander Koller der perfekte Mann für dich ist? So, wie du ihn mir beschrieben hast, scheint er nicht gerade schlecht auszusehen – und uninteressiert an dir ist er offenbar auch nicht, wenn er von Kaffee beim nächsten Besuch redet. Ihr könnt auf gute Nachbarschaft machen und lernt euch nebenbei ganz unverkrampft kennen, ohne dass du dich mit irgendwelchen anderen Frauen herumprügeln musst. Wo und wann bekommt man eine solche Chance heutzutage noch?“
„Das ist wirklich ein ausgesprochen schöner Plan“, sage ich süß, „gäbe es nicht einen kleinen Hacken: Ich bin nicht auf der Suche nach einem Mann.“
„Sagst du nicht immer, dass du keine Zeit hast Männer kennenzulernen oder dass die, die dir über den Weg laufen, nichts für dich sind?“
„Das sage ich nicht immer, das habe ich einmal gesagt. Wobei ich vielmehr gemeint habe, dass ich keine Zeit und keinen Platz für einen Mann in meinem Leben habe“, korrigiere ich Annes Ausführung.
„Und was ist mit dem Geschmachte und Geseufze, jedes Mal, wenn Chris Evans oder Josh Duhamel irgendwo mitspielen?“
„Das sind Schauspieler, Anne. Die werden von jeder Frau angehimmelt, ohne dass ernsthafte Absichten dahinter stecken. Oder sollte sich Thomas Sorgen machen, weil du jedes Mal in Ekstase verfällst, wenn du Channing Tatum siehst?“
„Es wäre einfach schön, wenn wir häufiger zusammen um die Häuser ziehen könnten“, schwenkt meine Freundin um. Das Wörtchen ´ wieder` hängt fühlbar in der Luft. „Ich kann ja nachvollziehen, dass du dich wie das fünfte Rad am Wagen fühlst, wenn du mit lauter Pärchen unterwegs bist. Aber wenn es dich wirklich so stört, sorg dafür, dass du nicht mehr allein aufkreuzen musst.“
„War für eine selbstlose Freundin du doch bist. Immer darauf bedacht an die anderen zu denken.“
„Jetzt komm schon“, seufzt Anne, „ein Mann zum Ankuscheln hat doch wirklich was für sich! Wünscht du dir von Zeit zu Zeit nicht ein paar starke Arme?“
Nun seufze ich. Es ist nicht ganz gelogen, was Anne da sagt. Ich wünsche mir schon einen Mann, irgendwie und manchmal. Es gibt wiederkehrende Situationen, in denen man quasi genötigt ist, sich einen Mann zu wünschen. Etwa, wenn man sich allein eine Schnulze ansieht, während man obendrein seine Tage samt Bauchschmerzen hat. Oder wenn man eine fette Spinne in seiner Wohnung entdeckt. Das ist aber auch schon alles. Wobei letzteres Problem sich manchmal auch durch meinen Kater löst.
„Ein Mann wäre schon irgendwie schön“, komme ich meiner Freundin entgegen, um sie auszubremsen. „Aber es ist nicht so, dass ich unbedingt und auf jeden Fall einen brauche. Ich habe einen Job der mir Spaß macht, eine tolle Wohnung, Familie und Freunde, auf die ich zählen kann, wenn es darauf ankommt. Ich kann frei über das Fernsehprogramm oder das Ziel meines nächsten Urlaubs entscheiden, habe mein Bett für mich allein und kann tun, was ich tun will, ohne jemandem Rechenschaft schuldig zu sein. Wäre ich mit jemandem zusammen, würde sich das alles ändern, ich müsste Rücksicht nehmen oder auf Dinge verzichten. Warum sollte ich mir also einen Kerl anlachen, wenn ich doch glücklich mit meinem Leben bin, und zwar so, wie es ist? Das wäre doch überaus dumm – um nicht zu sagen, dämlich.“
„Aus dir schlau zu werden, ist so gut wie unmöglich“, kommt es nun in überfordertem Tonfall durch den Hörer. „Mal sagst du so, mal sagst du so.“
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