»Was ist los?«, fragte Justine.
Hoffentlich kann die Kleine keine Gedanken lesen.
Eines der Biester knurrte und fletschte die haifischartigen Zähne. Schaumiger Sabber troff dabei über die Lefzen, fiel zischend auf den steinigen Untergrund.
Er wusste nur zu gut, wie gefährlich die Körperflüssigkeiten dieser Monster waren.
»Hey, was soll denn das, Bella?« Justine hatte seine Hand losgelassen und sich zu dem geifernden Höllenhund gebückt. Ihre Hand strich über das Fell, welches lediglich aus einzelnen Hautfetzen bestand, die von dem blanken Skelett hingen. Der Gestank des Todes schwappte ihm entgegen.
»Bella? Du nennst dieses Viech Bella?“ Er konnte es nicht fassen, dass eine derart scheußliche Kreatur so einen niedlichen und unpassenden Namen trug.
Justine grinste ihn frech an. »Ja, das hier ist Bella, und ihr Gefährte heißt Edward. Hast du denn nicht Twilight gesehen oder gelesen?«
Ungläubig schüttelte er den Kopf. Das träume ich doch wohl alles nur. Die Tochter des Teufels liest romantische Fantasyromane. Das kann doch nicht wahr sein. Die Situation war so komisch, dass er leise lachen musste. Grinsend gab er ihr eine Antwort: »Ich muss dich leider enttäuschen. Ich stehe nicht so auf Vampirromane.«
Um die vollen Lippen der Blondine spielte ein geheimnisvolles Lächeln. »So? Auf was stehst du dann?«
Michael fuhr sich durch sein strubbeliges Haar und wanderte mit seinen Gedanken zurück durch die Zeit, in der es noch keine Freyja Rose in seinem Leben gab.
»Hexengeschichten vielleicht?« Abrupt hatte sie ihn mit der Frage aus seinem früheren Zimmer katapultiert.
Alles hatte so glasklar vor ihm gestanden. Sein Bett, darauf die Bettwäsche mit dem Emblem des Schalker Fußballvereins, das Regal mit den Büchern, sein Schreibtisch. Aber mit ihrer Frage war alles wieder Lichtjahre entfernt.
Justine zwinkerte ihm verschwörerisch zu, und in diesem Moment war Michael bewusst, dass sie mit ihm spielte. Dieses Biest. Sie weiß genau, was sie wann tut und sagt, um mich zu manipulieren. Eine unverkennbar reiche Erkenntnis, die er gewonnen hatte. Und ihre Anspielung auf seine kleine Hexe hatte das Tor zu diesem Wissen geöffnet. Ihre Lippen verzogen sich, sodass es den Anschein erweckte, als würde sie sie zu einem Kussmund formen. Er spürte, wie eine Hitzewelle durch seinen Körper fuhr und sich immer weiter ausbreitete. Mist!
»Ich meine …« Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob sie sich und trat näher an ihn heran. »Die Hexenkunst beherrsche ich auch. Ich denke, du bist eher für Abenteuer und dafür bin ich auch immer zu haben.«
Er wich ihr nicht aus, lächelte weiter sein charmantestes Lächeln. Sie ist ziemlich direkt!
Ihr verführerischer Duft kroch ihm in die Nase, und im Geiste sah er, wie er sie leidenschaftlich nahm und wild küsste, als gäbe es kein Morgen mehr. Kurz zwinkerte er, um die Bilder und die damit verbundenen Gefühle zu verbannen. Was tut dieses Teufelsweib mit mir?
Sie besaß unvorstellbare Macht, das war ihm durchaus bewusst. Aber er würde dagegen ankämpfen, auch wenn sie die Tochter von Luzifer war. Ich will überleben, und sie bietet mir die Chance, wenn ich mitspiele. Sein Lächeln verbreiterte sich noch, und sein Blick fing ihren ein. Sie erwiderte seinen intensiven Blick und klimperte mit den langen Wimpern. Dann tat sie einen weiteren Schritt und schmiegte sich dicht an ihn, so dass er ihre Hitze deutlich spüren konnte. Gegen seinen Willen legte er seine Hand um ihre Taille. Sie kontrolliert mich tatsächlich. Das kann ja heiter werden.
Mit einem unverständlichen Grunzen von Schweinegesicht brach der Bann abrupt.
Was war geschehen? Etwas war anders, das war ihm sofort bewusst. Überrascht sah er an sich hinab und stellte fest, dass er neue Kleidung trug. Angekommen war er in einer maisgelben Tunika, die er im Himmel erhalten hatte. Nun trug er ein schwarzes Hemd und eine dunkle Jeans. »Schon viel besser«, stimmte er anerkennend zu.
Justine schenkte ihre Aufmerksamkeit wieder Schweinegesicht.
Nun hatte Michael endlich Zeit, sich das Etwas, womit das Schweinegesicht vor ihrer Ankunft beschäftigt war, anzusehen. Ein schwarzes schuppiges Wesen lag gekrümmt auf dem Boden. Ist das eine Raupe? Aber dafür war die Kreatur zu groß. Vielleicht ist es aber auch eine seltene Motten-Art, die riesig ist. Es war so groß wie seine Hand. Er sah, dass sich unter dem Tierchen, oder was es auch immer war, eine Pfütze aus blauer Tinte gebildet hatte. Schweinegesicht hatte das Etwas zertreten. Mit dem Wissen kam die Erkenntnis, dass es keine Tinte sein konnte, sondern das Blut dieser fremden Kreatur. Justines glockenhelles Lachen lenkte für einen Augenblick seine Aufmerksamkeit auf sie. Dann warf er noch einmal einen Blick zu der getöteten Kreatur und erschrak. Zwei helle Knopfaugen guckten ihn hilfesuchend an. Ohne das Schweinegesicht oder Justine zu fragen, bückte er sich und nahm das Geschöpf behutsam hoch, um es sofort in seiner Hemdtasche verschwinden zu lassen. Ein leichtes Vibrieren war an seiner Brust zu spüren. Hoffentlich überlebt es das Kerlchen.
Justine hatte ihre Konversation beendet und schaute ihn wieder auffordernd an. Sie streckte ihm sogar ihre Hand entgegen. Direkter kann eine Aufforderung wirklich nicht sein.
Im Jagdhaus des Ritters von Schönburg, Anno Domini 1561
Boah , das war ja wie eine Eisdusche. Hekate hatte es wirklich drauf, böse zu gucken. Hatte ich euch schon gesagt, dass ich Eisduschen hasse? Aber noch mehr hasse ich so unangenehme Nachrichten wie die, die ich jetzt befürchtete.
Nach einer endlos gefühlten Ewigkeit reichte Hekate mir das Pergament. Ich bemerkte selbst, dass meine Finger, die das edle Papier hielten, unheilvoll zitterten. Ich schluckte und zwang mich, die fein geschriebene Kinderhandschrift zu lesen.
Meine lieben Eltern,
es ist etwas Furchtbares geschehen, das mich keine Nacht mehr schlafen lässt. Meine liebe Schwester und ich sind einem Raub zum Opfer gefallen. Unser treuer Gastvater wurde mit gleicher Post wie die Eurer bedacht. Mein geliebter Vater, bitte wendet Euch an den Ritter, damit Ihr Grete und mich alsbald aus dem Pest-Dorf erlösen könnt. Ich liebe und vermisse Euch.
Maximilian von Schönburg.

Ehe ich mir zu den Worten des Briefes ein klares Bild machen konnte, erklang vom Bett her ein unmenschlicher Schrei, sodass ich befürchtete, dass alle Gläser im Haus zerspringen würden.
»Brunhilde«, rief der Ritter und eilte zu seiner Gattin, die den todesähnlichen Schrei getätigt hatte.
Ihre Augen, die jetzt noch mehr den Anschein erweckten, dass sie aus den Höhlen springen wollten, waren weit aufgerissen, und ihre dünne, zerbrechlich wirkende Hand zeigte auf einen Gegenstand, der auf dem Tisch lag.
Zuerst konnte ich nicht erkennen, was die arme Rittersfrau so in Panik versetzte. War es ein getötetes Tier, welches der Ritter auf dem Tisch abgelegt hatte? Bei näherer Betrachtung erkannte ich, was dort in Blut getränkt lag, und eine schlagartige Übelkeit ließ meine Gedärme schmerzvoll verkrampfen. Ich musste raus, um mich zu übergeben.
Während ich mich hinter dem Haus des Ritters erleichterte, schossen mir die Gedanken zu dem soeben erlebten Horrorszenarium kreuz und quer durch meinen Kopf. Es war kein totes Tier. Nein! Es waren Haare, die auf dem Tisch lagen. Ein blonder Zopf, der in Blut getränkt war. Es war eine eindeutige Drohung, das stand außer Frage.
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