1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Der Rauch hatte sich verzogen, und ich konnte den Drachen jetzt wieder klar und deutlich vor mir sehen. »Geopfert? Du hast dich für mich geopfert?«
Sie seufzte, und erneut strömte mir ihr Rauch entgegen. »Ich konnte meine Tochter, die du bereits, so ähnlich wie deine Schwester es auch tut, malträtiert hast, retten, indem ich einen Pakt einging.«
Die Sache wurde immer verworrener. »Von was für einem Pakt sprichst du?«
»Ich versuche dir die Lösung klar und deutlich zu benennen. Was du daraus machst, bleibt dir überlassen. Also, höre jetzt meine absolut ehrlichen Worte, die nur für dich sein werden: Du kannst die Fesseln im Kopf deiner Mutter nur lösen, wenn du versprichst, für deine Mutter zu sterben. Nur durch dieses Opfer kannst du beide, deine Mutter und auch deine Schwester retten.«
Ich hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu stürzen. »Ich soll sterben? Wer hat sich denn so einen grausamen Plan ausgedacht?« Meine Stimme war nur mehr ein Wispern. Der Horror hatte sich gnadenlos in mir ausgebreitet und alle meine Zellen, so fühlte es sich jedenfalls an, befallen.
Der Drache schnaubte und schenkte mir einen Blick, den ich von meiner Großmutter her kannte.
»In der Natur findet alles seinen Ausgleich, kleine Freyja. Aber du hast recht. Dass du für die beiden sterben musst, war nicht Gaias Idee. Sie leidet selbst unter dieser Bürde. Es gibt immer auch die andere Seite, deshalb heißt es ja auch Pakt.« Der Drache seufzte abermals, und eine Träne tropfte auf Mutter Erde.
Mit dem nächsten Wimpernschlag erkannte ich, wem ich mein Schicksal zu verdanken hatte. Mir war mit einem Mal brüllend heiß. Mein Leib zitterte, als hätte ich mir eine schwere Grippe eingefangen.
»Du bist eine Rosenhexe, und in dir liegt die Hoffnung der gesamten Menschheit. Nur eine Rosenhexe kann sich diesem Schicksal stellen und das Böse so empfindlich treffen.«
Ihre letzten Worte waren wie durch Watte an mein Ohr gehallt, und dennoch verstand ich eindeutig die Botschaft, die in ihnen lag, und Hoffnung keimte schlagartig in mir auf. »Ich kann das Böse vernichten?«
»Ja! Du hast, wenn du dich entschieden hast, nicht mehr viel Zeit. Aber es gibt tatsächlich eine Möglichkeit, dein Schicksal abzuwenden.«
»Wirklich? Was muss ich machen? Wirst du mir helfen, Großmutter?« Ich war außer mir und wollte endlich alles erfahren.
»Ach Kind, niemand weiß, wann seine eigene Lebenszeit abgelaufen ist. Meine endete mit meiner Hinrichtung. Du weißt nur, dass du früher als gewöhnlich sterben musst, wenn es dir nicht gelingt, den Pakt aufzuheben. Ich werde dich nun über deine einzige Chance aufklären. Merke es dir gut!«
Ich zitterte noch stärker und spürte, wie ich gespannt den Atem anhielt.
Sie war wieder verstummt, und am liebsten hätte ich sie angeschrien, dass sie es mir endlich sagen sollte, und dann, nach Minuten, die mir wie Ewigkeiten vorkamen, sagte sie endlich die erlösenden Worte: »Du musst Elat töten. Das ist deine Chance, den Pakt für alle Zeiten auflösen.«
Ich muss mich verhört haben. Hörte denn dieser Wahnsinn überhaupt nicht mehr auf?
»Der Dämon wurde von uns gebannt«, schleuderte ich ihr meine Worte regelrecht entgegen. Ich glaubte immer mehr, mich in einem falschen Film zu befinden. Die Realitäten waren vertauscht.
Der Drache schüttelte abermals das wuchtige Haupt. »Nein! Er ist seinem Gefängnis entkommen. Die Medusa hat ihn befreit. Sie sind zusammen in diese Zeit gereist. Töte ihn, Freyja, um diesen Pakt ein für alle Mal zu beenden.«
Die Worte hingen bleischwer zwischen uns. Die Gesichter der Medusa und des Dämons geisterten vor meinem inneren Auge. Sie hatte recht, Natalja war hier, und somit war auch Zeratostus ganz in der Nähe. Uns standen jetzt zwei Todfeinde gegenüber. Ich muss Mama und Hekate beschützen. Meine Schwester auch , meldete sich eine leise Stimme in mir. Am liebsten wäre ich davongelaufen, aber ich durfte sie nicht im Stich lassen. Ich hatte eine Chance, wahrscheinlich meine einzige, um zu überleben und um meine Familie zu retten.
»Hast du noch weitere Fragen?«, riss mich der Drache aus meinem Gedankenwirrwarr.
»Nein … ja … doch. Was ist, wenn ich es nicht mache? Gibt es keine andere Lösung?« Es gab doch immer mehrere Lösungen. Es konnte doch nicht alles an mir liegen. Ich war doch nur ich, Freyja. Eine junge Frau, die noch nicht lange wusste, dass sie eine Hexe war.
»Nein! Wenn du dich dagegen entscheidest, wird Axara von dem Baby getötet werden, und deine Schwester ist dann für ewig verloren. Die Gilde der Rose wird aufhören, eine Linie von weißen Hexen zu sein. Elat hätte ein für alle Mal gewonnen.«
Ich hatte ihre Worte gehört, und doch wollte ich sie einfach nicht akzeptieren. Alles in mir sträubte sich gegen diese Tatsache. »Ich kann das nicht. Ich habe ganz große Angst und bin überhaupt nicht mutig genug.«
Ich schmeckte das Salz meiner Tränen, die mir unaufhaltsam die Wangen hinabliefen.
»Freyja, wie kommst du darauf? Du bist eine mutige Frau. Denk doch mal daran, was du schon alles gewagt hast. Erinnere dich an die Befreiung deiner Mutter, an die Gefahren der NWO und an vieles mehr.«
Ehe ich weiter protestieren konnte, sagte sie etwas, das sich mir für alle Zeit ins Herz brennen sollte. »Mut heißt nicht, keine Angst zu haben. Mut heißt, es trotzdem zu wagen, egal was kommen mag.« Ich öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass ich es nicht schaffen würde, aber sie sprach bereits weiter: »Vergiss nie, dass du nicht alleine bist. Ich glaube fest an dich. Du bist eine starke und weise Hexe. Eine echte Rose.« Mit den letzten Worten löste sie sich mitsamt den beiden Zaubervögeln in Luft auf.
Fassungslos blickte ich auf die Stelle, an der der große Drache eben noch gestanden hatte. Ich konnte die Abdrücke der Füße noch deutlich erkennen. An der Stelle war das Gras plattgetreten. Wenn es nicht gewesen wäre, hätte ich sicherlich an einen bösen Traum gedacht. Aber es war wahr! Ich musste das ganze erst einmal verdauen und konnte mit niemanden darüber reden. Auch nicht mit Hekate. Und weil ich wusste, wie neugierig meine Ahnin war, wandte ich den Zauber an, um sie aus meinem Kopf fernzuhalten. Für mich stand felsenfest, dass ich überhaupt keine Wahl hatte. Ich musste diese schwere Bürde tragen, ob ich es wollte oder nicht. Niemals würde ich es mir verzeihen, wenn Mama meinetwegen starb und meine Schwester die Person war, die das Erbe der Rose ins Verderben stürzte. Ich nahm meine Athame in die Hand, hielt das Messer hoch und blickte dabei gen Himmel, der lediglich in Fetzen zwischen den meterhohen Bäumen hervorlugte.
»Gaia«, rief ich so laut es meine immer noch zitternde Stimme zuließ. »Ich brauche deine Hilfe.«
Ich kann nicht, ich bin viel zu geschafft und schwach. Ich sollte es abbrechen . Aber in diesem Moment beseelte mich ein wundervolles Gefühl. Wärme, wie von gleißenden Sonnenstrahlen breitete sich in meinem Inneren aus. Geborgenheit, schoss mir die Beschreibung in den Kopf. Mein Blick wanderte zu allen Seiten, und ich wusste in diesem Augenblick, dass die Göttin nicht nur im Himmel war. Nein, sie war überall um mich herum. In jeder Blume, in jedem Baum, in jedem Tier. Großmutter Katharina hatte wie immer recht, ich war nie allein. Das beruhigte mich ungemein, und eine Energiewelle durchströmte mich, schenkte mir Kraft und Zuversicht, mit allem Kommenden fertig zu werden.
Meinen Zauberspruch beginnend, verneigte ich mich gen Osten und widmete den Spruch dem Element Luft.
»Bei wildem Sturm und sanfter Bö, bei Lufthauch und meinem Odem, bei Blätterrascheln und Wellen auf dem See, rufe ich dich, die Kraft der Luft!«
Ein starker Windhauch schlug mir entgegen und peitschte meine langen Haare. Ein Zeichen des Elements, dass es mich erhört hatte. Ich fuhr fort:
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