»Nein, bis jetzt habe ich noch nichts Gefährliches gesehen. Ich bin zwar alleine, aber es sind doch genügend andere Gäste und Touristen da«, erwiderte Sophia.
»Mein Mann und ich gehen abends nicht mehr alleine am Strand hinüber in den Ort. Da gab es schon mehrere Überfälle«, sagte sie.
»Na ja, zu Hause geht man auch nicht alleine durch dicht bewachsene, unübersichtliche, dunkle Ecken«, sagte Sophia.
Sie langweilte sich mit dem Schweizer Ehepaar, wollte aber nicht unhöflich sein und trank mit den beiden noch einen Fruchtcocktail.
Dann sah sie am Ende der Bucht, wie sich das Boot mit den Tauchern dem Strand näherte. Sie kamen zurück von ihrem Tauchgang. Sicherlich hatte Miguel interessantere Dinge zu erzählen und machte ihr nicht noch zusätzlich ein mulmiges Gefühl.
»Oh, sehen Sie mal. Die Taucher kommen von ihrem Ausflug zurück«, und zeigte in Richtung des Bootes.
»Das ist auch so ein riskantes Hobby«, sagte die Schweizerin.
»Aber es macht bestimmt Spaß und man sieht so viele tolle Sachen unter Wasser«, erwiderte Sophia.
»Ach, ich weiß nicht«, sagte die Schweizerin.
»Hör doch mal auf mit deiner übertriebenen Vorsicht. Du verdirbst ihr noch die ganze Freude am Urlaub«, sagte der Schweizer.
Sophia lächelte verlegen.
»Ist schon gut. Ich meine es bloß gut. Wo heute doch so viel passiert«, sagte die Schweizerin schmollend.
»Nehmen Sie es meiner Frau nicht übel. Sie ist schon viele Jahre so übervorsichtig«, sagte er zu Sophia.
»Schon okay«, sagte sie, lächelte und hoffte, sie könnte sich bald aus dem Staub machen.
»Ich weiß Ella, aber nun ist es gut. Es lauert nicht hinter jedem Stein Gefahr«, sagte er zu seiner Frau.
»Ich will nicht unhöflich sein, aber ich möchte mich noch ein wenig sonnen. Bis später«, sagte Sophia und wollte wieder zum Strand gehen.
»Passen Sie gut auf, gerade in den ersten Tagen unterschätzt man die Sonne«, rief Ella ihr nach.
»Ella!«, sagte ihr Mann nun ermahnend.
Sie guckte nur verdutzt und war still. Sophia musste lachen. So etwas wollte Sophia nicht, dass ständig jemand aufpasste, was sie sagte. Eigentlich war es gar nicht so schlecht, eine Zeit alleine zu sein und sich auf sich zu besinnen.
Manchmal, wenn sie sich so in Ruhe alles durch den Kopf gehen ließ, kamen die Erinnerungen an eine wunderschöne Zeit mit Alessandro hoch. Aber hatte sie ihn wirklich so sehr geliebt?
Sie hatte zwar sehr unter der Trennung gelitten und war traurig, aber am meisten war sie enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass er sie so eiskalt hintergangen hatte.
Wenn sie zurück dachte, wie sehr es sie damals getroffen hatte, als Stefano einfach nicht mehr da war, das war ganz anders gewesen. Sie hatte gedacht sie müsste sterben. Ihre Eingeweide fingen förmlich an zu brennen, so als zerriss es ihr das Herz und sämtliche anderen umliegenden Organe – ein ganz furchtbar beklemmendes Gefühl.
Manchmal fragte sie sich, wie alles gekommen wäre, wäre er noch da. Wären sie heute noch zusammen? Komisch, in den letzten Tagen musste sie wieder verstärkt an ihn denken. Hatte sie das doch stets verdrängt in der Vergangenheit, so war es jetzt umso präsenter.
Vielleicht, um die Trennung von Alessandro besser zu verkraften. Das alles brachte sie ganz schön durcheinander. Sie hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Hier hätte es Alessandro sicherlich auch gefallen.
Nun war sie ganz alleine hier und hatte sich endlich diesen Traum erfüllt. Sie konnte es immer noch nicht glauben.
Damals, als Stefano so Hals über Kopf aufgebrochen war, hatte sie noch eine Weile versucht, ihn zu finden, aber es war hoffnungslos gewesen. Was sie auch unternahm, verlief im Sande. Auch ihre Familie hatte keinen Erfolg gehabt.
Seine Eltern waren damals bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er war bei seinen Großeltern aufgewachsen, die aber auch nicht mehr am Leben waren. Ihre Familie hatte damals mit seinen Großeltern gesprochen, aber sie konnten es sich auch nicht erklären, wo er so Hals über Kopf hin verschwunden war. Sie hatten nichts von ihm gehört.
Was war aus ihm geworden? Ging es ihm gut? Wo war er damals hingegangen? Warum hatte er Sophia nichts gesagt und sie einfach so zurückgelassen?
Warum musste er so schnell fort? Hatte er jetzt Familie? Lebte er überhaupt noch?
Alles Fragen, die Sophia in den letzten Tagen beschäftigten und auf die sie immer noch keine Antwort wusste.
Vielleicht war es ein Zeichen und sie sollte noch einmal nach ihm suchen, wenn sie wieder zurück in Venedig war.
Wer weiß, vielleicht machte sie das. Oder sie ließ die alten Geschichten einfach ruhen. Sie wusste es nicht. Jetzt genoss sie erst mal ihren Urlaub. Wie schön es hier war.
Sie hatte ihn damals lange gesucht und ihn nicht gefunden. Manchmal dachte sie, sie hatte innerlich nie aufgehört nach ihm zu suchen. Sie hatte es nur verdrängt, weil es einfach viel zu weh tat und jetzt, wo sie ein bisschen zur Ruhe kam, kam alles wieder hoch. Irgendwie kam es ihr vor wie ein Déjà-vu was ihr da passierte.
Diese Erkenntnis erschrak sie.
Sie grübelte.
Was war dann Alessandro für mich? Ich habe ihn doch geliebt. Oder was waren das für Gefühle? Aber kann man jemanden genauso sehr lieben, wenn man schon einmal so sehr verletzt worden ist? Oder hat man eine Art Schutzmechanismus, der sich automatisch davorschaltet, wie ein Schutzschild? Vielleicht habe ich den Schmerz nur irgendwann ausgeblendet, weil die Vernunft und der Verstand, dass ich ihn nie wiedersehen werde, irgendwann über die Gefühle gesiegt haben.
Ich bin so durcheinander, so aufgewühlt. Da ist es gar nicht schlecht, dass ich jetzt hier bin und mal etwas anderes sehe.
»Du guckst ja trübsinnig. Alles in Ordnung?«, fragte Miguel, der inzwischen vom Tauchen zurückgekehrt war.
Er hatte gerade sein Tauchequipment gereinigt und zum Trocknen aufgehängt, als er Sophia am Strand liegen sah.
»Hallo Miguel, du bist schon zurück. Erzähl, wo seid ihr gewesen? Wie war es?«, fragte Sophia aufgeregt und neugierig.
»Wir sind hinausgefahren zu den Korallenbänken im Coral Garden und dann waren wir noch in Playita. Da waren große Barrakudas und Suppenschildkröten zu sehen«, sagte Miguel begeistert.
»Wow, wie tief unten seid ihr denn gewesen?«, wollte Sophia interessiert wissen.
»Am Coral Garden waren es so um die fünfzehn Meter und später in Playita waren wir knapp auf zwanzig Meter Tiefe. Es gab soviel zu sehen. Schade, dass du nicht dabei warst. Riesige Korallenbänke und Papageienfische, Barrakudas und viele andere kleine Fische, bei denen ich erst in meinem Buch nachschauen muss, was das für welche waren. Ich habe auch ein paar Fotos gemacht. Wenn du Lust hast, können wir uns die nachher anschauen«, sagte Miguel begeistert.
»Ja gerne. Das klingt alles so aufregend. Ich bin ganz gespannt auf meinen Schnuppertauchkurs morgen«, sagte Sophia.
»Das wird dir gefallen«, sagte Miguel.
»Ich glaube auch. Ich kann kaum noch erwarten«, lachte sie.
»Ich gehe mich umziehen. Wollen wir um drei in den Ort laufen? Hast du Lust?«, wollte Miguel wissen.
»Ja gerne. Da komme ich mit. Das ist eine schöne Idee. Dann bis nachher. Wo treffen wir uns?«, fragte Sophia.
»Um drei an der Rezeption. Ich freue mich, bis dann«, sagte Miguel und verschwand.
Eine Weile genoss sie noch die Sonne, das Wasser und den Wind auf ihrer Haut.
Nachdem sie noch ein bisschen im Meer geschwommen war, ging sie eine Kleinigkeit essen. Hier traf sie ein paar andere Touristen und sie ließ die Eindrücke des Tages noch einmal Revue passieren. Hätte sie doch vor lauter Aufregung fast vergessen, sich im Restaurant noch eine Kleinigkeit zu essen zu organisieren.
Sophia war glücklich und so gespannt auf das Tauchen und den Spaziergang in den Ort.
Читать дальше