Dort angekommen, hatte der Check-in bereits begonnen, sodass er sich sofort an Bord begeben konnte. Die Maschine war nur halbvoll und der Platz neben ihm war frei. Er konnte es sich für den Flug bequem machen, wenn er das wollte.
Einige Minuten später war die Maschine in der Luft und er sah aus dem Fenster. Die Wolken zogen vorbei und alles sah so friedlich aus.
Alessandro überlegte.
In knapp vier Stunden werde ich mehr wissen. Hoffentlich kann ich mit ihrer Familie sprechen. Da wir sie in der Vergangenheit bereits einige Male gemeinsam besucht haben, gehe ich davon aus, dass sie mich auch anhören werden. Wenn nicht, habe ich ein Problem.
Was mache ich dann? Dann war alles umsonst. Dann muss ich Maria bitten mir zu sagen, wohin sie gereist ist. Aber das will ich auf jeden Fall vermeiden, denn sie wird mich fragen, warum ich das um alles in der Welt wissen will. Es spielt doch keine Rolle mehr. Wir sind getrennt. Wenn ich ehrlich bin, ist mir in den letzten Tagen bewusst geworden, dass ich Sophia gerne zurück haben möchte. Ich will sie nicht verlieren. Ich möchte aber auch Maria nicht wehtun. Einer von beiden muss ich aber wehtun, so leid es mir tut. Ich weiß gar nicht, ob Sophia mich überhaupt zurück haben will.
Aber ich werde alles versuchen, damit mir das gelingt. So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Maria versteht mich nicht. Wir sind einfach zu verschieden. Sie schreit ständig nur und ist launisch.
Das habe ich bei Sophia noch nie erlebt. Sie ist meistens ausgeglichen und versucht, alles in Ruhe zu lösen. Wenn ihr dies nicht gleich gelingt, dann zieht sie sich zurück, bis eine Lösung gefunden ist. So kenne ich sie.
Ich habe einen riesigen Fehler begangen, indem ich meine Beziehung zu Sophia so leichtsinnig aufs Spiel gesetzt habe. Dabei war ich mir so sicher, dass ich Maria lieben würde und meine Gefühle für Sophia nicht mehr dieselben waren. Wie konnte ich mich nur so irren?
Während Alessandro so grübelte, fielen ihm die Augen zu und er schlief ein. Als die Maschine auf dem Boden aufsetzte, erwachte er durch ein sanftes Rucken und das Klatschen der Passagiere. Er war in Palermo angekommen.
Er wollte keine Zeit verlieren und lief zur Busstation, um weiter nach Mondello zu fahren. Etwas Zeit verging, bis der nächste Bus hielt und er einsteigen konnte. Auf der Fahrt wurde er langsam nervös. Was, wenn niemand da war oder ihn niemand reinließ?
Was mache ich hier eigentlich? Sollte ich nicht bei Maria sein, wo es ihr offensichtlich in den letzten Wochen nicht so gut ging? Mein Herz treibt mich aber dazu, dies zu tun. Ich muss es einfach wissen. Wo ist Sophia? Was kann ich tun?
Nach einer guten halben Stunde war der Ort Mondello erreicht und Alessandro machte sich auf den Weg zu Sophias Elternhaus.
Vor der Tür angekommen, zögerte er einen kleinen Augenblick. Er betrachtete das Haus, wie es sich so malerisch in die Umgebung einfügte mit seinen sandsteinfarben geputzten Wänden.
Vor dem Haus fiel ihm die üppige Blütenpracht eines Strauches auf, der über und über mit violetten Blüten behangen war.
Er fasste sich ein Herz und klopfte an die Tür. Sekunden vergingen, bis Alisa öffnete.
»Oh, das ist aber eine Überraschung. Alessandro, was machst du denn hier?«, sagte sie sichtlich überrascht.
»Entschuldige bitte, Alisa, aber ich konnte nicht anders. Hallo«, erwiderte er.
»Komm rein. Im Haus redet es sich besser als draußen auf der Straße. Du hast bestimmt etwas auf dem Herzen. Du hast doch die weite Reise nicht umsonst gemacht, oder?«, fragte sie interessiert.
Von Sophia wusste sie bereits, was sich zugetragen hatte. Aber auch wenn es sich um ihre Tochter handelte, war sie froh, dass sie die Gelegenheit hatte, beide Seiten der Medaille zu beleuchten.
»Danke. Ich habe gehofft, dass ich bei euch Antworten auf meine Fragen bekommen kann. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, sagte er verzweifelt.
»Inwiefern möchtest du denn Antworten? Worauf willst du denn hinaus?«, fragte Alisa.
»Wie du sicherlich von Sophia weißt, haben wir uns vor ein paar Monaten getrennt, das heißt, ich habe mich von ihr getrennt, weil ich mich in eine andere verliebt habe«, fing er an zu erzählen.
Alisa runzelte die Stirn, während sie ihm zuhörte.
»Warte, bevor du weitersprichst, hole ich Adriano«, entgegnete Alisa.
»Okay«, sagte Alessandro und holte tief Luft.
Alisa ging in den Keller, um Adriano zu rufen. Dieser war gerade dabei, die Weinvorräte zu sortieren. Das tat er am liebsten. Hin und wieder ließ er sich zu einem Tropfen verleiten.
»Adriano, kommst du bitte mal nach oben? Wir haben Besuch. Alessandro ist hier. Es ist wichtig«, rief sie ihm auf halbem Weg in den Keller entgegen.
»Alisa?«, fragte Adriano zurück.
»Ja, komm bitte nach oben. Es ist dringend«, rief sie erneut.
»Ich komme«, antwortete er und ließ seine Arbeit für einen Moment ruhen und machte sich auf den Weg nach oben.
Alisa war in der Zwischenzeit wieder bei Alessandro angekommen, der immer noch nervös in der Küche am Tisch saß und auf die Dinge wartete, die jetzt kommen sollten.
Adriano traute seinen Augen kaum, als er ihn da in der Küche sitzen sah.
Mit finsterer Miene begrüßte er ihn.
»Hallo Alessandro. Was treibt dich zu uns?«, fragte er grimmig.
»Ich möchte mit euch über Sophia sprechen. Ich weiß einfach nicht mehr weiter«, sagte er.
»Aha, und was spielen wir dabei für eine Rolle? Du hast vielleicht Nerven – hier aufzutauchen nach so einer Show, die du abgezogen hast«, sagte Adriano aufgebracht.
»Ich weiß, und es tut mir leid. Ich bin hier, weil ich euren Rat brauche. Ich muss wissen, wo sie ist. Ich muss mit ihr reden und einiges klarstellen«, sagte er.
»Aha, und dafür kommst du extra nach Sizilien? Sie ist nicht hier. Dich muss dein Gewissen mächtig quälen oder was führst du im Schilde?«
»Ich kann verstehen, dass ihr wütend auf mich seid. Ich wäre nicht hier, wenn es nicht wichtig wäre. Sie wollte in die Ferne reisen. Leider weiß ich nicht, wo ich sie finden kann und habe gehofft, dass ihr mir helfen könnt. Ich muss mit ihr reden«, erzählte er »Wenn ich nur wüsste, wo ich sie finde. Ich hab alles falsch gemacht. Sie hat euch sicher alles erzählt. Sie wusste bis kurz vor ihrer Abreise nicht, in wen ich mich verliebt habe, wer meine neue Freundin ist. Dann kam diese Kundin in das Reisebüro und die hat ihr alles erzählt. Dann ist sie ohne ein Wort abgereist.«, sagte er traurig.
»Das kann man nachvollziehen, dass sie verletzt ist, oder? So etwas geht gar nicht. Findest du das etwa normal? Denkst du denn überhaupt nicht nach? Du nimmst ihr mit einem Schlag nicht nur den Partner, sondern auch die beste Freundin. Hast du mal darüber nachgedacht, wie schlimm das für sie gewesen sein muss, nach allem, was sie bereits erlebt hat? Was für ein Unmensch bist du eigentlich?«, fragte Adriano wütend.
»Du weißt doch ganz genau, dass das für sie wie ein schlechter Albtraum gewesen sein muss, da sie vor einigen Jahren schon einmal etwas Ähnliches erlebt hat, als sich ihre große Liebe einfach von heute auf morgen aus dem Staub gemacht hat und niemand wusste wohin. Das hat ihr das Herz gebrochen. Wir dachten, sie könne nie wieder jemandem vertrauen und sich mal wieder verlieben, bis sie dich traf. Wir waren glücklich und haben uns für sie gefreut. Und jetzt das«, redete Adriano weiter.
Alessandro saß mit betretenem Gesicht am Tisch und hatte einen Kloß im Hals.
»In den letzten Tagen ist mir klar geworden, dass ich einen riesigen Fehler gemacht habe und dass ich sie zurück möchte. Ich will sie nicht verlieren. Ich muss sie unbedingt finden und mit ihr reden, damit ich ihr zeigen kann, dass es mir wirklich ernst ist und ich es ehrlich mit ihr meine«, sagte Alessandro.
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