In den Pausen oder nach Feierabend waren sie öfter zusammen essen gegangen und so hatte sich schnell eine Verbundenheit entwickelt. Die beiden fühlten sich von Anfang an wohl miteinander. Manchmal verstanden sie sich ohne viele Worte. Sie konnten über alles reden. Das hatte sie zusammengeschweißt.
Mittlerweile hatten sie sogar ein gemeinsames Lieblingsrestaurant. Am Abend wollten die Frauen dorthin gehen, in eine Osteria am Canal Grande. Dort konnten sie ausgiebig plaudern und bei einem guten Schluck Wein den Alltag vergessen.
Auf der Terrasse des Lokals hatte man eine herrliche Aussicht – man konnte einen Blick auf den Markt erhaschen und auf der einen Seite hatte man freie Sicht auf den Canal Grande.
Luigis Essen war umwerfend. Das Ambiente war ein Traum. Die in zartem Gelb, Weiß und Orange angeputzten Häuser fügten sich perfekt in die Landschaft ein.
Man konnte das bunte Treiben auf dem Markt beobachten, aber auch die Gondoliere sehen, die den Canal entlangfuhren.
Draußen auf der Terrasse waren die weißen Tische und Stühle für maximal vier Personen liebevoll mit einer weinroten Tischdecke und frischen Blumen dekoriert worden.
Laternen umsäumten den Rand der Terrasse, sodass das Licht am Abend für eine romantische Stimmung sorgte. Sophia liebte es und Luigis italienische Spezialitäten.
Im Innenbereich der Osteria war alles in einem zarten Altrosa gehalten. Es harmonierte sehr schön mit den hellen Möbeln. Auch hier hatte man viel Wert auf das Ambiente gelegt. Das Lokal lud zum Verweilen ein. Alle Tische waren eingedeckt und warteten auf ihre Gäste.
Maria hatte in den letzten Wochen nur selten Zeit gehabt, wenn Sophia sie gefragt hatte, ob sie gemeinsam etwas unternehmen wollten. Das war schade. Wie sehr genoss sie die lustigen Abende, die sie miteinander verbrachten.
Zurück im Laden warf sie ihre Handtasche auf den Stuhl in der Ecke und nahm das Kleid, das sie sich nach dem Essen in einer kleinen Boutique gekauft hatte. Auf dem Weg zum Laden hatte sie es aus der Tüte geholt, um es Maria zu zeigen.
Es war ein wunderschönes, leichtes Sommerkleid – und das leuchtende Rot erinnerte sie an ihren ersten Kuss in der Grotte auf Sizilien.
»Daran konnte ich nicht vorbeigehen.«
»Zieh es mal an«, erwiderte Maria.
»Heute Abend, nicht jetzt«, lachte Sophia und nahm beschwingt wieder ihren Platz an dem kleinen Schreibtisch vor dem Fenster ein. Heute war sie gut gelaunt und sprühte nur so vor Energie. Es lag noch eine Menge Arbeit auf dem Tisch und sie machte sich gleich ans Werk.
»Oh, was zieh ich denn dann heute an? Ist irgendetwas passiert, das ich wissen sollte?«, fragte Maria erstaunt.
Sophia lachte und sagte: »Nein, nichts Besonderes. Alles wie immer. Ich habe heute nur Lust dazu, mich mal wieder richtig hübsch zu machen.«
»Ach so«, erwiderte Maria. »Aber du bist hübsch«, fügte sie entrüstet hinzu, denn sie konnte nicht verstehen, warum Sophia daran zweifelte.
»Vielleicht – vielleicht aber auch nicht genug«, setzte Sophia nach.
Sie erntete ein Stirnrunzeln von Maria und ein irritiertes Kopfschütteln. Sophia war sich da in den letzten Wochen gar nicht so sicher, ob sie überhaupt hübsch genug war.
Dann machten sich beide wieder an die Arbeit. Ein paar Stunden lagen noch vor ihnen, dann würden auch sie den Feierabend genießen können.
Die Zeit verging wie im Fluge und einige nette Kunden buchten ihre Traumreise bei Sophia. Kurz vor Feierabend hatte sie noch ein paar Minuten Zeit, sich die Reisen in den neuen Katalogen ein bisschen näher anzugucken.
»Vielleicht sollte ich eine Auszeit nehmen und ganz weit weg fliegen, um auf andere Gedanken zu kommen«, murmelte Sophia vor sich hin.
»Das ist eine gute Idee, aber ganz alleine? Meinst du nicht, das ist zu gefährlich?«, erwiderte Maria.
»Du könntest mitkommen. Wie wäre das?«
Völlig überrascht und ein wenig überfordert wimmelte Maria ab.
»Einer muss sich doch um den Laden kümmern, wenn du dir die Sonne auf den Bauch scheinen lässt. Das geht leider nicht«, erwiderte Maria kurz, aber entschlossen.
»Da hast du recht, schade«, antwortete sie leise.
Sophia hing schon wieder ihren Träumen nach. Sie fühlte sich gut bei dem Gedanken an einen schönen Urlaub und ihr Bauchgefühl täuschte sie selten.
Sie blätterte durch den großen druckfrischen Katalog und blieb auf Seite fünfzehn hängen. Dominikanische Republik stand in weißen Lettern am oberen Rand geschrieben und die Palmen, der schneeweiße Strand und das kristallklare Wasser weckten das Fernweh in ihr.
Ein Seufzer entrann ihrer Brust und sie stellte sich vor, wie es sich anfühlte, den warmen Sand unter ihren Füßen zu spüren. Die Fotos versprachen ein Paradies. Sophia geriet ins Schwärmen.
Hier hatte sie als Kind immer schon einmal hingewollt, aber dafür hatte immer das Geld gefehlt.
Sophia hatte damals gemeinsam mit ihrer Familie in einem kleinen Fischerdorf auf Sizilien in normalen, bescheidenen Verhältnissen gelebt.
Früh hatte sie gelernt, das Geld zusammenzuhalten. Sie war nicht geizig, aber sie war sparsam und gab ihr Geld nicht unüberlegt aus.
Nach ihrem Schulabschluss arbeitete sie ein paar Jahre im Restaurant ihrer Eltern mit. Sie hatte sich Zeit lassen wollen, bis sie anfangen wollte zu studieren. Später war sie nach Mailand gegangen, wo sie Tourismus studierte. Sie hatte dort Alessandro kennen und lieben gelernt.
Sie hatte eine Schwäche für Künstler und hatte ihn schon damals faszinierend gefunden, obwohl er vier Jahre älter war als sie. Instinktiv hatte sie geahnt, dass sie sich an ihm die Finger verbrennen würde, doch das hatte sie nach all der düsteren Zeit, die sie verbracht hatte, beiseitegeschoben. Sie dachte nach all der Zeit darüber nicht mehr weiter nach.
Sie war endlich wieder verliebt gewesen. Sie war sich so sicher gewesen. Das musste Liebe sein. Sie hatte gedacht, sie könnte sich nie wieder verlieben. Hatte sie doch noch ein Jahr bevor sie Alessandro kennenlernte, den Glauben an die Liebe verloren. Es hatte ihr das Herz zerrissen und sie war ein ganzes Jahr lang am Boden zerstört gewesen, bis sie Alessandro traf und langsam das Glück in ihr Leben zurückkehrte.
Er, der braun gebrannte, gut aussehende Typ, der Schwarm vieler Studentinnen, hatte sich für sie interessiert. Er hatte so wunderschöne braune Augen, in denen man versinken konnte, wenn man nicht aufpasste.
Seine dunkelbraunen welligen Haare umrahmten sein makelloses Gesicht. Er war Kunststudent gewesen, als sie ihn kennengelernt hatte. Sie konnte sich ein Leben ohne ihn schon nach kurzer Zeit nicht mehr vorstellen. Er hatte ihr Komplimente gemacht und war auch so sehr aufmerksam gewesen. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass etwas in ihrer Beziehung nicht stimmte.
Sophia sah sich die palmenumsäumten Sandstrände mit ihrem türkisblauen Wasser an und schaute spaßeshalber im Computer nach, ob in dem Hotel überhaupt ein Platz frei wäre und ob es noch Flüge gäbe.
Sie tippte das Reiseziel Karibik ein und den Namen des ausgesuchten Hotels auf der Halbinsel Samana. Der Computer arbeitete und sie traute ihren Augen kaum, als sie angezeigt bekam, dass es tatsächlich noch wenige freie Kapazitäten gab. Sie konnte in drei Wochen losfliegen.
Die Versuchung war groß. Da erinnerte sie sich an einen Satz, den ihre Großmutter oft gesagt hatte, und sie musste lachen.
Versuchungen sollte man nachgeben, wenn es sich lohnt, denn man weiß nie, ob sie wiederkommen.
Maria hatte zwischenzeitlich ihren Schreibtisch verlassen und so fasste Sophia einen Entschluss: Sie würde ihren Chef Paolo anrufen, der in Mailand noch ein Geschäft leitete, in dem er sich jetzt die meiste Zeit aufhielt, und ihn um ein paar freie Tage bitten.
Sie hörte das vertraute Tuten und hoffte, Paolo würde da sein. Bereits nach dem ersten Ton des Freizeichens nahm er den Hörer ab.
Читать дальше