So vergingen nunmehr zwei Jahre. Etwas mehr als fünf Jahre waren Sophia und Alessandro schon ein Paar. Gemeinsame Freizeit mit Alessandro war inzwischen für Sophia etwas sehr Kostbares geworden, denn sie war beruflich stark eingebunden.
Aber zurzeit ließ sich daran nicht viel ändern. Nun stand auch noch diese Weiterbildung an, an der sie unbedingt teilnehmen musste. So kam es, dass sie Alessandro für ein paar Tage alleine lassen musste.
Noch konnte sie nicht ahnen, dass sie ihre schlimmsten Befürchtungen und Ängste einholen würden. Alles schien sich zu wiederholen.
An einem so wunderschönen Tag wie heute spazierte Sophia mit einem Eis in der Hand durch die schmalen Gassen von Venedig. Die Sonne schien auf ihre Haut und eine leichte Brise wehte durch ihre langen braunen Haare, um die sie viele ihrer Freundinnen beneideten. Die dunklen Haare passten sehr gut zu ihren braunen Augen. Ihr immer leicht gebräunter Teint verlieh ihrer schlanken Erscheinung noch mehr Ausstrahlung.
Jetzt, in ihrer Mittagspause, wollte sie in aller Ruhe durch die Gassen Venedigs bummeln und sich ein wenig die Zeit vertreiben. Venedig, nach ihrem Studium war sie gemeinsam mit Alessandro hierhergezogen in ein kleines Appartement. Wie sehr hatte sie sich darüber gefreut. Sie liebte die Stadt mit dem besonderen Flair von Anfang an. Die engen Gassen und die große Piazza San Marco mit ihrer Weitläufigkeit mochte sie ganz besonders.
Sie lief über den Markusplatz, vorbei an der Basilica bis hin zur Calle Laga San Marco, wo sich auch das kleine Reisebüro befand, in dem sie seit nunmehr fast zwei Jahren arbeitete. Der Ansturm im Laden war in den letzten Wochen groß gewesen, da die Ferien vor der Tür standen und alle noch einen schönen Platz in der Ferne oder unter Palmen in fremden Ländern haben wollten.
Sie liebte ihren Job im Reisebüro und war froh, dass sie hier gleich so viel Verantwortung übernehmen konnte. Weitestgehend war sie alleine für alle Vorgänge verantwortlich und musste nur hin und wieder Paolo, ihrem Chef, die Zahlen offen legen und ihm berichten, wie es lief und ob es Probleme gegeben hatte. Sie kam gut mit ihrer Kollegin Maria aus, die zwischenzeitlich ihre beste Freundin geworden war.
Sophia wusste noch nicht, ob und wohin es sie in diesem Jahr überhaupt verschlagen sollte. Die meiste Arbeit war im Reisebüro an ihr hängen geblieben und sie hatte sehr viele Überstunden gemacht, um alles im Griff zu behalten. Ihre Beziehung zu Alessandro war dabei auf der Strecke geblieben. Doch was sollte sie tun? Maria versuchte, so gut es ging, ihr zu helfen. Sie hatte ein paar zusätzliche Arbeiten im Büro übernommen.
Die gemeinsamen Abende, die die beiden hin und wieder verbrachten, waren in dieser Zeit immer seltener geworden. Sophia war froh, wenn sie es schaffte, mit Alessandro mal einen Abend gemeinsam zu verbringen, ohne vor Erschöpfung einzuschlafen. Ihr Gewissen hatte sie deswegen schon des Öfteren gequält, aber es ging zurzeit nicht anders.
Eines Abends, es war Ende April, als sie müde von der Arbeit nach einem langen Tag nach Hause gekommen war, fand sie einen Zettel von Alessandro auf dem Küchentisch. Sie hatte gerade diese anstrengende Weiterbildung hinter sich gebracht und traute nun ihren Augen nicht. Was hatte das zu bedeuten?
Das konnte unmöglich wahr sein. Wie gelähmt stand sie da und starrte auf das Blatt Papier. Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie konnte nicht viel sehen. Ihr Herz schlug wie wild in ihrer Brust. Alessandro schrieb nie einen Brief. Wenn, dann rief er an oder schickte eine SMS. Nach einem kurzen Moment sammelte sie sich und versuchte, die Zeilen zu lesen.
Hallo Sophia,
mach dir keine Sorgen und warte nicht auf mich. Meine Sachen hole ich in ein paar Tagen.
Ich will dir nicht wehtun, aber ich habe mich in eine andere verliebt. Nein, es ist nicht nur ein Flirt. Ich mag dich sehr, aber ich liebe dich nicht mehr.
Ich weiß, das ist feige von mir, aber bitte versuch, mich zu verstehen. Wir hatten eine schöne Zeit.
Alles Gute, Alessandro
Zuerst dachte Sophia an einen schlechten Scherz, schließlich war sie seit mehr als fünf Jahren mit ihm zusammen und sie waren glücklich und harmonierten sehr miteinander.
Irgendwann wollten sie sogar heiraten. Sollte sie so blind gewesen sein und das alles vor lauter Arbeit nicht bemerkt haben? Oder hatte sie es nur verdrängt? Aber andererseits machte man mit so etwas keine Scherze.
Dann überkam sie die Wut und sie warf die Vase, es war das Erstbeste, was ihr in die Quere kam, mit voller Wucht auf den Boden und stieß einen wütenden Schrei aus. Sie sackte zusammen und setzte sich auf den Boden und weinte.
Sie waren das perfekte Paar, nur dass sie hin und wieder nicht genügend Zeit füreinander hatten, da beide beruflich sehr eingespannt waren. Alessandro arbeitete am Theater und war oft an den Abenden nicht da. Tagsüber waren Proben und Sophia hatte sich sehr im Laden engagiert. So sahen sie sich relativ selten.
Sophia hatte von Männern mit ihren Lügen und Liebesschwüren erst einmal die Nase voll und stürzte sich in ihre Arbeit.
Nur schwer gewöhnte sie sich daran, dass die linke Seite des Bettes leer war. Immer, wenn sie morgens erwachte, blieb ihr Blick dort hängen. Doch Woche um Woche verging und nach und nach kam ihre Lebensfreude zurück, auch wenn sie Alessandro ab und zu vermisste. Um ehrlich zu sein, verging kein Tag, an dem sie nicht an ihn dachte. Alles in ihrer gemeinsamen Wohnung erinnerte sie an ihn. Warum hatte er ihr das nur angetan? Schließlich hatten sie sich einmal geliebt, aber DAS, was er sich jetzt geleistet hatte, konnte sie ihm auf keinen Fall verzeihen. Sie war viel zu verletzt. Sie könnte ihm nie wieder vertrauen. Es war so, als riss man ihr das Herz bei vollem Bewusstsein aus der Brust und trat darauf herum, um es dann achtlos wegzuwerfen.
Ihr Stolz hinderte sie wieder einmal daran über ihren Schatten zu springen und ihn anzurufen. Sie wollte ihn fragen, was er sich dabei gedacht hatte. Sie hatte anfangs bereits ein paar Mal versucht, ihn anzurufen, gab dann aber auf und war zu stolz, als sie bemerkte, dass er sie wegdrückte. Sie lauerte ihm am Theater auf, um ihm eine Szene zu machen. Doch dort hatte sie ihn nicht angetroffen.
Irgendwann gab sie frustriert auf. Doch jetzt, jetzt tat sie nichts – gar nichts. Sie litt still vor sich hin.
Sie hatte gehofft, dass er noch einmal das Gespräch mit ihr suchen würde. In den ersten Wochen hatte sie es versucht und ihm auch eine Nachricht geschickt. Er ignorierte sie. Sie wusste genau, sie hätte sich aufgeführt wie eine Furie, wenn sie ihn hätte zur Rede stellen können. Dann hätte sie sich mit Sicherheit nicht unter Kontrolle gehabt. Das wollte sie sich nicht antun. Sie fühlte sich einsam.
Anfangs war sie wütend. Wütend auf ihn, auf sich, wütend darüber, dass sie nichts bemerkt hatte und darüber, sich so in ihm getäuscht zu haben.
Ihrer Kollegin und besten Freundin Maria schüttete sie ihr Herz aus. Maria war im gleichen Alter wie Sophia, auch neunundzwanzig. Sie wohnten in derselben Gegend und verbrachten durch ihren Job sehr viel Zeit miteinander.
Sophia vertraute ihr. Maria war auch Single. Sie hatten viele Gemeinsamkeiten, daher verbrachten sie einen Teil ihrer Freizeit zusammen.
Paolo, ihr Chef, war vor geraumer Zeit sehr an ihr interessiert gewesen, aber darüber sprach sie nicht gerne. Einmal hatte sie erzählt, dass er ihr Avancen gemacht hätte. Doch mehr hatte sie nicht verraten.
Als Sophia damals ihren Job hier angetreten hatte, war es Maria gewesen, die ihr unter die Arme gegriffen und sie willkommen geheißen hatte. Sophia war neu in der Stadt gewesen und Maria hatte ihr verraten, wo sie vieles günstig bekommen konnte, und hatte ihr auch sonst bei allen Fragen geholfen, die sie so gehabt hatte.
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