Keiner der Gardereiter hätte über das Gespür des Kommandeurs gespottet.
Zu oft schon hatte es die Truppe rechtzeitig vor einer Bedrohung gewarnt.
Abermals wandte sich Bernot im Sattel um. »Haltet mir nur ja die Augen
offen, Gardisten. Rechnet mit der Hinterlist der verfluchten Irghil und seid auf
der Hut.«
Viele der Männer hatten bereits gegen die Bestien gekämpft und wussten,
wie trickreich und mörderisch sie waren. Doch selbst die Erfahrensten unter
ihnen wurden überrascht, als die Irghil dann tatsächlich erschienen. Es war,
als würden sie plötzlich vor ihnen aus dem Boden wachsen.
Vor dem Beritt hatte sich die grasbedeckte Ebene ausgebreitet, und jeder
der Reiter hatte genau darauf geachtet, ob nicht eines der zahlreichen
Gebüsche oder eine der Baumgruppen als Versteck für einen Irghil geeignet
war. Den scheinbar unberührten Boden hatten sie vernachlässigt. Doch dann
brach unmittelbar vor ihnen die Grasnarbe auf, und die runden Panzerleiber
der Irghil schoben sich aus der Erde hervor. Kampfeslustig reckten sie ihre
mächtigen Scheren vor, während sie auf ihren acht Beinen auf die Alnoer
zuhasteten. Sie hatten die Größe eines ausgewachsenen Pferdes und waren
schnell. Sehr schnell.
Den alnoischen Gardisten blieb nur wenig Zeit, doch die wussten sie zu
nutzen.
Der kleine Kommandeur reckte sich im Sattel, und seine Stimme klang
nun gar nicht mehr sanft. »Erster Halbberitt, absitzen und Front bilden!
Zweiter Halbberitt, lasst die Bestien nicht in unseren Rücken gelangen!«
Der Signalbläser gab ein schmetterndes Hornsignal und bemühte sich
gemeinsam mit dem Bannerträger, dicht an dem Offizier mit den drei Federn
zu bleiben.
Die Irghil, es waren rund zwanzig der riesigen krebsartigen Kreaturen,
stürmten von halblinks heran. Der ihnen zugewandte erste Halbberitt sprang
von den Pferden und hastete ein paar Schritte nach vorne. Die Bewegungen
waren oft geübt worden, und die Disziplin der Garde siegte über die Angst
der Männer beim Anblick des gepanzerten Schreckens.
»Den richtigen Winkel«, schrie Hauptmann ta Geos. »Achtet darauf, die
Lanzen korrekt zu setzen! Den richtigen Winkel!«
Gardisten mit Tellerlanzen bildeten die vorderste Front. Die Waffen waren
ein wenig länger als normale Stoßlanzen. Zwei Handbreit oberhalb des
stählernen Bodendorns führte der Schaft durch einen breiten Metallteller.
Dieser war an einer Seite angeschnitten, sodass ein Gardist die Lanze bequem
im Steigbügelschuh führen konnte. Eine Länge unterhalb der scharfen Spitze
befand sich ein zweiter Teller. Die Lanzen waren unhandlich und schwer,
doch ihr Sinn wurde sofort verständlich, wenn man sah, wie die Gardisten sie
handhabten. Sie rammten sie mit den Bodendornen in den Grund und neigten
die Schäfte im schrägen Winkel. Einen Fuß stellten sie auf den unteren Teller
und stabilisierten so die Lanze. Die Irghil konnten schnell laufen, aber sie
konnten nicht springen. Wurden die Lanzen korrekt ausgerichtet, befanden
sich deren Spitzen genau in der richtigen Höhe, um sich in die Leiber der
anrennenden Bestien zu bohren.
Zwei Schritte hinter den Lanzenträgern gingen die Bogenschützen in
Stellung. Sie hatten die normalen Kriegspfeile am Sattel gelassen und führten
nur die Köcher mit den Quetschpfeilen mit sich. Sobald sie bereit waren,
begannen sie zu schießen.
Der Leib eines Irghil war durch eine dicke Schicht Chitin gepanzert und
zudem stark gerundet. Man brauchte unglaubliches Glück, um diesen
natürlichen Schutz mit der scharfen Spitze eines Kriegspfeils zu
durchdringen. Die Quetschpfeile, die nun auf die Bestien zuschwirrten, waren
nicht so elegant wie ein normaler Pfeil. Ihre Spitzen glichen einer geballten
Faust und hatten auch deren Größe. Die Geschosse flogen daher nicht weit
und ließen sich schlecht zielen. Und während man Kriegspfeile
wiederverwenden konnte, wurden Quetschpfeile beim Aufschlag zerstört.
Aber ihre Wirkung war verheerend.
Die Spitzen bestanden außen aus einem weichen Metall, das sich beim
Aufprall auf den Chitinpanzer verformte und für einen kurzen Augenblick
daran haften blieb. Zeit genug für die im Innern verborgene stählerne Spitze,
um den Panzer zu durchdringen. Geführt von ihrer Ummantelung,
durchschlug sie das Chitin und traf in die weichen Innereien. Hier konnte die
in dem Stahlkopf enthaltene Feder genug Kraft entfalten, um dessen
Einzelteile auseinanderzudrücken. Ein Irghil war groß und hatte eine Menge
Innereien. Dem trugen die aufspringenden Spitzen Rechnung.
Nicht jeder Quetschpfeil traf, und nicht jede der Wunden war tödlich.
Doch vier Bestien, dann eine fünfte gingen sofort zu Boden. Sie knickten
einfach ein und rutschten durch den Schwung des Angriffslaufes noch ein
paar Längen auf dem abgerundeten Bauchpanzer weiter, bis sie leblos liegen
blieben. Die anderen Irghil nahmen es hin und stürmten durch den
anhaltenden Pfeilhagel voran. Erneut stürzten Bestien, doch dann hatten sie
die Front des ersten Halbberitts fast erreicht.
Die Träger der Tellerlanzen korrigierten ein letztes Mal den Winkel und
stemmten sich dem erwarteten Anprall entgegen. Hartholz ächzte, als die
Chitinleiber auftrafen. Die Bestien rammten sich die Spitzen durch die Wucht
ihres Ansturms selbst in die Leiber. Die Lanzen drangen ein, bis die Panzer
gegen die oberen Teller prallten und von ihnen aufgehalten wurden. Einige
der Bestien versuchten noch im Sterben zu töten und schnappten mit ihren
Scheren nach den Männern, doch die Länge der Schäfte war gut berechnet,
und sie grapschten ins Leere.
Einige der Lanzenspitzen trafen nicht richtig und rutschten ab.
Sofort stürzten sich die kräftigen Bestien auf die unglücklichen Gardisten
und durchschnitten ihnen mit ihren Zangen problemlos Gliedmaßen und
Hälse. Gegen diese Waffen boten selbst die Rüstungen der Reiter keinen
ausreichenden Schutz.
Der Kommandeur stieß einen wilden Fluch aus, zückte das lange Schwert
und spornte sein Pferd an. Mit wenigen Sätzen war er an jener Stelle, wo zwei
Irghil soeben die Front der Gardisten durchbrochen hatten. Eine der Bestien
legte gerade eine Zange um den Oberkörper eines Lanzenträgers und
zerquetschte Mann und Rüstung mit einer mühelosen Bewegung. Mit der
anderen Zange umschloss er den Hals eines Bogenschützen und tötete auch
diesen.
»Verfluchte Brut der Finsternis!«, schrie der kleine Kommandeur.
Ungeachtet der Gefahr ließ er sein Schwert hinabsausen. Mit einem
seltsam splitternden Geräusch durchtrennte die Schneide das Gelenk eines
Scherenarmes. Der verletzte Irghil fuhr mit einem lauten Zischen herum und
schlug mit der anderen Zange nach dem Angreifer. Der Offizier duckte sich
und spürte einen leichten Schlag oben am Helm. Er ließ sich aus dem Sattel
fallen und rollte sich trotz der schweren Rüstung erstaunlich behände auf den
Feind zu. Noch nicht mal unterhalb der Kreatur, rammte er schon die Klinge
senkrecht nach oben und traf in den aufgerissenen Rachenschlitz des Irghil.
Grünes Blut stürzte daraus hervor und bespritzte den Offizier, während der
gepanzerte Leib erzitterte. Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen,
dann brach die Kreatur tot zusammen.
Der Offizier hatte sich rechtzeitig herumgerollt und befreite nun sein
Schwert mit einer gleitenden Bewegung. Schon war er wieder auf den Beinen
und hielt Ausschau nach der nächsten Bedrohung. Zwei Gardisten eilten
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