ganze Nacht hindurch habt Ihr über Listen gebrütet und an Eure Pflichten
gedacht.«
»Der Hohe Herr Tasmund hat mir eingeschärft, nichts zu übersehen.«
Larwyn lachte leise. »Und doch ist Euch etwas entgangen, mein Freund.«
Nedeam ging im Geiste fieberhaft die Dokumente durch, die er bearbeitet
hatte. Die Vorräte der Festung mussten aufgestockt werden, drei Sättel waren
zu ersetzen und zwanzig Pferde einzureiten. Zwei neue Scharführer mussten
benannt werden, aber das würde die Versammlung der Schwertmänner selbst
übernehmen, und deren Urteil konnte er vertrauen.
Die Herrin der Hochmark lachte erneut. »Denkt an die Bedeutung des
heutigen Tages für Euer Leben, Nedeam.«
Der Erste Schwertmann errötete. »Ich habe es nicht vergessen. Ich wollte
nur …«
Abermals unterbrach sie ihn, und ihre Stimme war gleichermaßen sanft
und bestimmt. »An einem Tag wie diesem sollten Eure Gedanken nur der
Verbindung mit Eurem künftigen Weibe gelten. Heute wird Llarana zu
Llaranya werden. Ein Moment von großer Bedeutung für unser Volk und für
das der Elfen. Würdigt ihn, Nedeam, denn mit diesem Tag beginnt ein neuer
Abschnitt in Eurem Leben. Also, geht nun. Heute werdet Ihr Eure Elfin
wiedersehen. Vergesst die Arbeit und widmet Euch ganz dem freudigen
Ereignis.«
Nedeam nickte zögernd. Der angebrochene Tag war tatsächlich etwas
Besonderes. Heute würde die Verbindung zwischen Llarana und Nedeam
offiziell besiegelt werden. Das Datum war mit Bedacht gewählt worden, denn
an den Weißen Sänden des elfischen Volkes lagen die Schiffe bereit, um auch
die letzten Elfen endgültig zu den Neuen Ufern zu bringen. Er freute sich
darauf, Llarana genau an diesem Tag zu ehelichen, auch wenn ihm die
Zeremonie selbst ein wenig Unbehagen bereitete. Sie würde nicht dem Ritus
des Pferdevolkes, sondern dem der elfischen Häuser folgen. Sein
Einverständnis dazu war das Mindeste, was er seiner Llarana und den Elfen
schuldete. Sie war eine Unsterbliche und dazu bereit, ihr Volk aufzugeben,
um an seiner Seite zu bleiben. Ein beachtliches Opfer. Nedeam würde altern,
und irgendwann musste Llarana allein zurückbleiben. Sie empfanden beide
Furcht davor, und doch war ihre Liebe groß genug, das Schicksal
anzunehmen. »Kurzen Jahren des Glücks mögen lange Jahre der Trauer und
Einsamkeit folgen«, hatte Llarana schlicht gesagt, »doch werde ich immerhin
zu jenen gehören, denen für eine Weile das größte Glück beschieden war. Das
wird mir immer ein Trost sein.«
Wie so oft im Leben, schienen auch hier Freude und Leid miteinander
verknüpft zu sein.
Aber die Hohe Dame Larwyn hatte recht. Dieser Tag gehörte nur dem
freudigen Ereignis.
Der Beritt der Garde hielt oberhalb der Straße. Bald würden die Ruinen der
alten Stadt Breonaris vor den Reitern auftauchen. Vor einem Zehnteltag
hatten sie in der Ferne ein Rudel Geweihtiere entdeckt, das die gepanzerte
Truppe neugierig beobachtete. Von den grausamen Irghil war hingegen nichts
zu sehen, bis auf eine undeutliche Spur. Nur noch ab und zu waren einzelne
Abdrücke zu finden.
Vor dem Beritt erstreckte sich eine grasbewachsene Ebene. Die Truppe
hatte auf dem Kamm eines Hügels gehalten, an dessen einer Flanke
Regenstürme etwas Boden fortgeschwemmt hatten, sodass die rötliche Erde
zutage trat. Eine günstige Stelle, um Spuren der Irghil zu finden, wenn es sie
denn gab.
Zwei der Männer waren gute Fährtenleser und saßen ab, um den Hang
Stück für Stück abzusuchen. Schließlich hob einer von ihnen die Hand. »Hier
sind Abdrücke.«
Kommandeur und Hauptmann schritten nebeneinander zu der angezeigten
Stelle hinüber. Einer der Fährtenleser war in die Hocke gegangen und deutete
auf einige Vertiefungen, die Hauptmann ta Geos nur wenig sagten. »Seid Ihr
sicher, dass es die Fährte der Bestien ist?«, wandte er sich zweifelnd an die
Männer. »Ich kann da kaum etwas erkennen. Falls es wirklich Spuren sind,
scheinen sie mir doch schon sehr alt zu sein.«
Bevor einer der Fährtensucher etwas erwidern konnte, ging auch der
kleinere Kommandeur in die Hocke. Er zog den gepanzerten Handschuh aus,
und seine schlanken Finger glitten an den Konturen am Boden entlang. »Nein,
sie sind nicht alt, Hauptmann. Die Erde ist nur trocken. Seht, wie leicht sie
zwischen den Fingern zerbröckelt. Dies hier und auch das dort scheinen mir
Abdrücke ihrer Klauen zu sein. Sie sind uns zwei oder drei Zehnteltage
voraus, nicht wahr?«
Einer der Spurenleser nickte respektvoll. »Wir können sie einholen.
Beachtet die geringen Abstände zwischen den Abdrücken. Sie haben sich
nicht sonderlich beeilt.«
Bernot ta Geos rieb sich erfreut die Hände. »Dann rechnen sie auch nicht
damit, dass wir sie verfolgen.«
»Dennoch dürfen wir nicht leichtsinnig werden«, mahnte der Kommandeur
mit weicher Stimme. »Sie sind Bestien, aber wir sollten nie vergessen, dass
sie schlau sind.« Der Offizier mit den drei Federn am Helm richtete sich auf.
»Wir folgen den Spuren, Bernot, aber ich will, dass wir ab sofort in
Kampfformation reiten.«
Üblicherweise bewegte sich die Gardekavallerie in Viererkolonnen. Aber
in Jalanne war man gezwungen, die Kolonnenstärke zu erhöhen. Denn die
bestialischen Irghil in diesem Land waren grundverschieden von den
herkömmlichen Gegnern der Alnoer, den Sandbarbaren und Orks. Diese
lauerten weiter im Osten in der Wüste von Cemen’Irghil. Man konnte nie
ausschließen, dass sie einen Vorstoß nach Jalanne wagten und die Grenzen
Alnoas bedrohten. Barbaren und Orks begegnete man mit Schwert und Lanze
und mit spitzen Kriegspfeilen. Die Panzer der Irghil hingegen ließen sich
damit nicht durchdringen. Die Gardeabteilung aus der Festung Maratran
musste sich also notgedrungen gegen beide Bedrohungen wappnen. Ein
Drittel der Kavalleristen führte daher die klassischen Waffen, der Rest jene,
die man speziell gegen die Bestien entwickelt hatte: Tellerlanzen und
Quetschpfeile.
Die Abteilung ritt nun in Sechserkolonne. An den Außenseiten die Männer
mit den Tellerlanzen, dann folgten die Bogenschützen mit den Quetsch- und
Kriegspfeilen, und die Gardisten mit den gewöhnlichen Lanzen befanden sich
in der Mitte.
Hauptmann Bernot ta Geos war nach einem Gespräch zumute. Er glaubte
nicht mehr daran, dass sie die Irghil noch stellen würden. Missmutig sah er
seinen Kommandeur von der Seite an. »Die Lemarier sind Narren. Sie
benutzen nicht einmal die Signalspiegel, die wir ihnen gegeben haben. Sie
bräuchten uns nur nach Maratran zu signalisieren, dass sie Handelsware
haben oder Hilfe benötigen, und wir würden sofort aufbrechen und ihnen
beistehen.« Er spuckte verächtlich aus. »Stattdessen versuchen sie immer
wieder, sich an den Bestien vorbeizuschleichen und lassen sich abschlachten.
Narren. Verdammte Narren.«
»Sie mögen Narren sein«, seufzte der kleinere Reiter, »aber vor allem sind
sie stolz, und das ist etwas, was ich gut verstehen kann. An ihrer Stelle
würden wir vielleicht genauso handeln.«
Bernot lachte trocken. »An ihrer Stelle …« Der Hauptmann verstummte,
als der Kommandeur sich leicht im Sattel aufrichtete. »Was ist?«, fragte er
angespannt. »Könnt Ihr etwas sehen? Irghil?«
Die kleine Gestalt schüttelte zögernd den Kopf. »Nein, nicht sehen, mein
guter Bernot. Aber ich fühle, dass etwas nicht stimmt. Ich spüre ihre Nähe.«
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