1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 So brütete Lander nun über Kriterien wie ”Selbständiges Arbeiten”, ”Kooperation mit anderen Behörden”, ”Kenntnis und Befolgung von Gesetzen und Vorschriften”, ”Beherrschung neuer Medien” und anderen Qualitätsmessern seiner Arbeit. Er überlegte, mit welchen Argumenten er eventueller Kritik seines Chefs an seinen diesbezüglichen Leistungsnoten begegnen könnte. ”Soziale Kompetenz” ? auch ein Kriterium ? hatte er ja genug, wenn auch eher von der barschen Art, sonst hätte er seinen Job gar nicht machen können.
Während er sich noch Stichworte notierte, um seine Leistungen in das rechte Licht zu rücken, klingelte sein Telefon. Der Chef war in der Leitung, ohne sich zu melden, wie immer. Kurz, knapp, etwas brummig.
„Wir haben da ein paar Hinweise auf Betrugsversuche, Stichwort ‚RFID’. Die Kollegen von der Wirtschaft haben mich darauf angesprochen, denn es gibt auch Hinweise auf Gewaltverbrechen. Also unsere Zuständigkeit. Irgendwas ist da im Gange! Und wir identifizieren Leute mit den neuen Ausweisen mit dieser Technik. Machen Sie sich doch mal sachkundig!”
Das hatte Vorrang vor seiner Vorbereitung auf das ‚BuF’, das war ihm klar. Wie er es inzwischen gewohnt war, suchte er zuerst Rat bei Google® im Internet mit dem Begriff RFID . Doch die Meldung, die er sah, motivierte ihn nicht, diesen Weg weiter zu verfolgen. 8 Millionen Fundstellen , dachte er, die haben wohl ‘nen Knall!
Wie gut, dass er einen Fachmann kannte. Mike, der siebzehnjährige Sohn seiner Lebensgefährtin Miriam, hätte wohl gerade Schulende.
Miriam wohnte mit Mike zwar seit einiger Zeit von ihm getrennt in einer eigenen Wohnung, von der Arbeitsagentur finanziert, aber sie waren noch immer eine Familie, im weitesten Sinne. Als zusammenwohnende ‚Bedarfsgemeinschaft’ wären sie finanziell nicht hingekommen, da Miriams Suche nach einer Arbeitsstelle bislang ohne jeden Erfolg geblieben war. So bekam sie wenigstens ein wenig staatliche Unterstützung. Auch Mike war gerade im Begriff, sich eine eigene kleine Wohnung zu suchen – eine attraktive Option für einen jungen Mann mit intensiven Kontakten zum anderen Geschlecht, und dazu ohne jede finanzielle Belastung. Und auch Lander entdeckte unbestreitbare Vorzüge eines gelegentlichen Alleinlebens: die wiedererlangte Herrschaft über die Fernbedienung ebenso wie die Selbstbestimmung, sich morgens sein Hemd und seine Hose selbst aussuchen zu dürfen. Was seine Erscheinung eher nicht positiv verändert hatte, aber das blieb ihm verborgen.
Jetzt hatten sie eine Wochenendbeziehung. Nicht die schlechteste Lösung für einen Mann und eine Frau, deren Temperament sich voneinander unterschied wie ein gemütlich tuckernder Schiffsdiesel von einem hochgezüchteten Formel-I-Motor. Und nichts lässt einen Mann schneller und nachhaltiger verstummen als die Aufforderung am Frühstückstisch: „Nun unterhalte dich doch ein bisschen mit mir!“ – vor allem, wenn man dabei die Lektüre der Sportseite unterbrechen und höchstes Interesse an Verdauungsproblemen und nächtlichen Schlafstörungen vorspiegeln muss.
Nun beschränkten sich morgendliche Vorträge über die Unterschiede zwischen einem Zwiebelmesser und einem Obstmesser auf das Wochenende, und er konnte die Feng-Shui -gerechte Veränderung seiner Wohnung weitgehend wieder rückgängig machen. Auf der anderen Seite bemerkte er, wie er durch die Trennung der Wohnungen eigenbrötlerischer und ungeselliger wurde und vor allem den Kontakt zur Jugend verlor – was nicht zuletzt auch für seine Arbeit schädlich war.
Es hatte damals, vor vier Jahren, einige Zeit gedauert, bis Mike die neue Beziehung seiner Mutter zu ‚dem Bullen’ akzeptiert hatte. Als Jugendlicher hatte er naturgemäß ein lockeres Verhältnis zu Recht und Ordnung gehabt, dann aber allmählich gemerkt, dass Lander kein sozialpädagogisches Weichei war, sondern ein Mann mit Prinzipien, der ihm zwar die notwendigen Freiheiten ließ, aber auch feste Grenzen setzte. Mike hatte auch begriffen, dass der neue Partner seiner Mutter nicht Skateboard -Fahrer in der Fußgängerzone schikanierte oder harmlose Bürger bespitzelte, sondern eine wichtige Funktion zum Schutz der Gesellschaft ausübte, die auch ein Dreizehnjähriger verstehen und gutheißen konnte.
So freute Lander sich, Mike nun auch einmal außerhalb des Wochenendes treffen zu können. Eine Verabredung im Starbucks an der Ecke war schnell getroffen. Was hatte man bloß vor zwanzig Jahren ohne Handy gemacht?
Mike, hochgeschossen wie ein Bambusrohr nach einem Monsunregen, saß schon da und sortierte seine Beine unter dem kippeligen Bistrotisch. Zuerst sprachen sie über die Schule, den Sport, Mikes Moped und andere Dinge, doch dann kam Lander zur Sache: „Sag’ mal, was weißt du über RFID?”
„Ahrrr-eff-ei-die”, wiederholte Mike mit rollendem ‚r’, um zu zeigen, dass er wusste, dass der Begriff aus dem amerikanischen kam. Dann die Gegenfrage: „Was weißt du denn über RFID?”
„Na ja, das sind die Chips in den Ausweisen, die die Personendaten enthalten. Wir haben ja die Lesegeräte in den Streifenwagen. Oder die neuen Etiketten – ich glaube, im Englischen nennt man sie Tags – an Luxuswaren, früher war das der Strichcode. Aber ich weiß nicht mal, was die Abkürzung bedeutet.”
„ Radio Frequency Identification , also auf deutsch etwa ‚Funkerkennung’. Eigentlich ist das nur ein herkömmlicher Mikrochip, egal welcher Art, kombiniert mit einer Datenübertragung durch Funk. Der Chip, der Fachausdruck ist ‚Transponder’, sendet Funksignale, nicht etwa Infrarot wie bei einer Fernbedienung am Fernseher. Du brauchst also keinen Sichtkontakt, das ist wichtig. Die Funksignale werden vom Lesegerät an der Ladenkasse oder an der Passkontrolle empfangen und in Daten umgesetzt. Bei aktiven Transpondern hast du eine eigene Stromversorgung und eine Reichweite von vielen Metern. Die OBU bei der Lkw-Maut ist ein Beispiel, der zugehörige Leser ist in der Autobahnbrücke installiert.”
„OBU?”
„ On-Board Unit , also ‚An-Bord-Kiste’, der RFID-Transponder im Lastwagen. Aber die ‚ passiven’ Transponder ohne eigene Stromversorgung sind viel kleiner und sind in Etiketten, Schlüsselanhängern, Plastikröhrchen unter der Haut bei Tieren, auf Pappkarten oder Chipkarten zur Zutrittskontrolle, praktisch überall. Beim letzten Marathonlauf waren sie auf die Schuhe geklebt. Irgendwo auf der Strecke rannten die Läufer über Kunststoffmatten mit eingebetteten Lesegeräten und wurden so kontrolliert. Scheidungsanwälte und Detektive warten schon auf RFID-Tickets für die U-Bahn – ein besseres Beweismittel als die Bewegungsprofile der Fremdgänger ist kaum denkbar! In den USA bauen es besorgte Eltern mit kombinierten GPS-Chips in die Schuhe ihrer Kinder ein, damit die Kids nicht verloren gehen. In Südamerika kämpfen sie mit dieser so genannten Geolokalisierung gegen die blühende Entführungsindustrie. Doch die für die Industrie wertvollste Anwendung ist Supply-Chain Management , also das Managen und Überwachen von Warenflüssen. Aber der Mensch ist auch eine Ware im Sinne der Industrie, oder? Zumindest im Tourismus wird er so behandelt, von anderen Branchen oder den Behörden will ich gar nicht reden.“
„Und was ist daran so schlimm?”
„Beim alten Strichcode konntest du sehen , dass das Etikett gelesen wird, weil der Laserstrahl direkt über die Striche geführt werden musste. Meist mit der Hand, von einer Person. Hier wird über Funk gelesen, eventuell über größere Entfernung. Der Leser kann überall sein und du merkst es nicht! Im Türrahmen eines Geschäftes, im Teppich, über den du gehst, im Aktenkoffer des Mannes, der hinter dir steht.”
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