„Schaut, dort vorn ist ein Segel, man kann es kaum erkennen, aber ich glaube, es nähert sich der Bucht.“
Tatsächlich, weit draussen segelt ein Boot daher. Das muss Theophanos sein! Alle springen auf, und wir rennen und stolpern den steinigen Weg zur Bucht hinunter. Sofort hängen wir einen Mantel an einen Ast des Baumes, ziehen uns dann zum Gebüsch zurück. Das Boot scheint stehen zu bleiben, dann löst sich ein kleiner Schatten davon und kommt auf uns zu, in der rasch einsetzenden Dämmerung erst kaum zu erkennen, aber bald sind wir sicher, Theophanos holt uns. Näher kommt er und näher, wir waten durch das seichte Wasser hinaus, und Theophanos hilft uns ins Boot.
Der Wind frischt auf, die kleinen Wellen, die sich so hübsch kräuselten, werden höher und das Rudern wird anstrengender. Aber bald legen wir beim Fischerboot an und klettern an Bord. Theophanos bindet das kleine Ruderboot am Heck fest und setzt dann das Segel. Die Küstenlinie ist dunkel zu erkennen, die ersten Sterne winken am Nachthimmel und das Boot nimmt Fahrt auf. Pagai liegt bald weit hinter uns, aber der Wind wird immer stärker, das leichte Säuseln hat sich in eine steife Brise verwandelt. Kleine Schaumkrönchen erscheinen auf den Wellen, die immer höher werden, und das Boot schaukelt wild. Vater Theophanos zeigt auf die Küste:
„Eigentlich wollte ich euch um den Hügel dort vorne herum in die Bucht von Korinth bringen, denn dort seid ihr sicher. Die Leute des Kritias werden es kaum wagen, bis auf korinthisches Territorium vorzudringen. Wie ihr seht, kommt aber ein rechter Sturm auf, daher bringe ich euch in die kleine enge Bucht dort drüben. Ein Pfad führt über den Hügel in die Bucht von Korinth, es ist gar nicht weit, ihr schafft das in kurzer Zeit.“
Wie können wir den beiden Männern nur danken, ohne ihre Hilfe hätten die Leute des Kritias uns sicher erwischt!
Der Mond, der vor kurzem noch ein wenig Licht gespendet hat, wird jetzt von einer grossen Wolke verschluckt und nur noch ein paar letzte Sterne glitzern durch die Wolkenlücken, als wir die kleine, geschützte Bucht erreichen.
Nun fragt Theophanos, der Vater:
„Was wollt ihr in Korinth tun?“
Ich erkläre ihm, dass wir ein Schiff suchen, das uns nach Syrakus bringt.
„Es ist schon Herbst, viele Schiffe machen sich da nicht mehr auf den Weg übers Meer, die Herbststürme sind unberechenbar. Aber mit etwas Glück solltet ihr schon noch einen Kapitän finden, der euch mitnimmt. Passt aber auf. Da sind auch ein paar ganz undurchsichtige Gestalten in diesem Geschäft!“
„Wie meinst du das?“ fragt nun Ariston.
„Da ist einer, wir nennen ihn den Phönizier, aber niemand weiss so genau, wo er her kommt. Er nimmt immer wieder Leute auf seinem Schiff mit und verspricht ihnen, sie sicher dorthin zu bringen, wo sie hin möchten, manchmal macht er sogar Umwege für seine Passagiere!“
„Das tönt aber doch sehr gut!“ meine ich.
„Genau, darum findet er ja immer wieder Passagiere. Das Problem ist nur, sie kommen nie dort an, wo sie hin wollten. Vermutlich verkauft er sie unterwegs in die Sklaverei. Wenn dann Angehörige sich erkundigen, sagt er immer: „Woher soll ich wissen, was die Leute machen, wenn sie ausgestiegen sind? Ich bringe sie dorthin, wo sie wollen, was nachher passiert? Wer weiss?“ Also passt auf und vertraut nicht jedem!“
Wir alle sind starr vor Entsetzen. Mit solchen Schwierigkeiten haben wir nicht gerechnet. Wie sollen wir einen verlässlichen Kapitän von einem Halunken unterscheiden? Das freundliche Lächeln des einen sieht wohl aus wie das des andern.
„Ich kenne zwei Kapitäne, denen ihr vertrauen könnt,“ erklärt jetzt Theophanos, „der eine heisst Istanos, ihr erkennt ihn leicht, er ist klein und rund und hat rote Haare. Der andere heisst Menos, er ist wortkarg, aber sehr zuverlässig und ein ausgezeichneter Seemann, er bringt Schiffe heil durch ganz üble Stürme. Sein Schiff ist etwas kleiner als die meisten anderen und es hat einen Mast, der unten schwarz und oben ockerfarbig ist. Sieht etwas sonderbar aus, aber das Boot ist in Ordnung. Ich weiss nicht, ob einer der beiden im Hafen ist, wenn nicht, versucht herauszufinden, ob man auf sie wartet, die Händler auf dem Markt wissen das gewöhnlich, sie warten ja auf die Waren.“
Wir danken für die guten Ratschläge, klettern aus dem Boot und waten an Land. Dann winken wir den davonsegelnden Fischern nach, wenden uns dem Hügel zu und suchen den Pfad. Der ist leicht zu erkennen, und wir beschliessen, noch im Dunkeln weiter zu ziehen und die Sicherheit der korinthischen Seite zu suchen. Tatsächlich haben wir die Kuppe bald erreicht. Der Wind bläst uns um die Ohren, rund um uns rascheln die Blätter, Gebüsch biegt sich im Wind, unsere Mäntel flattern, aber wir haben den sicheren Hafen vor uns und wir sind alle glücklich.
Nun ist es aber stockdunkle Nacht, dicke Wolken schlucken alles Licht, das der Mond uns vorher noch ab und zu durch Wolkenlücken gespendet hat. Der Pfad ist kaum noch zu erkennen. Wir müssen einen geschützten Platz finden, um auf den Tagesanbruch zu warten. Vorsichtig wandern wir noch eine Weile weiter, halten Ausschau nach einer Art Obdach. Eine Hütte ist nirgends zu sehen, aber da entdecke ich einen grossen Steinblock, der uns doch Schutz vor den immer heftiger werdenden Windböen und dem jetzt auch einsetzenden Regen bieten könnte. Hinter dem Felsblock finden wir einen trockenen Platz, die leichte Neigung des Felsens und ein mächtiger Baum dahinter bilden eine Art Dach. Dicht gedrängt setzen wir uns an die Felswand, immerhin haben wir einen trockenen Platz und dafür sind wir dankbar.
Im Morgengrauen verzehren wir unser letztes Brot, ein paar Oliven und etwas Käse und überlegen uns das weitere Vorgehen. Wir hatten uns das ganz einfach vorgestellt: Wir gehen zum Hafen, fragen: wer fährt nach Syrakus und steigen auf ein Schiff. Aber nach der Erzählung des Theophanos von Halunken, die gutgläubige Reisende nicht nur um ihr Geld sondern auch gleich noch um ihre Freiheit bringen, scheint das Unterfangen nun doch etwas komplizierter zu sein.
Wie unterscheidet man einen Halunken von einem ehrlichen Mann? Die schlimmen Taten werden dem Übeltäter ja kaum eine schwarze Nase beschert haben. Jemanden fragen? Wer sagt uns, dass dieser nicht ein Helfershelfer des Halunken ist? Die Sache ist doch schwieriger als gedacht, und so beschliessen wir, nach den beiden Kapitänen zu suchen, die Theophanos uns genannt hat. Sollten die Schiffe nicht im Hafen ankern, wollen wir auf dem Markt nach ihnen fragen. Einer der Händler erwartet sicher Waren und weiss, wann etwa diese Schiffe ankommen sollten, so hoffen wir wenigstens.
Im Hafen angekommen, gehen wir von Schiff zu Schiff und plötzlich steht ein Seemann vor uns fragt freundlich:
„Wohin soll es gehen, ihr guten Leute?“
Ariston strahlt, er will wohl gleich sagen: „Nach Syrakus!“ Aber da erkläre ich rasch:
„Ach, wir betrachten nur die Schiffe, weisst du, wir kommen aus den Hügeln, da sehen wir selten sowas und finden das sehr interessant. Weiss du, wohin die Schiffe segeln werden?“
Jetzt überschlägt sich der Seemann fast vor Freundlichkeit, sein breites Grinsen zeigt uns, dass nur noch drei dunkle Zahnstummel vorhanden sind, aber in seinen Augen blitzt ein gieriges Leuchten auf. Immer wieder fahren seine Augen zu einem grossen Boot, das am Rande des Hafens vertäut ist. Dann zeigt er auf die ersten zwei Boote und meint:
„Schaut, die sind nicht sehr gross, die fahren nur zu den nächsten Häfen, aber das dort drüben,“ er zeigt auf das grosse Schiff, „das kann euch überall hin bringen, wohin ihr auch wollt. Der Kapitän tut alles für seine Passagiere.“
Seine Augen flitzen nun von einem zu andern, scheinen uns zu mustern:
„Ich kann euch ja mal das Schiff dort zeigen, ich kenne den Kapitän, von innen ist so ein Boot viel interessanter als von aussen! Kommt mit! Ich habe gerade ein bisschen Zeit!“
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