Nein, heute hatte er anderes im Sinn. Bei dem fröhlichen Lärm und dem lustigem Treiben, das in der alten Halle herrschte, konnten sich die beiden ungestört fühlen. Sie saßen dicht beieinander, so nah, das Ago durch das Leinen der Röcke die Wärme ihres Körpers, ihrer Haut spüren konnte. Amalgunde litt anscheinend gern seine Nähe, denn sie drückte sich leicht an ihn, so dass der junge Herr die Kraft ihrer Schenkel zu spüren vermochte. Wie von selbst fanden sich ihre Hände. Ago fühlte ein Pochen in seinen Lenden, dass er nicht zu deuten wusste. Amalgunde, älter und erfahren in vielen Dingen, von denen Ago nicht einmal etwas ahnte, wusste mit einem Blick in seine Augen, was mit ihm los war, zog ihn lächelnd an der Hand, hin zu einer versteckten Seitentür des Rittersaales, so dass ihr verschwinden kaum bemerkt werden konnte.
„Komm, schnell“, hauchte sie dem verwirrten Jungherrn ins Ohr. Ungesehen erreichten sie die die große Scheune in der Heu und Stroh für den Winter eingelagert waren. Hier konnten sie sich nicht nur ungestört fühlen. hier war es auch angenehm warm. In der Wärme des Heues lagen sie dicht beieinander. Mondlicht fiel durch eine der Luken herein, so dass sie sich, wenn auch nur schemenhaft, sehen konnten. Agos Verwirrung war einer leichten Beklommenheit gewichen, denn er ahnte wohl, was jetzt auf ihn zukam, nur hatte er keine genaue Vorstellung von dem, was ihn wirklich erwartete. Amalgunde legte behutsam den Arm um Agos Nacken, zog ihn sanft näher zu sich heran. Er verlor all seine Scheu, gab sich ganz seinen Empfindungen hin. Durch das dünne Linnen der Cotta hindurch spürte Ago die weiche, warme Haut an seiner glühenden Wange, atmete den Duft ihres Körpers. Ein ungeahntes Glücksgefühl durchströmte ihn. Er wünschte sich, dass es niemals nachlassen möge.
Im Rittersaal war es wieder still geworden. Viele der Burgleute schliefen tief und fest, teils auf Bänken und
Tischen, teils einfach auf dem Hallenboden, wo auch Bertram laut schnarchend lag. Doch das Verschwinden der beiden jungen Menschen war nicht verborgen geblieben. Ein Paar stahlgrauer, hellwacher Augen hatte geradeso noch einen Blick auf die sich schließende Tür erhaschen können. Freya war es nicht entgangen, wer da gerade den Rittersaal verlassen hatte.
Voller Vorfreude hatte sie den Saal betreten, mit leuchtenden Augen, das Gesicht voll froher Erwartung. Nun war nichts mehr von alldem zu sehen. Die Augen blicklos, irgendwie verloren, in einem stumpfen, grauen Antlitz. Freya schüttelte leicht den Kopf und verließ, völlig in sich zusammen gesunken, den Festsaal.
Burghild, die bei den Musikanten, in der Nähe des Einganges saß, hatte bemerkt, das mit Freya etwas nicht zu stimmen schien. Die Gräfin erhob sich zunächst zögernd, so als wäre
sie sich nicht ganz sicher, was zu tun sei, schritt dann aber energisch zum Portal des Rittersaales, verschloss es hinter sich und beeilte sich mit weitausgreifenden Schritten, Freya einzuholen. Sie musste nicht weit laufen, schon hinter der nächsten Biegung des Ganges hatte sie Freya erreicht. Behutsam griff sie nach der Hand der jungen Frau, zog sie sanft zu sich heran, Freya war noch immer wie gelähmt, sprach noch immer kein Wort.
Die beiden Frauen standen vor der Tür zu Burghilds Kemenate. Die Herrin schob den Riegel zurück und trat mit der Fackel in der Hand ein, während sie Freya hinter sich her zog. Sie zündete die Kerzen an, die überall an der Wand verteilt, auf kleinen Simsen befestigt waren und steckte die Fackel zurück in die Halterung. Jetzt kehrte das Leben in
Freya zurück, sie warf sich in die Arme der Gräfin und schluchzte hemmungslos. Burghild ließ sie gewähren. Endlich schaffte Freya es, wenn auch oft vom Weinen unterbrochen, zu erzählen, was geschehen war.
„ Das Ago dir da sehr weh getan hat, versteh ich nur zu gut. Trotzdem bin ich über sein Verhalten sehr erstaunt. Allerdings darf man sich über ihn nicht wundern, er hat sich in der letzten Zeit sehr stark verändert und entwickelt Eigenheiten, die uns Frauen gar nicht gefallen. Lass mich mit reden.“
Bald darauf lag Freya im eigenen Bett. So recht schlafen konnte sie nicht. Die Worte der Gräfin wirbelten ihr noch immer im Kopf herum.
„Ich werde morgen einmal mit ihm reden müssen“, wiederholte sie flüsternd die Worte der Gräfin.
Der nächste Morgen bescherte den Bewohnern der Burg einen herrlichen Vorfrühlingstag, die Sonne stand schon fast im Zenit, ihre Strahlen zauberten einen Hauch von Wärme auf die Gesichter der wenigen Menschen, die im Freien ihrer Arbeit nachgingen. Auch Bertram war schon wieder auf den Beinen, Er war unterwegs zum Ostturm, um nach seinem Freund zu sehen. Am Fuße des mächtigen Bauwerkes blieb er stehen, legte den Kopf in den Nacken und blickte in die Höhe, als wäre er sich nicht sicher, ob er die steile Treppe heute bewältigen konnte. Er kam dann doch zu dem Entschluss, hinauf zu gehen, denn Ago zu rufen, hatte von hier unten keinen Sinn, der Freund würde ihn nicht hören. Kaum dass der Kreuzfahrer die Hälfte der Stufen geschafft hatte, wurde ihm so übel und schwindelig, dass er sich erst einmal setzen musste. Wieder einmal fasste er den Vorsatz, nicht mehr so viel zu trinken.
„Wenn der verdamme Met doch nicht so gut schmecken würde!“ fluchte er vor sich hin.
Oben angekommen, öffnete Bertram leise die Tür zum Zimmer des Freundes. Dort drinnen war es so dunkel, dass er kaum die Hand vor seinen Augen sehen konnte. Er kannte den Weg aber auch so, mit drei, vier großen Schritten durchmaß er das Gemach, erreichte die Fenster und riss die Felle weg. Im selben Augenblick war der Raum von gleißender Helligkeit erfüllt. Bertram wurde so stark geblendet, dass er eine ganze Weile brauchte, um wieder sehen zu können. Aus dem großen Fellhaufen, unter dem der Freund sich befinden musste, lugte nur ein Büschel blonder Haare hervor. Bertram grinste hinterhältig. Irgendwie musste er Ago doch ein wenig necken können. Sein Blick wanderte zum Fenster. Und richtig: Da hatte der Wind in der Nacht genug Schnee auf dem Sims abgelegt, um Ago damit ein wenig zu waschen. Um ans Ziel zu gelangen, mussten erst einmal einige der Felle verschwinden, wobei Bertram nicht sonderlich vorsichtig sein musste, er kannte den tiefen Schlaf des Freundes. Der Rest war einfach: Zwei Hände voll eiskalten Schnees auf Gesicht und Oberkörper des Grafen verteilen, zur Seite springen und sich über den prustenden und schnaubenden Gefährten amüsieren.
„Mich kannst du heute nicht ärgern“, lachte der Freund, der auf der Bettkante saß, „niemand vermag mich heute zu ärgern!“
Bertram schaute verwundert auf Agos Gesicht. Da war ein Glanz auf der Haut, ein leuchten in den Augen, das ganze Gesicht schien von innen heraus zu strahlen.
„Was ist mit dir, hattest du wieder einen Traum?“ fragte Bertram lachend.
„Nein, mein Freund, diesmal war es kein Traum. Wenn es auch traumhaft war!“
Der Kreuzfahrer schien etwas zu ahnen. Er blickte noch einmal, leicht amüsiert in das Gesicht des Freundes, um dann heraus zu platzen: „ Du bist ja verliebt!“
„ Ja, ich bin verliebt“, erwiderte Ago mit völlig verklärtem Gesicht, das Bertram erneut zu einem Lachanfall zwang. Nachdem er sich einigermaßen wieder gefasst hatte, wurde er neugierig:
„Sag mir, mein Freund, kenne ich sie?“
„ Ja, du kennst sie. Es ist die Geheimnisvolle Fremde mit den seltsamen Augen, die Küchenmagd, über deren Herkunft nichts bekannt ist. Die einfach vor dem Burgtor abgelegt worden ist.“
„Du hast wirklich einen guten Geschmack, Ago“, lachte Bertram, „sie ist tatsächlich wunderschön. Und so wie sie aussieht, kann sie nur von edelster Herkunft sein. Ich sprach
einmal mit deiner Mutter über diese seltsame Fremde. Sie war wie ich der Meinung, das dieses Kind sehr viel Glück gehabt hat, dass es hier abgegeben worden war. Woanders wäre Amalgunde im Bett des Herrn gelandet.“
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