Bertram, der die Gefahren einer Reise ins Heilige Land schon
einmal auf sich genommen hatte, wusste nur zu gut, welche Fährnisse auf sie lauerten. Aber konnte er seine Fahrt wirklich mit dem Vorhaben Agos vergleichen? Nein, sagte er zu sich selbst, das geht nicht. Mehr als zehntausend Ritter haben mit mir das Kreuz genommen. Zurück in die Heimat kamen nur 500. Jetzt werden wir nur zu zweit sein. Wir werden nicht auffallen.
„Bertram stehst du jetzt an meiner Stelle im Burghof herum und träumst?“ Es war Agos Stimme, die den Kreuzfahrer aus seinen Gedanken riss. „Nein, mein junger Herr, soweit ist es noch nicht. Ich musste an unser Vorhaben denken. Was passiert bei einem Überfall? Ich habe mit deinem alten Waffenmeister gesprochen, der sagte mir, dass du mit Schwert und Schild leidlich zurecht kommst, das dir der Umgang mit Pfeil und Bogen nicht fremd ist. Nur hilft dir das im Heiligen Land nicht, da bist ihr tot, ehe du die Sehne gespannt habt, da liegst du blutend im Sand, bevor das Schwert gezogen ist!“
„ Was hast du vor Bertram, du hast doch gewiss schon etwas im Sinn, oder täusche ich mich da?“
„Nein“, erwiderte der Kreuzfahrer, „du hast dich nicht geirrt. Unsere Fahrt können wir eh erst im Frühjahr beginnen. Der Winter ist lang, wir werden viel Zeit zum üben haben. Und du hast mein Versprechen, das ich aus dir bis dahin einen leidlich guten Kämpfer mache!“
Ago freute sich auf die Lehrstunden mit seinem Freund.
Einen besseren Lehrmeister konnte er nicht bekommen, da war er sich sicher. Es gab aber auch keinen, der so hart und gnadenlos war. Aber das wusste er nicht.
Die ersten Tage waren die schlimmsten, jedenfalls in den Augen der Mutter. Die bedauerte ihren Sohn, dessen Hände von den rauen Griffen der hölzernen Übungsschwerter blutig gerissen wurden. Aber sie war auch stolz auf ihn, denn er hielt ohne zu klagen durch, bis sich eine schützende Hornhaut auf seinen Händen bildete.
Zu Beginn dauerten diese Waffenübungen zwei bis drei
Stunden am Tag. Danach hieß es für Ago, noch einmal die gleiche Zeit, mit den Männern der Burgwache zu ringen, was ihn stärker und wendiger machen sollte.
Im Schwertkampf wurde er bald so gut, das er Bertram so manches Mal in arge Bedrängnis brachte, der Kreuzfahrer musste dann zu einer etwas hinterlistigen Finte greifen, wollte er seinem jungen Gegner Paroli bieten. Trotzdem konnte er es nicht immer verhindern, das Ago seine Deckung durchbrach und ihm so manche blutige Schramme verpasste. Das wiederum tröstete Burghild über die Leiden ihres Sohnes hinweg.
Durch die harte Ausbildung war Ago sehr muskulös geworden. Jetzt waren seine Schultern wirklich in die Breite gegangen.
Er schlich nicht mehr durch die Burg wie noch vor wenigen Wochen, sein Gang war nun aufrecht und stolz, voller
gespannter Kraft.
Wintersonnenwende war vorüber, Ago hatte gerade ein paar Tage Ruhe gehabt, als Bertram ihn mit zum Waffenmeister schleppte.
„Meister Guntram, hier bringe ich euch meinen besten Schüler! Er ist mit dem hölzernen Übungsschwert nun so gut, dass er jetzt mit einem richtigen Schwert kämpfen darf!“
Ago schaute verdutzt von einem zum anderen, er wusste nicht, was er von des Freundes Worten zu halten hatte. Der alte Waffenmeister, der Ago schon das erste Holzschwert geschnitzt hatte, musterte den jungen Herrn aufmerksam.
Ein Lächeln huschte über das alte, faltige Gesicht, das von schlohweißem Haar umrahmt wurde. „Du hast dich sehr verändert, mein Freund. Die Übungen mit Bertram haben einen Mann aus dir gemacht. Und einen Krieger, der es gewiss auch bald mit den Sarazenen aufnehmen kann.“
Während der Alte irgendwo in einer dunklen Ecke der Waffenkammer rumorte, bewunderte Ago die prachtvollen Schwerter, die sich in einem Ständer direkt neben der Tür zur Waffenkammer befanden.
„Wenn wir uns auf den Weg ins Heilige Land machen, wirst du auch mit diesen Waffen umgehen können. Du wirst dir dann gewiss eine davon aussuchen dürfen.“
„ Warum darf ich es jetzt noch nicht?“ wollte Ago wissen. „Weil du noch nicht gut genug bist!“ dröhnte es aus der
Tiefe der Rüstkammer.
Der Waffenmeister kam zurück, beladen mit zwei
mächtigen Schwertern. Eines davon drückte er Ago in die Hand, das andere nahm Bertram mit einem richtig
schmutzigen Grinsen entgegen. Der junge Graf betrachtete das Schwert in seinen Händen. Allein die Klinge maß wohl an die anderthalb Ellen, die Breite betrug fast eine ganze Spanne, während die Dicke ein halbes Zoll ausmachte. Ago stellte das Riesenschwert auf dem Boden ab, blickte ziemlich verstört von einem zum anderen.
„Was soll ich denn damit? Ich kann es kaum halten, damit kann ich doch nicht kämpfen!“ entrüstete er sich. Statt einer Antwort nahm Bertram ihm das Schwert ab, fasste es am Griff, hielt es mit gestrecktem Arm so weit von sich weg, das die Spitze Agos Hals beinahe berührte. Der war im Augenblick wieder der kleine Junge, der nicht begreifen konnte, was da vor sich ging, während Bertram in schallendes Gelächter ausbrach. Der alte Waffenmeister drehte das Übungsschwert herum, hielt Ago den Griff entgegen:
„Versuchs!“
Eine wilde Entschlossenheit blitzte aus Agos Augen, den beiden würde er es schon zeigen. Er spannte seine Hand um den Griff, während Guntram bedächtig das Gewicht, das Ago halten musste, vergrößerte, indem er die Klinge einfach langsam losließ. Ago musste die ganze Kraft seiner fühnfzehn Jahre aufbieten, um das Eisen zu halten. Er zitterte am ganzen Körper, er hatte Angst, dass ihm Muskeln und Sehnen reißen würden. Die Arme brannten, als strömte flüssiges Blei durch seine Adern, aber er hielt, bis die Finger seinem Willen nicht mehr gehorchten, den Griff lösten und das schwere Eisen zu Boden polterte.
„Gut gemacht, mein Sohn“,
dröhnte die Stimme des Waffenmeisters durch die Rüstkammer.
„Wenn du mit diesem Schwert so schnell bist wie mit deiner hölzernen Übungswaffe, wirst du mit einem Dutzend
Sarazenen fertig.“
Unter dem weiten Vordach des Grünfeldes lag kaum Schnee, ein idealer Standort für den hölzernen Ritter, den Ago schon mit seinen ersten Übungsschwertern stundenlang bearbeitet hatte. Das dicke, harte Leder, mit dem das Holz überzogen war, wies schon so machen Flicken auf, trotzdem sah aus manchem neuem Riss wieder Stroh hervor.
„Von deinen früheren Übungsstunden her kennst du sicher noch die Achterregel. Ich will dich trotzdem noch einmal an sie erinnern: Eins, schlag auf die linke Kopfhälfte, zwei, schlag auf die rechte Kopfhälfte, drei auf die linke Schulter, vier schlag auf die rechte Schulter...“
„ Hör auf, Bertram, ich kann die Regel auch im Schlaf noch.“
„ Dann fang an! Aber bitte erst langsam! Und wenn du Kraft
genug hast, eine Stunde lang ohne Pausen zu üben, kannst du schneller werden. Vergiss nicht, deine Hüfte einzusetzen, das gibt deinen Schlägen erst die Kraft, auch einen Schild zu spalten.“
Immer anstrengender wurde das Training, dem Ago sich unterzog. Wirklich hart aber wurden die Zweikämpfe
mit Bertram, bei denen sie die schweren Übungsschwerter einsetzten.
Seine Übungen nahmen jetzt täglich acht Stunden in Anspruch, manchmal noch mehr, wenn Bertram nicht zufrieden war, was allerdings immer seltener vorkam. Es war wirklich eine harte Zeit für Ago. Zu den täglichen Waffengängen
mit Schwert und Schild, Speer, Wurfaxt und den Wurfdolchen, kamen die Ringkämpfe mit der Burgwache. Um die Ausdauer zu verbessern, musste er die steile Treppen
zu den Wehrgängen rauf und runter laufen. Ago ertrug die Strapazen, ohne zu murren oder zu klagen, denn er hatte jetzt ein Ziel, das er erreichen wollte, auch wenn der Weg dahin sehr hart war, er würde ihn zu Ende gehen, um des Vaters Willen.
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