Ebenso zeichnete sich nicht einmal der Schatten eines Bartes auf Wangen und Kinn ab, ohne dass ich mich in den letzten Monaten rasiert hätte. Ein Blick auf meine Fingernägel machte mir bewusst, dass auch sie seit meiner Verwandlung nicht gewachsen waren. Ich hatte bisher gar nicht darauf geachtet, aber nun fiel es mir auf. Mein Gesicht war weder schmaler, noch runder geworden. Nein, es war genauso, wie ich es in Erinnerung hatte.
Es schien, als sei ich in gewisser Weise in dem Zustand konserviert, in dem ich mich unmittelbar vor der Verwandlung befunden hatte. Alles, was daran etwas geändert hätte, seien es Wunden, Narben, abgebrochene Nägel oder dergleichen, wurde von meinem Körper regeneriert und in den alten Zustand zurückgeführt. Eine eigenartige Vorstellung... Ob beruhigend oder eher Besorgnis erregend, vermochte ich dabei nicht einmal zu sagen. Für die Begegnung mit den Menschen allerdings, war das zunächst nicht von Belang.
Mit einem Kamm, der glücklicherweise bereitlag, ordnete ich schließlich meine Haare und zupfte die vom Schlaf verrutschte Kleidung noch etwas zurecht. Dann wandte ich mich von dem Spiegel ab, steckte die Geldbörse in meine Westentasche und verließ das Gasthaus; allerdings nicht, ohne den Wirt noch gebührend für seine Dienste zu belohnen. Überschwänglich bedankte er sich und ich empfand es mal wieder als eindrucksvoll, wie sehr die Welt dem Geld zu Füßen lag. Ein Umstand, den ich zukünftig auch bei der Auswahl meiner Opfer mit zu berücksichtigen gedachte. Denn es würde immer wieder Situationen geben, in denen mir wohl nur die Taler helfen konnten, meine Wünsche zu unpassenden Uhrzeiten erfüllt zu bekommen.
Als Erstes an diesem Abend, noch vor der Jagd, suchte ich einen Lederwarenhändler auf. Glücklicherweise fand ich auf Anhieb einen, der sich auch nach Ladenschluss noch in seinem Geschäft aufhielt, sodass ich nur anzuklopfen brauchte. Er zögerte zwar, mir zu öffnen, ließ sich aber mithilfe eines entschuldigenden Lächelns meinerseits doch dazu überreden.
Auf diese Weise erstand ich mir schließlich einen überteuerten, fast mannshohen Schrankkoffer, den ich nicht etwa für die vielen Kleidungsstücke benötigte, die ich nicht besaß. Nein, er würde mir andere Dienste leisten müssen: Er würde meine dunkle Schlafgelegenheit sein, wenn ich einmal unterwegs war und nirgends ein, vor dem Sonnenlicht absolut sicheres Nachtlager bis zur Morgendämmerung finden konnte.
Ihn zu besitzen empfand ich doch als ungemeine Beruhigung und ich gab dem Händler ein großzügiges Trinkgeld, damit ich den Koffer noch solange bei ihm unterstellen durfte, bis ich ihn dann im Laufe der Nacht abholen würde.
Hiernach machte ich mich schließlich auf die Jagd, bis ich satt genug war, um nicht gleich bei dem bloßen Geruch jedes beliebigen Menschen gegen darbenden Blutdurst ankämpfen zu müssen. Dabei achtete ich außerdem darauf, den Inhalt meiner Geldbörse noch etwas zu vermehren.
Es mag routiniert klingen, wie ich diese Angelegenheit hier schildere, aber das war sie in diesem Moment ganz und gar nicht. Im Gegenteil: es war das erste Mal, dass ich als Mensch, den ich nun darstellte, tötete.
Die Auswahl meines Opfers erfolgte zudem nicht, wie sonst, nach rein moralischen, sondern ganz eindeutig auch nach sehr egoistischen Maßstäben. Erschwerend kam noch hinzu, dass mein Opfer – ein Mann meines Alters - nicht vor mir erschrak oder beim ersten Anblick bereits wusste, dass ich nichts Gutes bringen würde. Vielmehr fasste er direkt Zutrauen zu mir, sodass er mich sogar mit den üblichen Floskeln begrüßte, als ich mich ihm näherte. Ich tat mich daher wirklich schwer, ihm so unbarmherzig das Leben auszusaugen. Aber ich versuchte mich dem Mitleid zu verschließen und stattdessen an das Prinzip der Selbsterhaltung zu denken.
Fressen und gefressen werden... In diesem Moment galt es nun eben, mich zu nähren und mein Überleben zu sichern.
Für den nächsten Abschnitt meiner Reise machte ich mich auf die Suche nach einem Kutscher, der bereit war, mich noch in dieser Nacht in die nächste große Stadt zu fahren.
Allerdings erwies sich dies als viel schwieriger, als ich zunächst gedacht hatte. Das lag nicht unbedingt daran, dass der Abend schon fortgeschritten war und nur noch Wenige überhaupt wach waren, die ich hätte ansprechen können. Nein, es war noch früh genug, um ausreichend Kutschen auf der Straße anzutreffen, die sich gerade auf dem Weg zu den Stallungen befanden oder sogar schon davor standen, während die Pferde noch für die Nacht versorgt wurden. Doch gleich, wen ich ansprach und versuchte, mit einem guten Preis zu locken, jeder lehnte strikt ab, des Nachts zu fahren, was mich zugegebener Maßen sehr verwunderte.
Erst nach längerem Suchen und einer deutlichen Preiserhöhung, traf ich endlich auf einen Fahrer, der sich zwar schwer mit der Entscheidung tat, aber schließlich doch einwilligte.
Da sich die Pferde bereits im Stall befanden, musste ich eine Weile warten, bis sie wieder herausgeführt und vor die Kutsche gespannt worden waren. Währenddessen beobachtete ich interessiert, wie die Stallburschen – etwas mürrisch, weil sie sich eigentlich schon in ihrem erwarteten Feierabend wähnten - ihre Arbeit verrichteten. Der Kutscher trieb sie dabei ungeduldig an, während er, die Brauen sorgenvoll zusammengezogen, selbst Hand mit anlegte. Er wollte die Fahrt allem Anschein nach schnell hinter sich bringen, fast als sei sie ihm unheimlich, auch wenn ich mir diese Furcht nicht erklären konnte.
Nachdem die Kutsche endlich bereit zum Aufbruch war, öffnete der Fahrer einen Deut zu ruppig die Kabinentür und signalisierte mir mit einer pflichtbewussten Geste, nun einzusteigen. Doch ich winkte ab.
`Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne oben auf dem Kutschbock mitfahren´, erklärte ich.
Der Fahrer, ein schlanker, kleiner Mann, sah mich für einen kurzen Moment irritiert an, wobei er seine ohnehin schon schmalen Augen skeptisch zu zwei Sicheln zusammenkniff.
Ich lächelte entschuldigend.
`Ich genieße es immer, mir bei der Fahrt die frische Luft um die Nase streichen zu lassen.´
Die Wahrheit aber war, dass ich mit ihm sprechen wollte. Mir war einfach danach, mich mit einem Menschen zu unterhalten, denn ich hatte schon so lange kein richtiges Gespräch mehr geführt. Zudem war ich neugierig, was es für Neuigkeiten aus der Welt der Lebenden gab.
Nach kurzem Zögern nickte der Fahrer schließlich stumm und stieg, ohne sich weiter nach mir umzusehen, hinauf auf seinen Platz. Ich tat es ihm nach, wobei ich langsam daran zweifelte, dass ich neben diesem Mann tatsächlich auf meine Kosten kommen würde, und so begann die Fahrt tatsächlich sehr schweigsam.
Nachdem wir, auf meine Bitte hin, noch meinen Schrankkoffer bei dem Lederwarenhändler abgeholt und auf die Gepäckablage geschnallt hatten, sollte es endlich auf die Reise gehen. Griesgrämig trieb der Kutscher die Pferde an und starrte dabei wortlos vor sich hin, ohne mich weiter zu beachten.
Ich empfand sein Verhalten als recht unhöflich. Immerhin wurde er mehr als gut von mir für diese Fahrt bezahlt, und ein Fünkchen mehr Freundlichkeit konnte man dafür doch schließlich verlangen. Dann aber dachte ich mir, dass es viel interessanter wäre, herauszufinden, warum diese nächtliche Fahrt ihn sowie all die anderen derart mit Widerwillen erfüllte, und ich entschloss mich, aller Abweisung zum Trotz ein Gespräch mit ihm zu beginnen.
`Was für eine herrliche Nacht, nicht wahr?´
Ein Murren war die einzige Antwort, die ich bekam. Ich wartete eine Weile, doch der Kutscher machte keinerlei Anstalten gesprächiger zu werden.
`Ich nehme an, Sie verdienen nicht jede Nacht so gut wie diese?´
Auf ein zustimmendes Grunzen seitens des Fahrers folgte wieder bloß beharrliches Schweigen. Aber gerade, als ich meine Hoffnung auf eine gehaltvollere Antwort aufgeben wollte, begann der Kutscher tatsächlich doch noch zu sprechen.
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