werden satt und träge. Als wir um unser tägliches Brot kämpfen mussten,
waren die Menschen hartgesottener. Oh, die Männer und Frauen in den
Gehöften und Weilern sind noch immer hart, Garodem, mein Herr. Aber die
Menschen hier in Eternas üben sich kaum noch im Gebrauch der Waffen. Sie
schätzen nicht mehr die Kraft der Lanze, sondern nur noch die Weichheit der
Gewänder und den Genuss des Blutweins aus Malvins Schänke.«
Garodem sah den Scharführer nachdenklich an. »Ich verstehe, was Ihr
meint, alter Freund. Ihr mögt nicht ganz unrecht damit haben.«
Der Pferdefürst blickte freundlich um sich, nickte den Menschen zu und
begriff, dass Kormund sie mit anderen Augen sah. Und als Garodem die
Bewohner der Stadt nun selbst näher betrachtete, fielen ihm mit einem Mal
Veränderungen auf, die er bislang nicht beachtet hatte. Einiges an Kormunds
Worten war nur allzu wahr. Die Menschen von Eternas begannen sorglos zu
werden. Garodem musterte die Gebäude. Manche der Türen waren längst
nicht mehr so massiv und widerstandsfähig gebaut, wie dies noch vor
wenigen Jahren der Fall gewesen war. Sie waren leichter, zierlicher und
bequemer zu betätigen. Auch manche der Fensterläden wiesen diesen Makel
auf, und Garodem erkannte überrascht, dass in vielen der Fensterklappen
nicht einmal mehr Schießscharten vorhanden waren, durch die Pfeile auf
einen Angreifer abgeschossen werden konnten.
Der Pferdefürst räusperte sich nachdenklich und sah seinen Scharführer
ernst an. »Ich fürchte, an Euren Worten ist mehr wahr, als mir lieb sein kann.
Ich werde mit Larwyn darüber sprechen.«
Kormund verlor kein Wort darüber, dass sein Pferdefürst ein ernstes
Problem mit seiner Gemahlin besprechen wollte. Ein guter Pferdelord
besprach alle Probleme mit seinem Weibe, denn schließlich teilten sie nicht
nur die Bettstatt miteinander, sondern hatten auch eine gemeinsame
Verantwortung für ihr Leben und das ihrer Kinder. Kormund spuckte aus.
Vielleicht galt dies für die Bewohner Eternas ja gar nicht mehr. Aber Larwyn
war keine Bewohnerin der Stadt, sie war eine rechtschaffene Frau des
Pferdevolkes, und es war gut, wenn Garodem sich mit ihr besprach.
Der Scharführer war froh, die bedrückende Enge zwischen den Häusern
der Stadt hinter sich lassen zu können, und vielleicht ging es Garodem
ebenso, denn der Fürst trieb sein Pferd zu einem raschen Galopp, der die
kleine Gruppe über den breiten und mit geebneten Steinen ausgelegten Weg
hin zur Burg führte.
Doch zuvor lenkte Garodem sein Pferd noch über die steinerne Brücke an
das gegenüberliegende Ufer des Flusses Eten. Kormund bemerkte die
überraschten Blicke der Torwache, als sie kurz vor dem Ziel noch einmal
abbogen und die kleine Schar Garodem über die Brücke folgte.
Am anderen Ufer erstreckten sich die Baumbestände der Hochmark. Jene
Bestände, die aufgrund ihres hohen und geraden Wuchses so wertvoll waren.
Gerades und starkes Holz für gute Pfeile und gute Lanzen. Vor den dichten
Baumreihen erstreckte sich ein flacher langer Hügel. Ein viel zu langer Hügel,
denn seine Erde bedeckte die Opfer der Schlacht um Eternas: Männer, Frauen
und Kinder, die im Kampf gegen die Orks gefallen waren.
Garodem stoppte sein Pferd, ließ die Zügel fallen und saß ab. Sein Pferd
würde dort selbst im dichtesten Schlachtgetümmel stehen bleiben, bis er es
wieder herbeirief, denn es war zum Kampf ausgebildet.
Der Pferdefürst schritt zu dem Hügel hinüber, und seine Gedanken waren
bei jenen, die nach dem Glauben des Pferdevolkes nun zwischen den
Goldenen Wolken einhereilten.
»In des Lebens Wonne und des Todes Not, soll Eile sein stets das Gebot,
in Treue fest dem Pferdevolk, der Hufschlag meines Rosses grollt, soll Lanze
bersten, Schild zersplittern, so wird mein Mut doch nie erzittern, ich stehe fest
in jeder Not, mit schnellem Ritt und scharfem Tod.«
Es war der Treueid des Pferdevolkes, den jeder Pferdelord leistete, wenn er
den grünen Umhang erhielt, und Kormund und die anderen Begleiter
Garodems lauschten ergriffen den leisen und festen Worten ihres Fürsten.
Keiner von ihnen würde diesen Eid jemals brechen oder vergessen, dass die
hier ruhenden Toten gestorben waren, um dem Pferdevolk eine Zukunft zu
ermöglichen. Kormund wusste, das der Pferdefürst und viele seiner
Schwertmänner oft an diese Stätte der Erinnerung kamen, um den Toten Ehre
zu erweisen, aber er konnte sich nicht erinnern, in den letzten beiden Jahren
einen der Stadtbewohner hier gesehen zu haben, und das erfüllte ihn mit
wachsendem Grimm.
Garodem blickte an dem langen Hügel entlang, dann atmete er tief durch
und schwang sich wieder auf sein Pferd.
»Zur Burg, alter Freund Garodem?«, fragte Kormund mit gesenkter
Stimme, noch immer unter dem Eindruck von Garodems Worten.
Der Pferdefürst atmete erneut tief durch und schüttelte den Kopf. »Nein,
ich will erst nach dem Holzeinschlag sehen, Kormund, alter Freund.« Er legte
die Hand in einer kurzen und freundschaftlichen Geste auf Kormunds Arm.
»Wir dürfen das hier niemals vergessen.«
Kormund wollte Garodem in diesem Moment nicht darauf hinweisen, dass
es sehr wohl Menschen gab, die diesen Ort bereits aus ihrem Gedächtnis
verbannt hatten. »Das werden wir nicht. Kein wahrer Pferdelord wird das
Geschehen jemals vergessen.«
Garodem nickte. »Ihr könnt mit den anderen zur Burg reiten. Ich folge
euch dann später nach.«
Kormund nickte zögernd. Aber zwischen den Bäumen hindurch ertönten
das Schlagen von Äxten und die Stimmen von Männern und Frauen, sodass
Garodem wohl keine Gefahr durch ein Raubtier mit vier oder zwei Beinen
drohen dürfte. Er nickte erneut, winkte dann den anderen Männern, und die
kleine Schar trabte über die Brücke zur Burg hinüber, während Garodem sein
Pferd zum Holzeinschlag lenkte.
Diesseits der Brücke gab es keine gepflasterten Wege mehr, und so hatten
sich hier die Räder der Holztransporter tief in den Boden gegraben. Es war
leicht, dem Lärm zu folgen und den Ort zu finden, wo Männer und Frauen aus
Eternas die ausgewiesenen Bäume fällten. Garodem sah zu den Wagenspuren
und stieß ein missmutiges Knurren aus. Die Abdrücke unterschieden sich und
zeigten dem Pferdefürsten, dass hier Fuhrwerke aus der Hochmark neben
denen einer anderen Mark gerollt waren. Die Räder der Hochmark
hinterließen schmale Furchen, die anderer Fahrzeuge sehr viel breitere. Der
Grund lag in der unterschiedlichen Beschaffenheit der Räder. Der einstige
Holzmangel der Hochmark hatte zur Entwicklung von stabilen
Speichenrädern geführt. Das sparte kostbaren Rohstoff und machte die Räder
sehr viel leichter. Die waldreichen anderen Marken des Pferdevolkes
benutzten noch immer die traditionellen Scheibenräder aus massivem Holz,
die jedoch weniger stabil waren und daher fast doppelt so breit gebaut werden
mussten, wodurch sie sehr viel schwerer wurden. Auf diesem Pfad war ein
ebensolches Fuhrwerk gerollt, was den Unmut des Pferdefürsten hervorrief,
denn es hatte hier nichts zu suchen.
Garodem ließ seinen Hengst im Schritt gehen, und langsam wurde der
Lärm der Arbeiter deutlicher. Er vernahm das Schnalzen von Peitschen, Rufe
und das Schlagen der Äxte, dazwischen das Knarren und Brechen fallender
Stämme, gemischt mit dem Rauschen der Äste, sobald sie mit den Blättern
auf den Boden schlugen.
»Aus dem Weg mit dir, willst du erschlagen werden?«, drang ein wütender
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