Laura nickte und versuchte angestrengt, die Tränen der Enttäuschung zurückzuhalten. Sie wollte nicht länger mit ansehen, wie Michelle strahlte. Voller Traurigkeit verließ sie die Turnhalle und ging nach Hause.
Sollte er doch den Abend mit seiner Michelle verbringen!
Cedric war besorgt gewesen, als er Laura auf der Halloween Party nicht mehr finden konnte. An der Bar stehend, nach dem dritten Weißbier, begann Tobias zu reden. Er erzählte Cedric von Lauras unheimlichen Träumen. Dann holten beide auch Vanessa zu diesem Gespräch. Sie berichtete ebenfalls über den Inhalt der Träume.
Cedric war sehr besorgt.
Ihm war bewusst, wie gefährlich dieser Traum war.
Sie vereinbarten schnellstmöglich ein Treffen. Das Problem musste besprochen und gelöst werden.
Am Sonntagabend trafen sie sich an der Rückseite der Schule.
Zwischen dem Haupthaus und dem Sportplatz befand sich die Raucherzone, die jedoch auch ein beliebter Treffpunkt war, da der Standort nicht eingesehen werden konnte.
Es war bereits dunkel, als Laura und Vanessa mit ihren Fahrrädern die Schule erreichten. Tobias lehnte lässig am Zaun.
„Wo ist Cedric?“, fragte Laura, nachdem sie von ihren Rädern gestiegen waren.
„Das ist merkwürdig“, antwortete Tobias mit einer seltsam belegten Stimme.
„Was ist passiert?“
„Ich hatte vorhin einen Zettel im Briefkasten“, antwortete er. „Eine Nachricht von Cedric.“
„Was ist daran merkwürdig?“, unterbrach Vanessa.
„Ein handgeschriebener Zettel! Hallo?“, sagte Tobias. „Das hat man im letzten Jahrhundert gemacht. Cedric hätte mir eine SMS oder eine Nachricht über WhatsApp geschickt.“
„Stimmt“, nickte Vanessa. Sie wäre auch niemals auf so eine abwegige Idee gekommen, jemandem eine handgeschriebene Nachricht zukommen zu lassen. Wozu gab es Handys?
„Bist du sicher, dass der Zettel von Cedric war?“
„Ich glaube schon“, antwortete Tobias. „Es sah aus wie seine Handschrift, aber ich bin kein Graphologe. Wann schreiben wir schon noch etwas mit der Hand? Wir benutzen doch nur noch einen Computer.“
„Zeig mal die Nachricht, ich kenne die Handschrift von Cedric“, bat Laura.
„Äh ja, den habe ich nicht mehr“, stammelte Tobias. „Der ist irgendwie verschwunden oder so.“
„Wie geht das denn?“
„Ich habe ihn eingesteckt, da bin ich mir sicher. Als ich ihn vorhin rausholen wollte, war er verschwunden.“
„Was stand denn darauf?“
„Er will uns im Heizungskeller treffen. Dort könnten wir gemeinsam das Problem lösen. Es lag wirklich an der Geisterbeschwörung, schrieb er. Wir sollen schnellstmöglich in den Heizungsraum kommen und ihm helfen.“
„Cedric ist allein im Heizungskeller?“, stotterte Laura erschrocken. „In meinem Traum standen wir vor einer verschlossenen Tür. Wir sollten uns beeilen. Ich glaube, er ist in Gefahr!“
„Wie? Äh... was?“, fragte Tobias. „Jetzt in der Dunkelheit allein in den Heizungskeller gehen? Vielleicht gibt es dort Geister!“
„Hast du etwa Angst?“
„Ihr habt doch eine Klatsche! Was Laura da vorschlägt ist unmöglich. Wir kommen doch gar nicht in den Heizungskeller!“
„Ätsch...“, lächelte Vanessa. „Ich bin doch in der SMV. Wir haben für Notfälle einen Schlüssel.“
„Ach ja und das hier ist etwa ein Notfall?“
„Cedric ist dort unten allein!“, fauchte ihn Laura an. „Das ist ein Notfall! Ich werde ihn nicht allein lassen, wir müssen ihm helfen.“
Tobias ließ seinen Kopf hängen, aber er nickte zustimmend.
„Dann kommt!“, sagte Vanessa mutig und schritt zum Nebeneingang der Schule. Sie entriegelte die Tür und zog sie auf. Ein kühler Luftzug kam ihnen entgegen.
Geister!, dachte Laura und erschauerte.
Der Sage nach kündete kühle Luft die Anwesenheit von Geistern an. Lauerte der Tod bereits im Schatten auf sie?
Befand sich ein unheimliches Wesen in den Kellerräumen der Schule?
Sie schritt auf den geöffneten Nebeneingang zu. Gleichzeitig meinte sie, eine Bewegung hinter einem der dunklen Fenster der Klassenräume gesehen zu haben. Sie war sich aber nicht sicher. Es konnte auch Einbildung gewesen sein. Aber im Grunde glaubte sie das nicht.
Dort war der Tod.
Und er wartete.
Dann nahm sie die Schultern zurück und lächelte tapfer.
„Na, dann wollen wir mal.“
Sie betraten den Nebeneingang, die Tür fiel hinter ihnen zu.
„Es wird kälter, nicht wahr?“, flüsterte Vanessa.
„Ja“, stimmte Laura düster zu. „Man behauptet, dass es immer dort kalt ist, wo Geister sind.“
„Kommt schon, Mädels“, drängte Tobias. Er trat von hinten heran, legte seinen Arm um Vanessa und zog sie sanft mit sich.
„Wir sollten Cedric suchen gehen.“
Laura nickte. Aber ihr gefiel die Unternehmung nicht. Warum hatte Cedric sich nicht bei mir gemeldet?, überlegte sie rätselnd. Sie drehte sich um und blickte in das besorgte Gesicht von Tobias. Ihm schien die Sache hier auch nicht zu gefallen.
Das Herz von Laura klopfte ihr bis zum Hals.
Bin ich ein so großer Feigling?, fragte sie sich.
Da fühlte sie eine Hand im Rücken und zuckte zusammen. Erleichtert atmete sie auf, als sie merkte, dass es nur Tobias war, der sie sanft vorwärtsdrängte.
Laura warf ihm einen scharfen Blick zu, er zog die Hand sofort zurück. „Ich geh ja schon“, fauchte sie ihn an. „Du brauchst mich nicht zu schubsen.“
Sie gingen einen Schulkorridor entlang. Wenn es am Nebeneingang schon kühl gewesen war, so war es hier drinnen regelrecht kalt. Laura kam es vor, als würde sie in einen Gefrierschrank treten.
Der Gang kam ihr bekannt vor. Alles war ihr sehr bekannt. Laura erschauerte. Sie war diesen Gang bereits mehrfach entlanggelaufen, wenn auch nur in ihren Träumen!
„Wohin gehen wir jetzt?“
„In den Heizungskeller“, sagte Tobias. „Ich kenne den Weg, ich musste mal mit dem Hausmeister dort unten etwas holen.“
„Okay, worauf waren wir noch?“, fragte Laura mit falscher Begeisterung. Sie machte sich langsam ernsthafte Sorgen um Cedric.
Tobias führte sie weiter den Flur entlang. Laura blickte im Vorbeigehen in die leeren Klassenzimmer. Es hätte sie nicht überrascht, wenn jemand an einem leeren Pult gesessen hätte.
Kein menschliches Wesen, natürlich.
Ein Geist, vielleicht.
Es herrschte eine unnatürliche Kälte im Gebäude. Laura spürte plötzlich, dass sich hier irgendwo ein Eingang zur Welt der Geister befinden musste. Sie spürte es! Und intuitiv war ihr auch klar, was das bedeutete. Sie mussten den Tod durch diesen Eingang wieder zurückschicken. Sollte ganz einfach sein, dachte Laura mit Galgenhumor.
Hoffentlich war Cedric nicht in Gefahr!
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sie die Stufen erreichten, die nach unten führten.
„Sind alle bereit?“ Tobias drehte sich um.
„Klar“, sagte Vanessa cool.
Laura nickte.
„Okay, dann los.“
Tobias drückte die Hand von Vanessa und sie begannen den Abstieg in den Heizungskeller. Als sie unten angekommen waren, blieb Laura stehen und sah zu, wie Tobias versuchte, die Tür zum Heizungsraum zu öffnen. Es war eine schwere Metalltür mit einem riesigen Riegel davor. Tobias konnte ihn nicht bewegen, er brauchte Hilfe.
„Das verflixte Ding scheint zu klemmen“, keuchte er.
Sie packten gemeinsam an. Unter Einsatz all ihrer Kräfte gelang es ihnen, den Riegel zurückzuziehen. Die schwere Tür schwang langsam auf.
„Cedric? Bist du hier?“, rief Tobias in den Raum.
Er erhielt keine Antwort!
„Ich dachte, er wollte hier auf uns warten?“, fragte Vanessa nervös.
„Cedric? Wo bist du?“, rief Laura laut in den Heizungsraum.
Die Hitze, die ihnen entgegenschlug, ließ sie hastig ein Stück zurückweichen. Eine Sekunde hatte Laura das Gefühl, sie würde in Flammen stehen.
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