„Nenn mich nicht Bärli!“
Michelle legte auf. Cedric hatte keine Chance mehr, etwas zu erwidern.
Während der nächsten Tage war Michelle wie vom Erdboden verschluckt. Jedenfalls hielt Cedric vergeblich in der Schule nach ihr Ausschau.
Ständig versuchte er, sie am Handy zu erreichen, jedoch antwortete nur ihre Mobilbox. Auf seine SMS oder auf Mitteilungen über WhatsApp reagierte sie gar nicht.
Als er schließlich über den Festnetzanschluss ihrer Eltern anrief, behauptete ihre Mutter, dass Michelle viel zu erkältet sei, um an das Telefon kommen zu können.
„Kann ich denn wenigstens kurz mal vorbeischauen?“, fragte Cedric ungeduldig.
„Nein, Michelle ist nicht fähig, heute mit dir zu reden. Aber ich soll dir von ihr ausrichten, dass sie am Samstag dein Kostüm vorbeibringt.“
Ein unangenehmer Verdacht stieg in Cedric auf: Schwänzte etwa Michelle den Unterricht in der Schule, nur damit er ihr nicht sagen konnte, dass er nicht mit zur Halloween Party gehen wollte?
Nein, dachte er überzeugt, so durchtrieben sind Mädchen nicht. Nein?
Am Mittwoch rief Cedric erneut über das Festnetz ihrer Eltern an.
„Sagen Sie Michelle bitte, dass ich gleich bei ihr vorbeikomme, wenn sie am Telefon nicht mit mir reden will“, ließ er ausrichten.
Doch wieder hatte ihre Mutter eine Ausrede parat.
„Das geht leider nicht“, erklärte sie freundlich, aber bestimmt. „Wir wollen gleich mit Michelle zum Arzt fahren. Hinterher muss sie sofort ins Bett und sich ausruhen. Aber morgen kommt sie wieder zur Schule.“
Niedergeschlagen legte Cedric auf. Er fand das alles sehr verdächtig, aber er wusste nicht, was er dagegen unternehmen konnte.
Als er Michelle am nächsten Tag in der Schule sah, winkte er und rief. Sie verschwand jedoch in der Mädchentoilette. Nach dem Unterricht wartete er vor dem Schuleingang, um sie abzufangen. Aber sie kam nicht. Sie musste wohl den Hinterausgang benutzt haben.
Jetzt reichte es Cedric!
Wütend machte er sich auf den Weg zu ihr nach Hause.
„Bitte sagen Sie Michelle, dass ich sie sofort sprechen möchte“, erklärte er entschlossen, als ihre Mutter öffnete.
„Tut mir leid, Michelle kann jetzt nicht. Sie zieht sich gerade um, da sie gleich zum Tanzkurs muss.“
„Sagen Sie ihr bitte, dass ich am Samstag nicht mit zur Halloween Party gehe, wenn sie jetzt nicht mit mir redet.“
„Gut, ich werde es ihr sagen.“
Wenige Minuten später kam Michelle die Treppe heruntergesaust.
„Hallo Cedy Bärli! Du wolltest mit mir reden?“
„Nenn mich nicht Bärli“, erwiderte er.
„Natürlich, wenn du das sagst. Aber deshalb hättest du nicht extra vorbeikommen müssen. Du hättest mir das am Telefon sagen können.“
„Dein Handy ist ständig ausgeschaltet!“
„Ich weiß, mein Akku ist kaputt. Den neuen kann ich erst am Montag im Handy-Laden abholen. Aber das ist doch kein Grund, hier so resolut aufzutreten, obwohl ich mich geehrt fühle, dass du traurig bist, weil du mich nicht erreichen konntest.“
Sie lächelte ihn zuckersüß an und klimperte mit ihren Wimpern.
„Ich komme wegen dem Kostüm“, sprach er leicht genervt weiter. „Ich werde nicht als Romeo gehen!“
„Ach, Cedy Bärli, fang doch nicht schon wieder an. Das hatten wir doch schon besprochen. Warum machst du wegen eines albernen Kostüms so einen Aufstand?“
„Nenn mich nicht Bärli!“
„Natürlich.“
„Außerdem mache ich keinen Aufstand. Ich gehe nur einfach nicht als Romeo.“
Michelles Miene verdüsterte sich.
„Jetzt hör mir mal zu, Cedy Bärli! Allmählich reicht es mir! Du hast versprochen, mit mir zur Halloween Party zu gehen. Ist doch klar, dass du dich dann auch so anziehen musst, wie ich es will.“
„Bin ich blöd? Dann such dir doch einen anderen Begleiter! Ich werde mich jedenfalls nicht als Romeo lächerlich machen.“
Michelle begann zu zittern. Ihr Körper bebte, als sie anfing zu weinen.
„Du bist gemein, Cedric Vogt! Der fieseste Typ, den ich kenne! Ich habe schon überall erzählt, dass wir zusammen zur Party gehen. Und nun machst du mich vor allen lächerlich. Wo soll ich denn so kurzfristig einen andern Typen finden?“
„Du hättest ausreichend Zeit gehabt, wenn du mir nicht die ganze Woche ausgewichen wärst.“
Michelle weinte immer stärker. Ihre großen blauen Augen waren tränengefüllt. Ihr Körper zitterte.
Beschwichtigend legte Cedric ihr die Hand auf die Schulter.
„Wein doch nicht, Michelle. Bitte, nicht weinen.“
Sofort ging wieder ein Strahlen über ihr Gesicht. Sie kuschelte sich an seine Schulter und sah ihn schmeichelnd an.
„Dann gehen wir also zusammen? Denk daran, du hast es mir versprochen.“
Cedric hatte das Gefühl, eine zentnerschwere Last liege auf seinen Schultern. Michelle hatte Recht!
Er hatte es ihr versprochen!
Jetzt konnte er sie doch unmöglich im Stich lassen!
Er war gewohnt, sein Wort zu halten, außerdem konnte er ein Mädchen nicht weinen sehen.
„Okay, Michelle“, sagte er seufzend. „Wir gehen zusammen hin.“
„Und du trägst das Romeo Kostüm?“
„Aber künftig treffe ich die Entscheidungen!“
„Sicher“, flüsterte sie lächelnd, kuschelte sich mit ihrem Kopf an seine Schulter und streichelte mit ihren Fingernägeln seinen Bauch entlang.
„In Zukunft sucht mein Cedy Bärli die Kostüme aus.“
„Nenn mich nicht Bärli!“
„Natürlich.“
„Und es war das letzte Mal, dass wir zusammen ausgegangen sind!“
„Klar“, antwortete sie strahlend. „Ich verstehe euch Jungs doch. Du möchtest lieber mit mir allein sein, da dir die Blicke der anderen Jungs auf meinen Körper nicht gefallen.“
„Du verstehst mich offenbar immer noch nicht, Michelle!“
„Oh doch, ich verstehe euch Jungs ganz genau. Daher habe ich auch eine Überraschung für dich!“
„Was für eine Überraschung?“
„Du darfst mir nach der Fete helfen, mein Kostüm auszuziehen“, hauchte sie lüstern und knabberte an seinem Hals. „Du darfst mir alles ausziehen und dann mit meinem nackten Körper machen, was du willst. Am Samstag sind meine Eltern nicht zu Hause. Wir haben das Haus die ganze Nacht nur für uns allein. Ich werde dir alle Träume erfüllen.“
„Michelle lass das! Ich sagte doch, ich will nichts mehr von dir!“
„Du wirst wollen. Glaub mir, ich werde dir alles geben und du wirst es genießen, Cedy Bärli.“
„Nenn mich nicht Bärli!“
„Machst du mir bitte den Reißverschluss zu“, sagte Laura und lächelte ihre beste Freundin an.
Vanessa durchquerte Lauras Zimmer und zog den Reißverschluss an dem schwarzen Hexenkostüm zu. Sie trat zurück und musterte ihre Freundin.
Laura sah toll aus, selbst als Hexe! Ihr langes dunkelbraunes Haar fiel weich um das hübsche Gesicht und reichte fast bis zur Mitte des Rückens.
„Du siehst wunderschön aus“, sagte Vanessa.
„Danke“, antwortete sie und lächelte. „Du doch auch. Du wirst das hübscheste Mädchen auf der Halloween Party sein. Die meisten Jungs stehen doch auf blond und blauäugig und werden nur Augen für dich haben.“
„Eigentlich habe ich keine Lust auf die Schulparty. Wie kann man nur auf so eine blöde Idee kommen, eine Halloweenfete zu veranstalten?“, fragte Vanessa, freute sich aber schon seit Wochen auf die Party. Sie liebte es einfach zu viel, im Mittelpunkt zu stehen.
„Du siehst wirklich klasse aus in dem Zigeunerkostüm“, antwortete Laura. „Deine kunstvoll geflochtenen Haare sehen wunderschön aus. Wenn ich ein Junge wäre, würde ich mich sofort in dich verlieben.“
Vanessa lächelte. „Danke, Süße.“
Sie sprang auf, wirbelte um die eigene Achse.
„In dem Outfit fühle ich mich auch wie eine Zigeunerin.“
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