Ich konnte ihr ja nicht sagen, dass sie mich faszinierte und ich es ihr deshalb gesagt habe.
Sie schaute mich mit ihren großen braunen Augen an und ging wortlos zurück zu ihrem Tisch.
„Mensch Jo, du Idiot. Du lernst auch nie aus“, sagte ich halblaut zu mir selbst.
Zurück an meinem Tisch wartete ich auf den Kellner, um zu zahlen.
Als ich den Brieftorso an Helene zusammenfaltete, schaute ich nochmals zum Nebentisch. Jetzt verhandelte die Frau etwas resoluter und nach kurzer Zeit hatte ich das Gefühl, dass sich die beiden handelseinig geworden sein müssten.
Nach dem Zahlen humpelte ich in Richtung „Place de la République“.
Nach einigen Schritten ging es mit dem Laufen recht gut. Vor dem Platz bog ich nach links in Richtung Arena ab. Mir war wieder das wunderbare Restaurant oberhalb der Arena eingefallen. Da ich den Namen vergessen hatte, entschloss ich mich, das Restaurant zu suchen, um heute Abend dort zu essen.
Es dauerte nicht lange und ich stand davor. Nach dem Studium der Speisekarte war ich mir sicher, hier mit Helene sehr gut gegessen zu haben.
„Pardon Monsieur, ich möchte mich bei Ihnen für die Information bedanken.“
Man sah der Frau vom Café an, dass es ihr schwergefallen war, mich auf offener Straße anzusprechen.
„Aber Madame, ich bitte Sie. Ihr Geschäftspartner war mir so unsympathisch, dass ich nicht anders konnte, als Sie zu informieren. Ich hoffe, dass ich Ihnen helfen konnte.“
„Ihre Hilfe kann ich niemals gutmachen, Monsieur.“
„Doch Madame, wenn es Ihnen möglich ist, würde ich Sie gern heute Abend in diesem Restaurant zum Essen einladen. Bitte verzeihen Sie meine Direktheit, ich bin kein Franzose.“
„Ich werde kommen“, sagte sie und war auch schon verschwunden. Die ganze Situation muss ihr sehr peinlich gewesen sein. Ich wusste, dass französische Frauen so etwas niemals tun.
Im „César“ sagte ich Bescheid, dass man mir heute keinen Tisch frei zu halten brauche, weil ich außer Haus essen müsse.
Bevor ich auf mein Zimmer ging, bat ich an der Rezeption, mich gegen 19 Uhr zu wecken. Das Badezimmer war so angenehm, dass ich ein Wannenbad nahm und mich danach in mein Bett legte. Dabei bemerkte ich, dass mein Zimmer nach meinem Weggang bereits zum zweiten Mal aufgeräumt worden war.
„Ich muss unbedingt der Hausdame Bescheid sagen, dass ich das ständige Aufräumen nicht mag, weil ich meine Unordnung brauche“, nahm ich mir vor.
Um 20 Uhr war das Restaurant erst spärlich besetzt und ich bekam ohne Reservierung den Tisch, an dem ich auch mit Helene gesessen hatte.
Bei einem Glas Muscat verging die Wartezeit sehr schnell. Bereits nach einer viertel Stunde erschien sie. Frisch frisiert, ohne sichtbares Make-up in einem Abendkostüm. Mir wäre fast der Mund offengeblieben. Als ich mich erhob, fiel mein Stuhl um, weil ich mit dem Bein einknickte. Niemand registrierte diesen Unfall. Ich stellte mich mit meinem vollen Namen vor, sie nannte nur ihren Vornamen Anne-Marie. Jetzt wurde mir wieder bewusst, dass ich nicht in Deutschland war. Die Zeit verging wie im Fluge. Wir sprachen, wie in Frankreich üblich, über das Essen, aber kein Wort über persönliche Verhältnisse. Ich erfuhr allerdings so viel, dass sie bei dem Geschäft am Nachmittag im Café mit maximal 300 gerechnet und zur Not auch bei 250 abgeschlossen hätte. Unhöflichkeit kam über mich und sie sagte auf meine Nachfrage, dass man sich bei 400 geeinigt hätte. Ich gratulierte ihr, sie wurde rot und sagte, dass dieser Preis mein Verdienst sei. Im Laufe des weiteren Gesprächs bat sie etwas umständlich, das heutige Essen bezahlen zu dürfen. „Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin so glücklich und zufrieden über das Geschäft, dass ich Sie einfach zum Dank einladen möchte“, sagte sie. „Auf keinen Fall, Madame, das lasse ich nicht zu. Ich bin derjenige, der glücklich ist, weil ich Sie kennengelernt habe und mit Ihnen essen durfte“, erwiderte ich aus Höflichkeit. „Monsieur, ich bestehe darauf!“, sagte sie schließlich sehr energisch. „Dann müssen Sie mir aber die Gelegenheit geben, mich zu revanchieren, Madame.“ „Vielleicht“, war ihre fast unhörbare Antwort. Als der Wirt die Rechnung brachte, stellt sich heraus, dass sie ihre Kreditkarte nicht dabeihatte. Offenbar kannte man sie hier im Restaurant und bemerkte, dass dies doch kein Problem sei. Ich bezahlte dann mit meiner Karte und sie nahm meine Einladung morgen zum Apéritif im „César“ an. Das ist auch so eine südliche Lebensart. Zum „ Apéritif “ trifft man sich am späten Nachmittag, also vor dem eigentlichen Diner, bei einem Glas und kleinen Snacks und Trockenfrüchten, um gesellig zusammen zu sein und sich auf das abendliche Essen, das durchaus wo ganz anders und mit anderen Personen stattfinden kann, einzustimmen. „Monsieur, ich wohne gleich hier nebenan. Bitte bemühen Sie sich nicht, ich finde allein“, sagte sie und ging einfach. In diesem Moment war ich sprachlos und blieb noch ein paar Minuten. Seit dreißig Jahren habe ich beruflich mit Betrügern zu tun und glaubte bisher, diese Sorte von Menschen sofort zu erkennen. „Na, essen musste ich ohnehin und interessant war sie ja auch“, tröstete ich mich selbst und dachte daran, wie köstlich Helene sich darüber amüsiert hätte. Außerdem hatte ich den gesamten Abend nicht einmal an meine Melanome und meine Probleme mit diesem verdammten Krebs gedacht. „Das war Entschädigung genug“, sagte ich mir und verließ das Restaurant, um ins nahe gelegene Hotel zu gehen.
II.
Im Rathaus von Arles hatten junge Künstler ihre Werke ausgestellt.
Wirklich Interessantes war nicht dabei. Was hätte ich auch mit einem Bild in meiner Situation anfangen sollen? Dem Nachwuchskünstler hätte ein Kauf sicher gutgetan. Aber wie gesagt, war nichts Kaufenswertes dabei.
Nach dem Besuch des Amphitheaters landete ich wieder im Café am „Place du Forum“.
Mit dem gemeinsamen Apéritif im „César“ rechnete ich nicht mehr, ging jedoch rechtzeitig ins Hotel, setzte mich in den hoteleigenen Park und bestellte mir einen kleinen Muscat. Als ich gerade den ersten Schluck trinken wollte, sprach sie mich von hinten kommend an. „Wollen wir hierbleiben oder in die Hotelhalle gehen?“, fragte sie ohne Begrüßung. „Bonjour Anne-Marie, schön, dass Sie gekommen sind. Sie sehen blendend aus, Madame.“ Ein Kellner brachte ihr ein Glas Champagner. Ich schlug vor, hier im kleinen Park zu bleiben und sie war einverstanden. „Joseph, ich muss Ihnen nochmals danken. Erst in der Nacht ist mir so richtig bewusstgeworden, welchen Wert Ihre Information im Café hatte. Was machen Sie übermorgen?“ „Ich habe nichts Besonderes vor, warum fragen Sie?“ „Ich kenne in Saintes Maries de la Mer ein besonderes Restaurant, in dem man sehr gute Bouillabaisse essen kann. Übermorgen wäre es möglich, hat der Wirt mir telefonisch bestätigt.“ „Gut, einverstanden, dann lassen Sie uns übermorgen ans Meer fahren“, gab ich zur Antwort.
Nach dem Apéritif gingen wir ins Restaurant, um eine Kleinigkeit zu essen. Wegen des gestrigen Abendessens hatten weder sie noch ich Lust auf ein großes Menü. Während des Essens erfuhr ich, dass ihr Ehemann vor vier Monaten gestorben war und dass sie zurzeit das Geschäft auflöste und gestern das Haus mit Ladenlokal dank meiner Information zu einem guten Preis habe verkaufen können. Genaueres erzählte sie mir nicht. Ich fragte auch nicht nach, weil ich wusste, dass man in Frankreich solche Fragen nicht stellt. Irgendwann erfährt man es, aber nur dann, wenn der andere es möchte. Ich sagte ihr, dass ich hier in Arles eine Wartezeit verbringe und am Montag eine Bekannte in Marseille abholen müsse. „Dann endet also unsere Bekanntschaft am Sonntag?“, fragte sie etwas traurig. „Wenn Sie möchten, ja. Ich kann aber danach wiederkommen, ich habe jetzt alle Zeit der Welt und würde mich freuen, Sie wieder zu sehen.“ Ein leichtes Lächeln und ein kleiner Glanz in ihren Augen war die Antwort. „Joseph (sie sprach meinen Namen so wunderschön französisch aus), haben Sie Zeit und Lust, mich morgen nach Avignon zu begleiten? Ich muss den Rest unserer Ware zu einem Geschäftsfreund bringen, damit er sie für mich verkaufen kann.“ „Gern, Anne-Marie. Ist es möglich, dass wir mit meinem Auto fahren?“ Ich wurde einfach den Gedanken, dass sie vielleicht doch eine Betrügerin sein könnte, nicht los und wollte mit meinem Auto unabhängig sein. „Das wäre mir sogar sehr recht, weil ich nicht gern selbst Auto fahre“, bekam ich zur Antwort und wir verabredeten uns für zehn Uhr vormittags hier im Hotel zur Abfahrt.
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