Außerdem habe er in Deutschland von den Hausfrauen oft den Satz gehört, dass sie nicht wüssten, was sie heute kochen sollten. Er wundere sich heute noch über eine solche Frage und ein solches Problem der deutschen Frauen. In Frankreich seien solche Fragen und Probleme unbekannt.
Ich ließ es sein, Doris dies zu erzählen. Sie hätte mich ohnehin nur unverständlich angeschaut und vielleicht laut gesagt, dass ich spinnen würde.
Von Lyon war sie allerdings begeistert. Ich hatte nicht die Périphérie genommen, sondern benutzte die Stadtautobahn.
Wie immer befuhr ich die „alte Soleil“, weil man zunächst einen herrlichen Blick über das Stadtviertel an der Schleife des „Quai Joseph Gillet“ hat.
Danach durchfuhr ich die beiden riesigen Tunnels.
Im „Vieux Lyon Quarantaine“ machte ich Doris darauf aufmerksam, dass wir fast in Höhe der zweiten Etage an den alten Stadthäusern vorbeiführen.
Doris beachtete das Stadtviertel unmittelbar an der Rhône mit dem Gefängnis und den Markthallen nicht mehr richtig.
Als wir Lyon, also auch das fürchterliche Feyzin, verlassen hatten und uns wieder auf der „richtigen Autoroute du Soleil“, der A 7, befanden, musste ich ihretwegen dringend den nächsten Parkplatz ansteuern.
In Montélimar hatte ich keine Lust mehr, weiter zu fahren.
Doris wollte jedoch noch weiter und erst in der Nähe von Marseille übernachten, damit wir auch ja nicht das Kreuzfahrtschiff, das ja erst am Montag, also übermorgen, in See stechen sollte, verpassen würden.
Mir war nicht nach einer Diskussion und ich fuhr einfach von der Autobahn ab und steuerte eines der praktischen Hotels unmittelbar nach der Ausfahrt an.
Diese Hotelketten unterhalten saubere motelähnliche Unterkünfte. In der Woche sind sie zwar fast immer ausgebucht, doch am Wochenende übernachten kaum Geschäftsreisende.
Für alle diejenigen, die der französischen Sprache nicht mächtig sind, gibt es die Möglichkeit mithilfe der Kreditkarte an einem Automaten, an dem man fast alle gängigen Sprachen wählen kann, einzuchecken. Der Schlüssel fällt in eine Ablage und man geht in sein Zimmer.
Am Morgen kann man das Hotel einfach und ohne Worte verlassen, es sei denn, man frühstückt noch. Aber auch das Frühstück kann man wortlos mit seiner Kreditkarte bezahlen und fährt ausgeruht weiter.
Ich hingegen checke stets an der Rezeption ein, weil ich ein Zimmer mit zwei Betten brauche. Das französische Doppelbett mit einer durchgehenden Zudecke ist mir ein Grauen. Alles ist straff untergeschlagen. Hat man es endlich geschafft, die Decke von der Matratze zu befreien, geht der Kampf der beiden Schläfer um dieses Ding erst richtig los. Morgens ist man dann wie gerädert.
Außerdem halten diese Hotels meist typische lokale Gerichte bereit. Dieses preiswerte Essen ist zwar nicht jedermanns Geschmack, doch ich liebe es und bin selten enttäuscht worden.
„Ein anderes Land kann man doch nur dann wirklich kennenlernen, wenn man sich nach Landessitte durchisst und durchtrinkt“, ist meine Devise.
„Man kommt doch auch nicht auf die Idee, in einer oberbayrischen Dorfkneipe Austern zu bestellen, nur weil man solche Muscheln gern isst, oder?“, hätte Helene mich ergänzt.
„Das ist also eines Deiner gelobten französischen Hotels?“, fragte Doris und ich überlegte:
„Was sollte ich ihr darauf antworten? Für sie besteht ein Restaurant oder Hotel nur aus purem Luxus. Dabei ist es ihr egal, ob alles nur vorgespielt wird oder nicht. Hauptsache, sie ist der Mittelpunkt und das Personal behandelt sie wie eine Diva.“
Helene war auf Reisen das genaue Gegenteil. Vor Urlaubsantritt ließ sie sich die Haare ganz kurz schneiden, zog Jeans, ein T-Shirt und Turnschuhe an.
Nur die Augen zog sie mit einem Stift ganz leicht nach, benutzte sonst keine anderen Schminkmittel oder gar Parfüm.
Sie hatte auf unseren Fahrten auch den Vorschlag gemacht, in diesen Motels auf der Anfahrt zum eigentlichen Urlaubsgebiet zu übernachten.
„Man kommt spät an, ist müde und will nur eine Kleinigkeit essen, duschen und bequem schlafen. Da nervt doch ein normaler Hotelbetrieb nur“, war ihre Devise.
Sie hatte ja so recht und war auf Reisen eine so angenehme Begleiterin.
Im Restaurant, das nur über die Rezeption zu erreichen war, ging Doris gezielt auf das Buffet zu, nahm sich ziellos die ihrer Meinung nach teuersten Speisen und kam zum Tisch, den ich in der Zwischenzeit ausgesucht hatte.
„Willst Du denn nichts essen? Am Buffet gibt es leckere Sachen, aber Du müsstest Dich beeilen, weil schon einige Platten leer sind“, empfahl sie mir ganz weltfraulich.
„Warum konnte Helene nicht hier sein und mir die mit Kreide über dem Tresen aufgeschriebenen Empfehlungen des Tages vorlesen?“, dachte ich und wurde ganz traurig.
Ich konnte ohne Brille die Handschrift des Kochs nie richtig lesen und Helene machte sich einen Spaß daraus, mir einiges „verkehrt“ vorzulesen.
Plötzlich stand der Koch hinter dem Tresen und ich konnte ihn fragen, ohne mich mit dem Lesen zu mühen, zumal es lokale Begriffe waren, die ich meist nicht richtig übersetzen konnte.
Der Koch empfahl als Vorspeise saure Kutteln und danach in einer Rettich/Weißweinsoße gekochtes Ochsenfleisch.
„Nehmen Sie dazu einen trockenen weißen Cote du Rhône “, empfahl er weiter und ging in die Küche zurück, um meine Bestellung zuzubereiten.
Helene wäre von meiner Bestellung begeistert gewesen, Doris hingegen überkam ein leichtes Ekelgefühl.
Nach dem Essen machte ich mich zuerst bettfertig und zog einen Schlafanzug mit langer Hose an, damit mein Bein nicht zu sehen war.
Doris brauchte im Bad fast eine Stunde, um ihre Tagesbemalung zu entfernen.
In dieser Zeit war ich bereits das erste Mal eingeschlafen. Als sie endlich fertig war und sich zu Bett legte, sah man deutlich den Unterschied ihres Aussehens bei Tag und für die Nacht.
„Eigentlich ist das gar nicht so schlecht, wenn man zwei unterschiedliche Frauen hat. Nur welche ist ansehnlicher. Bei Tag ist sie bunt und bei Nacht aschfahl und der Hals hat eine Reptilienhaut. Gut, dass sie nicht auch noch die dritten Zähne aus dem Mund nimmt“, überlegte ich und tat so, als wenn ich schlafen würde, um mich nicht auch noch unterhalten zu müssen.
Helene sah am Tag genauso aus wie in der Nacht. Ihre Abendtoilette dauerte kaum länger als die Meinige. Zähneputzen und ausgiebig duschen. An mehr konnte ich mich nicht erinnern.
Wenn sie statt Doris jetzt hier gewesen wäre, hätten wir uns vielleicht über das Schminken der Frauen unterhalten und bestimmt festgestellt, dass Frauen von Natur aus gar nicht hässlich seien. Es käme nur darauf an, wie man Hässlichkeit definieren müsse.
Indem sich Frauen mit Farbe beschmieren, würden sie doch nur ihre natürliche Schönheit übertünchen und sich damit eigentlich unansehnlich machen.
„Und warum haben sich Frauen bereits in vorgeschichtlicher Zeit schon bemalt?“, hätte ich gefragt und Helene hätte vielleicht - oder ganz bestimmt - geantwortet, dass es zwar richtig wäre, dass das Verzieren des eigenen Körpers so alt wie die Menschheit sei. Nur wurde dies im Rahmen des damaligen Fruchtbarkeitskultes zelebriert und hätte nur schamanischen und rituellen Zwecken gedient.
Und bestimmt hätten wir beide gehofft, dass es nicht auch noch modern würde, sich zu skarifizieren.
Weil ich wieder an Helene dachte, konnte ich nicht sofort wieder einschlafen.
Jetzt musste ich auch noch an die Sprüche meines Beisitzers Gehrich denken und hätte fast gelacht, statt mich schlafend zu stellen.
In einer Beratung hatte Gehrich süffisant erzählt, dass seine jetzige Putzfrau vor ihrer Anstellung in seinem Haushalt Verkäuferin in einem Parfümgeschäft gewesen sei.
Es war damals zu einer kurzen Unterhaltung über Schönheit der Frauen gekommen. Meine andere Beisitzerin - ihren Namen habe ich schon vergessen - hatte bemerkt, dass doch die Frauen im Rokoko sich auffallen schöngemacht hätten, was doch gar nicht so schlecht gewesen sei. Und bestimmt seien die Schminkmittel wasserfest gewesen, weil sie lachen oder weinen konnten, ohne dass die Wimpertusche über die Wangen gelaufen wäre.
Читать дальше