Erst nachdem einige Tage später die Überreste dieser eindrucksvollen Veranstaltung weitgehend beseitigt wurden und wieder etwas Ruhe eingekehrt war, begann ich weitere Pläne zu schmieden. Beflügelt von den genannten Erfolgserlebnissen und unterstützt von meinen Schildkröten beschloss ich aus diesem Fest ein wiederkehrendes Veranstaltungsformat zu entwickeln. Unser Stammhaus sollte zukünftig jedoch davon verschont werden. Dieses Versprechen musste ich meiner Mutter geben. »Beim Leben unserer Schildkröten«. Ich wollte daher zukünftig mit stets wechselnden Gästen an unterschiedlichen Orten auf der ganzen Welt feiern. Erst nach diesem Gelöbnis nahm sie die Perlen-Haarnadel von mir an. Und dieses Versprechen gab ich ihr gerne. Als Geschäftsmann, der auch im Logistikbereich tätig ist, stellen Transportaufgaben jeglicher Art schließlich für mich keine Herausforderung dar. Egal ob Riesenschildkröten, Weinfässer, Champagner-Kisten, Pyrotechnik oder Schwarzgeld.
Cousin Toni hatte mich am nächsten Tag zur Seite gezogen und mir einige Fotos vorgelegt, die im Laufe des Abends entstanden waren. Wie sie in seine Hände gekommen waren wollte er mir zwar nicht erzählen. Er war aber überzeugt davon, dass keiner der dargestellten Personen diese Motive in den Händen der Presse sehen wollte. Alle Aufnahmen zeigten meine Gäste aus einer eigenartigen Perspektive und in unschönen Situationen. Ich fragte mich wie sie wohl entstanden sein mochten. Toni schien meine Frage bereits zu ahnen. Mit einer wegwischenden Geste beendete er meine Gedanken. »T. glaube mir. Das ist alles nur zur Sicherheit der Familie geschehen! Aber man weiß ja nie, wozu man dieses Material noch brauchen kann. Schau dir doch die Fotos einfach in Ruhe an. Du hast doch immer so verrückte Ideen. Und auch wenn dir nichts dazu einfällt: Ich möchte einfach nur, dass du weißt, dass diese Fotos existieren.« Mein Cousin ist ein sehr umsichtiger Mensch. Ganz unvermutet hatte sich für mich und meine Partys eine neue Nebenerwerbsquelle ergeben. Ich liebe ihn dafür. Ich muss Toni unbedingt einen neuen Skorpion für sein Terrarium besorgen.

Neue Freunde – alte Ziele
Seit dem Abend meiner ersten Party treffe ich mich regelmäßig mit meinen neuen Freunden. Albert und John. Freunde zu haben ist großartig! Und von Veranstaltung zu Veranstaltung wird ihre Zahl sicherlich wachsen. Albert E. Stein ist der vollständige Name des Wissenschaftlers und wir sehen uns jeden Mittwoch. Als sein guter Freund und Geschäftspartner stehe ich ihm besonders nahe. Wenn ein persönliches Treffen nicht möglich ist, dann telefonieren wir zumindest miteinander und bleiben so in regem Austausch. Seine Forschungen sind wirklich überaus faszinierend.
Manchmal begleitet uns auch der junge Erbe bei unseren Mittwochs-Treffen. John Johnson Junior hat mittlerweile deutlich abgenommen und sein Handicap verbessert, seine Brille und die Frisur sind aber unverändert geblieben. Seit ich mich mit meinen Mitarbeitern seiner Probleme angenommen habe, hat das souveräne Lächeln, das er auf dem Forbes Cover zur Schau stellte, wieder zu ihm zurückgefunden. Es vergeht keine Woche, in dem nicht irgendwo ein Interview mit ihm erscheint und er ist wieder ein gern gesehener Gast in Talkshows. Mittlerweile hat er den Ruf eines jungen Erneuerers, der in kurzer Zeit alte Strukturen aufbrechen und das väterliche Unternehmen mit neuen innovativen Ideen auf Erfolgskurs bringen konnte.
In wenigen Wochen war es uns gelungen das Management seines Unternehmens so umzustrukturieren, dass er sich wieder ganz seiner wissenschaftlichen Arbeit widmen konnte. Dabei ergaben sich erfreulicherweise sogleich einige vielversprechende Schnittstellen zu den Forschungen von Albert. Und Albert ist selbstverständlich wissenschaftlicher Leiter im Unternehmen geworden. Er hat außerdem einen Posten im Aufsichtsrat. Auch bei diesen offiziellen Sitzungen sehen wir drei uns regelmäßig.
Das Problem der Hautalterung hat sich als sehr profitabler Geschäftszweig erwiesen, besonders seitdem wir es »Anti-Aging« nennen und ein Marketingbudget mit reichlich Nullstellen vor dem Komma dafür ausgeben. Natürlich arbeiten wir dabei an pflegenden Cremes, straffenden Gels und aktivierenden, leichten Fluids. Aber auch die Nahrungsergänzungsmittel gehören in unser neues erfolgreiches Produktportfolio. Unsere Werbeexperten hatten uns dabei empfohlen die Wirkstoffe nicht wie üblich in Form unattraktiver brauner Presslinge zu vertreiben. Stattdessen rieten sie uns dazu diese in hübsche, bunte Kapseln zu verpacken und als verschreibungspflichtige Medikamente zu vermarkten. Der Erfolg war verblüffend. Sowohl Kliniken als auch niedergelassene Ärzte nahmen unsere Produkte begeistert an und zu unserer großen Freude verwandelten sie sich somit in kurzer Zeit in eine sprudelnde Geldquelle. Neben den Problemen anderer leben wir nun auch noch sehr gut vom Alter. Zusätzlich zu unseren Forschungslaboren und den modernen Produktionsanlagen konnten wir außerdem einige exklusive Beauty-Kliniken in ganz Europa eröffnen. Auch hier können wir einen beeindruckenden Zulauf und stetig steigende Umsätze verbuchen. John Johnson Junior erwähnt diese Einrichtungen gelegentlich bei seinen Gastauftritten und Interessenten müssen sich mittlerweile mit einer durchschnittlichen Wartezeit von 14 Monaten abfinden.
Ich hatte beim Kampf gegen die Hautalterung und die Regeneration von Gewebe fachkundige Verbündete gefunden. Und dabei meine wahre Bestimmung gefunden: Ich wollte das Altern beenden. Ganz grundsätzlich. Und dabei natürlich in aller erster Linie bei mir. Den Gedanken an meinen Tod fand ich immer schon weit weniger beängstigend als den an mein Altern. Tot ist tot. Aber alt! Die Vorstellung erst Falten, schlaffe Haut und Haarausfall zu bekommen und später irgendwann mit morschen Knochen und löchrigem Verstand in meinem Bett zu liegen, hatte mir schon ab meinem 25. Lebensjahr kalte Schauer über den Rücken gejagt. Damals erfuhr ich, dass der menschliche Körper seine maximale Leistungsfähigkeit in diesem Alter erreicht hat und danach kontinuierlich abbaut. An jenem Tag hatte mein Feldzug gegen diesen Horror begonnen.
Durch einen Artikel war ich auf eine Stiftung gestoßen, die interessante neue Forschungsprojekte in ihr Programm aufgenommen hatte. Diese erforschen zum Beispiel die Umkehr der Stammzellenalterung und Therapiemöglichkeiten bei degenerativen Erkrankungen. Nachdem ich Albert eines Mittwochabends bei einem Glas Bordeaux in unserem Lieblingsrestaurant davon erzählte, berichtete er davon, dass die Suche nach dem sogenannten Methusalem-Gen bereits an Fadenwürmern stattfinden würde, deren Lebenszeit dabei um das sechsfache verlängert werden konnte. Auch sprach er von einer Quallenart, die sich wieder in den Embryonalzustand entwickeln kann, wenn sie alt geworden ist. Ihre Gene starten dann quasi wieder neu. Wir unterhielten uns angeregt während wir uns durch die Vorspeisenkarte arbeiteten. Und nachdem jeder von uns als Hauptgang ein Filet vom Kobe Rind genossen hatte, kamen wir gegen Ende des Abends schließlich überein, dass die Gene von Fadenwürmern uns nicht ausreichend beeindrucken konnten. Aber der Begriff des Methusalem-Gens hatte mich auf die Idee gebracht, die Gene und Stammzellen unserer Schildkröten zu untersuchen, um dem Rätsel ihres hohen Alters auf den Grund zu gehen.
Für diese Forschungen benötigten wir natürlich die besten Gene und die gab es zweifellos nur bei den ältesten Exemplaren dieser Spezies. Diese Bedingung war mir dabei sofort klar. Und hier genügten mir keine Gewebeproben. Nein. Ich wollte diese Tiere bei mir haben. Ich wollte sie sehen, ihre großen Panzer und ihre faltigen Hälse berühren und ihren Atem spüren. Ich hatte das Bedürfnis ihnen nahe zu sein. Wir mussten also unbedingt die berühmtesten Vertreter aus den unterschiedlichen Zoos der Welt in unsere Obhut bekommen. Unsere populärsten Ziele waren dabei selbstverständlich die Galapagos Riesenschildkröte »Harriet« im Zoo von Australien und die Aldabra Riesenschildkröte »Adwaitya« aus dem Zoo in Kalkutta.
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