Interessant wurde plötzlich alles Nicht-Neue: Es wurde in der Literaturhistorie geforscht (die Gebrüder Grimm erstellten Märchensammlungen aus alten Zeiten, Brentano und Arnim verfassten die Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“). Die mittelalterliche Epoche, ihre im 19. Jahrhundert zu Ruinen verkommenen Burgen und das Ideal der reinen Liebe wurden ein Mittelpunkt der romantischen Literaten. So wie die Gesellschaft nach der französischen Revolution geteilt war, erhofften sich die romantischen Autoren durch Rückbesinnung auf die religiösen, mystischen „Wirklichkeiten“ eine Wiedervereinigung der Bevölkerung. Die Romantik glaubte durchaus an die Macht der Intuition, des Erahnens und an das Reich der Fantasie im Traum. Auch die düsteren Teile der Seele wurden beleuchtet und in der Literatur der damaligen Zeit dargestellt.
Ein weiterer Auslöser der Romantik war nicht zuletzt die gestiegene Bildung der Bevölkerung, die sich nun – dank besserer finanzieller Umstände – Bücher und andere Kunstgegenstände leisten konnte und den Grundstock für die weitere Entwicklung legte. Es entstand eine Melancholie (sie ist in vielen Werken der Romantik zu spüren), deren Ursache u. a. in den Karlsbader Beschlüssen (1819) zu finden ist. Die Karlsbader Beschlüsse waren eine Maßnahme der einflussreichsten Staaten im Deutschen Bund unter der Ägide von Metternich zur stärkeren Überwachung und Bekämpfung liberaler und nationaler Tendenzen – eine Reaktion aus Angst vor erneuten Revolutionen. Dieser Versuch, das Gedankengut der Dichter einzuschränken und zu begrenzen, ließ die romantische Welle nur noch intensiver werden.
Machte nicht zuletzt auch folgender Satz Friedrich Schlegels die Künstler melancholisch?:
„Die Romantik ist ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters. Sie kann immer nur werden , nie vollendet sein.“
Das heißt, es wurde etwas Unerreichbares angestrebt, und an dem Wissen desselben zerbrachen nicht Wenige. Denn die Romantik war hauptsächlich die Zeit der sensiblen Menschen, Künstler, die das Geschehen ihrer Zeit sehr empfindsam wahrnahmen. Es ist gewiss kein Zufall, dass ausgerechnet in jener Epoche so unzählig viele Suizide geschahen. So hat sich die Zahl der Selbstmorde innerhalb von 50 Jahren fast verdreifacht. Beispiel Preußen: im Jahr 1836 gab es 1.436 Fälle, im darauf folgenden bereits 5.898 (Quelle: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 565-568). Sicherlich sind die Ursachen dieser traurigen Erscheinung nicht nur in den Auswirkungen der Romantik zu finden – trotzdem waren die erhöhten Selbstzweifel und unerreichbare Ideale ein mindestens ebenso großer Anlass für die Entscheidung zum Freitod wie die sozial-politischen Verhältnisse oder ein schlechter Gesundheitszustand. Auch der im 19. Jahrhundert aufkommende Gebrauch von Laudanum – einer Mischung aus Opium und Alkohol, die sogar aufgrund ihrer schmerzlindernden Wirkung von Ärzten verschrieben wurde – führte bei nicht wenigen Dichtern (freiwillig oder unfreiwillig) zu einem frühen Dahinscheiden. Auch Edgar Allen Poe und Percy Bysshe Shelley waren Laudanum-abhängig. Eine weitere Form der Flucht aus der Wirklichkeit?
Der Umgang mit Selbstmördern war in der Gesellschaft klar geregelt. So war es in England noch bis 1832 üblich, die sterblichen Überreste der Selbstmörder, „durch die man einen Stock steckte, durch die Straßen zu ziehen und irgendwo am Wegrand ohne Zeremonie zu verscharren“ (Durkheim 1999, S. 383). Der Holzpflock im Herzen sollte die Seele an den Körper des Verstorbenen binden. Der Aberglaube, dass die Selbstmörder (so genannte „Wiedergänger“) umherirrten und andere zur selben Tat bewegen könnten, führte zu diesem an die Vernichtung von Vampiren erinnerndes Ritual. Sogar eigens für die Toten geschaffene Öffnungen unter der Eingangstür wurden gebaut und anschließend wieder verschlossen, da man glaubte, dass es der Seele des Verstorbenen nur möglich war, auf demselben Wege zurückzukehren.
Die weltflüchtigen Tendenzen der im Anfang des 19. Jahrhunderts ansässigen Künstlergesellschaft sowie die stets vorherrschende Melancholie hatten einen enormen Einfluss auf das Leben der damaligen Zeit. Letztendlich war Goethe der Vater dieser Form. „Die Leiden des jungen Werther“ und ihre bekannten verhängnisvollen Folgen - massenhafte Suizide der jungen Leserschaft - waren eigentlich schon der Beginn der erstmals aufglühenden Gefühle und Leidenschaften der bis dato so in Grenzen und Starrheit gehaltenen Gesellschaft.
Der Kulturzusammenschluss war in der Romantik durch einen regen Gedankenaustausch in häufig von Frauen geführten Salons geprägt. So wurde die Poesie nicht selten vertont (z.B. das Loreley-Gedicht von Heine), und auch in der Malerei wurde das Lebensgefühl der „Romantik“ immer wieder in Vollendung verkörpert.

„Die blaue Blume“ Fritz von Wille (1908)
3 Das Symbol der Romantik – die Blaue Blume
„Die Blaue Blume ist aber das, was jeder sucht,
ohne es selbst zu wissen,
nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.“
Ricarda Huch
Heliotropien (ein Raublattgewächs, das auch Sonnenwende genannt wird) waren – dank Novalis alias Friedrich Freiherr von Hardenberg (1772-1801) – die Pflanzen, welche die Romantik verkörperten und immer wieder, ob in Versen oder auf Gemälden, auftauchten. Sie standen für Sehnsucht, Poesie, Schwärmerei und natürlich auch für Liebe in ihrer reinsten Form. Da sie in allen tropischen Gebieten vorkommen, entwickelten sie sich später zum Symbol für die Sehnsucht nach fremden Ländern, zum Symbol der Wanderschaft (die ebenfalls ein Zeichen der Romantik war mit ihrem Fern- und Heimweh zugleich).
In Novalis´ unvollendetem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ träumt der Protagonist von einer blauen Blume, die in einer Höhle, deren Wasserbecken er durchschwimmt, ihren Duft verbreitet und ihn so betört, dass er sich ihr nähern will,
„(…) als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing;
die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stängel,
die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte.“
Durch des Protagonisten Suche nach dieser blauen Blume gelangte er im Laufe der Zeit zur Lebens- und Liebesreife.
Im Symbol der Blauen Blume sind alle Grundbausteine der Romantik zusammengefasst: die Natur, der Mensch (das Selbst) und der Geist. Das Streben nach der Erkenntnis des Ichs durch Nachdenken und persönliche Liebe hätte in keiner schöneren Form dargestellt werden können.
4 Biedermeier (ca. 1815-1848)
Die Zeit des Biedermeier war vor allem von den Minarchisten und ihrem so genannten „Nachtwächterstaat“ geprägt, wie ihn Ferdinand Lassalle nannte. Soll heißen, dass das Ideal eines Staates – verkörpert durch den Schutz des Eigentums und das Lenken der individualistischen Handlungen durch die Selbstregulierung des Marktes – zu verspotten sei. Da ein Sozialstaat noch nicht existierte, fielen viele Familien aufgrund von Invalidität, Arbeitslosigkeit oder Alter in eine derartige soziale Not, dass selbst die Kinder arbeiten gehen mussten, um die Familie am Überleben zu halten. Der Liberalismus verlangte, dass jeder für sich selbst zu sorgen hatte – egal um welchen Preis.
Auch die oben schon genannten Karlsbader Beschlüsse fielen in die Zeit des Biedermeier und führten u. a. auch zu den Auflösungen der Burschenschaften und einem misstrauischen Spitzelwesen, das hinter jeder Ecke eine erneute Revolution erwartete. Die Gesellschaft zog sich zurück in ihre private Idylle (sofern vorhanden) und ließ bereits jetzt ein Nationalbewusstsein entstehen, welches später noch ungesunde Auswüchse hervorbringen sollte. Treuherziges Spießbürgertum und die Verehrung der Klassik prägten diese Epoche.
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