Marie Louise Fischer
SAGA Egmont
Ein Herz sucht Liebe
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)
represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1970 by Engel Verlag, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711718698
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Als es unten auf der Straße zweimal hintereinander kurz hupte, rannte Susanne Schäfer zum Fenster. Sie hatte auf dieses Zeichen, das sie mit ihrem Freund, dem jungen Rechtsanwalt Dr. Oskar Wünning, verabredet hatte, schon ungeduldig gewartet.
Sie öffnete das Fenster, winkte. Vor dem Haus stand keine Laterne und sie konnte sein Auto eher ahnen als erkennen. Aber sie wußte, daß er ihren Umriß, scharf abgegrenzt gegen den hell erleuchteten Raum im zweiten Stock, sehr deutlich sah.
Hastig schloß sie das Fenster wieder, riß den Kleiderschrank auf, warf noch einen letzten prüfenden Blick in den langen Spiegel, der an der Innenseite der einen Tür befestigt war – ja, sie konnte mit ihrem Aussehen zufrieden sein. Ihr schimmerndes blondes Haar, das sie sich am Nachmittag gewaschen und aufgedreht hatte, bauschte sich in weichen Wellen um ihr schmales Gesicht, die klaren grauen Augen unter den schwarz getuschten Wimpern strahlten vor Erwartung.
Während der Schulstunden verzichtete Susanne Schäfer ganz bewußt auf jedes Make-up, aber jetzt hatte sie ihren vollen, ein wenig breiten Mund mit einem hellen Stift nachgezogen, damit er kleiner und noch ausdrucksvoller wirkte. Sie trug ein blaues, ganz einfach geschnittenes Kleid in Leinenstruktur – selbstgeschneidert – das ihre schlanke mädchenhafte Figur sehr vorteilhaft zur Geltung brachte.
Sie dachte manchmal, daß die Figur das Beste an ihr wäre. Dennoch kostete es sie keine Überwindung, während des Dienstes auf jede Betonung ihrer Linien zu verzichten – es hätte sich nicht gehört. So trug sie vor der Klasse gewöhnlich Kleider, Blusen und Pullover, die ihr zwei Nummern zu weit waren.
Gerade deshalb aber machte es ihr doppelt Spaß, jetzt, nach Feierabend, in einem Kleid auszugehen, das so knapp wie möglich saß und dessen Rock drei Finger breit über dem Knie endete – ein wirkliches Wagnis für eine junge Lehrerin in einer kleinen Stadt wie Bad Kreuzfeld.
Susanne Schäfer lächelte vergnügt, während sie sich vorstellte, was ihr Freund wohl für Augen machen würde, wenn er sie in dem neuen Kleid sah. Dann schlüpfte sie rasch in ihren guten weißen Mantel, schlug die Schranktür wieder zu, nahm Tasche und Handschuhe, lief in die Diele hinaus. Dr. Oskar-Wünning liebte es nicht zu warten.
Dennoch nahm sie sich die Zeit, rasch den Kopf in die Küche zu stecken und: »Ich geh’ jetzt, Frau Schmitt … auf Wiedersehen und gute Nacht!« zu rufen.
Ihre Wirtin sah sie über die Brille hinweg an. »Schon recht, Fräulein Schäfer. Aber bleiben Sie nicht zu lange, morgen heißt’s wieder früh heraus … und glauben Sie nicht, was die Männer erzählen, die lügen alle das Blaue vom Himmel herunter!«
Susanne lachte. »Ich werd’s mir hinter die Ohren schreiben!«
»Da tuen Sie auch gut dran! Ich will nichts gegen Ihren Freund sagen, er kommt aus einer hochachtbaren Familie … aber grade deshalb! Hochnäsig sind die Wünnings alle, bilden sich ein, eine besondere Sorte Mensch zu sein und dabei …«
Susanne Schäfer unterbrach sie hastig. »Darüber unterhalten wir uns morgen, Frau Schmitt, jetzt muß ich rennen. Warten Sie bloß nicht, bis ich nach Hause komme. Es kann spät werden.«
Als sie die Treppe hinunter lief, mußte sie ein Gefühl von Beklemmung abschütteln. Sie sagte sich, daß es albern war, Frau Schmitt mit ihrem fast krankhaften Mißtrauen allen männlichen Lebewesen gegenüber auch nur eine Sekunde ernst zu nehmen. Und dennoch blieb ein Stachel in ihrer Seele zurück.
Sie liebte Oskar Wünning von ganzem Herzen, aber sie mußte sich zugeben, daß sie keine Ahnung hatte, was er für sie empfand. Was konnte sie denn schon, die junge Volksschullehrerin, ohne familiären Anhang, die Zugereiste, für ihn, den Sohn des Ratsapothekers, bedeuten? Er war so stolz auf seine Familie, in deren Besitz die Apotheke seit über hundert Jahren war, die seit dieser Zeit der Stadt immer wieder tüchtige und angesehene Ärzte, Rechtsanwälte und Apotheker geschenkt hatte.
Und sie, Susanne Schäfer, wer war sie? Tochter eines Vertreters, der sich, nach dem Tod seiner Frau, mehr oder weniger zu Tode getrunken hatte. Und von ihrer Mutter wußte sie so gut wie gar nichts. Sie war gestorben, als sie noch ein Kind war.
Es fiel Susanne schwer, das Lächeln auf ihren Lippen zurückzuzwingen, als sie aus dem Haus trat.
Dr. Wünning war ausgestiegen und wartete neben dem Auto. Jetzt, als sie auf ihn zulief, nahm er sie kurz in die Arme, küßte sie – nett, aber durchaus formell.
Selbst hier, in der schlecht beleuchteten Seitenstraße, bestand Gefahr, daß die junge Lehrerin beobachtet wurde. Im Nachbarhaus wohnte ein Mädchen, das die Pestalozzi-Schule besuchte, und etwas weiter weg ein Junge aus ihrer, der dritten Klasse. Es war durchaus möglich, daß sie jetzt hinter den Gardinen standen und herauszubekommen versuchten, wie sich die Lehrerin verhielt, wenn sie nicht gerade im Dienst war.
Susanne Schäfer sah ein, daß sie ihrem Freund eigentlich dankbar für seine Zurückhaltung hätte sein müssen. Er legte sich ja nur ihretwegen Zwang an. Dennoch fühlte sie sich einmal mehr durch seine allzu beherrschte Art irritiert.
Sie stieg rasch ein, er schloß die Tür hinter ihr, ging um den Wagen herum, setzte sich ans Steuer. Sie sah die Linie seines Profils im Halbdunkel, beobachtete, wie er die weichen Lippen zusammenpreßte, als er kuppelte und Gas gab.
Auch ohne ihn wirklich zu sehen, war ihr jeder Zug in seinem offenen jungenhaften Gesicht vertraut – die braunen Augen, die mal lachend, mal grüblerisch blicken konnten, das leicht gewellte Haar, fast zu hübsch für einen Mann, die gerade Nase mit den winzigen Sommersprossen auf dem Rücken, der kleine dunkle Schnurrbart über der Oberlippe, der ihm Würde verleihen und ihn älter als seine 25 Jahre machen sollte, aber eher das Gegenteil bewirkte.
Gewöhnlich begannen sie beide zu reden, kaum daß sie miteinander allein waren. Aber heute sagte er nichts, und dieses Schweigen machte sie seltsam beklommen. Es hatte so vieles gegeben, was sie ihm hätte erzählen wollen, aber plötzlich war alles wie weggewischt.
»Wohin fahren wir?« erkundigte sie sich, nur um überhaupt etwas zu sagen, und wußte doch im gleichen Augenblick, wie töricht diese Frage war.
Dr. Oskar Wünning wohnte bei seinen Eltern. Susanne hatte ihn schon einigemale zuhause besucht, seine Eltern hatten sie immer herzlich aufgenommen und gastfrei bewirtet. Aber sie waren nicht eine Minute aus dem Zimmer gewichen, solange sie da war. Wenn sie allein sein wollten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als in die etwa 35 Kilometer entfernte Nachbarstadt Heimholzen zu fahren. In Bad Kreuzfeld waren er als der Sohn des Ratsapothekers und sie als junge Lehrerin viel zu bekannte Persönlichkeiten, als daß sie sich in irgend einem Lokal hätten unbeobachtet fühlen können.
Deshalb war sie maßlos überrascht, als er antwortete: »Wir bleiben hier.«
»In Bad Kreuzfeld?« fragte sie verblüfft.
»Ja. Ich denke, wir essen eine Kleinigkeit in den ›Altdeutschen Stuben‹. Vorausgesetzt, daß es dir recht ist, natürlich.«
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