Marie Louise Fischer - Ein Herz für mich allein

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Die junge Bettina verlebt eine glückliche Kindheit mit ihren Eltern und den Geschwistern. Bis sie eines Tages erfahren muss, dass sie nicht die leibliche Tochter der Bürgers ist. Ihr leiblicher Vater Stefan Steutenberg gab sie nach dem tragischen Tod ihrer Mutter in Pflege – und jetzt fordert er die Tochter zurück. Nach Abschluss ihrer Schulzeit in einem vornehmen Genfer Internat holt Steutenberg Bettina nach Hamburg. Diese Welt und diese Familie ist ihr nicht nur neu, es kommt dort vielmehr schon bald zu massiven Spannungen, die Bettinas heile Welt noch weiter aus den Fugen geraten lässt. Wie soll ein Mensch, dessen Bindungen immer wieder in Frage gestellt wurden, damit fertigwerden? Doch bei allem, was jetzt geschieht, ist sie nicht ganz allein. Da ist noch ihr Jugendfreund Jürgen, der ihr mehr ist als nur ein Freund.-

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Marie Louise Fischer

Ein Herz für mich allein

SAGA Egmont

Ein Herz für mich allein

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2018 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)

represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1961 by Bach Verlag, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711718681

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

I.

Bettina verhielt mitten im Tanz und blickte über ihre Schulter zurück zu dem Tisch, an dem sie und ihre Schwester gesessen hatten. »Wo ist Ursel?«

»Verdammt!« Jürgen Holbach, ihr Tanzpartner, war durch diesen unerwarteten Stillstand ins Stolpern geraten, fügte aber sofort reuig hinzu: »Entschuldige bitte, Bettina … was hast du gesagt?«

Sie wandte ihm ihr helles herzförmiges Gesicht mit dem vollen, schöngeschwungenen Mund und den klaren, weit auseinanderstehenden Augen zu. »Ob du Ursel irgendwo gesehen hast!«

»Bestimmt!« sagte er, bemüht, wieder in den Rhythmus des Tanzes zurückzufinden. »Noch vor ein paar Minuten … warum?«

»Ich seh’ sie nirgends!« Bettina blickte über Jürgen Holbachs Schulter suchend in das Gewühl. Die kleine Tanzfläche des Hinterzimmers vom Café ›Lorzing‹, das die Schüler und Schülerinnen der Städtischen Mittelschule für ihre Abschlußfeier gemietet hatten, war gesteckt voll. Bettina sah lauter bekannte Gesichter, aber das ihrer Schwester war nicht darunter.

»Und wenn schon!? Was soll’s?« sagte Jürgen Holbach. »Sie kann sich ja nicht verflüchtigt haben!«

Die Musik klang aus, die Paare blieben stehen. Bettina wollte die Gelegenheit benutzen, sich auf die Suche nach Ursel zu machen.

Jürgen Holbach hielt sie fest. »Hör mal, Bettina«, sagte er bittend, »sei doch nicht so … du kannst dich doch jetzt nicht einfach verkrümeln!«

»Bloß auf einen Sprung! Ich will sehen, wo sie steckt … ich bin gleich wieder zurück.«

»Das kenne ich. Sobald man dich aus den Augen läßt, hat dich ein anderer geschnappt … wenigstens den nächsten Tanz noch, Bettina!«

Die Schulband – vier Jungen und ein Mädchen am Klavier – stimmten mit nicht ganz gelungenem Einsatz einen feurigen Cha-cha-cha an. Es fiel Bettina nicht leicht, der Versuchung zu widerstehen. Sie tanzte gut und leidenschaftlich gerne. Aber ihre Sorge um die Schwester war stärker. Geschickt löste sie sich aus Jürgen Holbachs Armen, bahnte sich einen Weg durch die Tanzenden.

Jürgen Holbach versuchte ihr zu folgen, aber ehe er die Tür erreichte, war Bettinas blonder Schopf schon verschwunden.

Er stellte sich in die Nähe der Wand, zündete sich eine Zigarette an. Er war enttäuscht und verärgert, dennoch konnte er auf Bettina nicht böse sein. –

Bettina begriff selber nicht, warum sie die Abwesenheit ihrer Schwester so beunruhigt hatte. Vielleicht kam es einfach daher, daß sie und Ursel, im Gegensatz zu den anderen, ohne ihre Eltern zur Abschlußfeier gekommen waren. Der Vater war verreist, und die Mutter hatte den kleinen Heiner, der mit einer Grippe zu Bett lag, nicht allein lassen mögen. Bettina fühlte sich für die Schwester verantwortlich, obwohl sie sehr gut wußte, daß das eigentlich unsinnig war. Schließlich war Ursel fast ein Jahr älter als sie selber und durchaus imstande, auf sich aufzupassen. Trotzdem stieg Bettinas Unruhe von Sekunde zu Sekunde, während sie die Nebenräume absuchte, jeden, der ihr begegnete, nach Ursel fragte, ohne sie jedoch zu finden.

Möglicherweise war sie schon nach Haus gegangen. Aber ohne ihr etwas zu sagen? Auch das war unwahrscheinlich.

Auf gut Glück öffnete Bettina eine Tür, von der sie nicht ahnte, wohin sie führte, und – sah ihre Schwester Ursel. Sie hockte auf einer kleinen Treppenleiter in einem Abstellraum. Bettina erkannte in dem schwachen Licht, das vom Flur in das dunkle kleine Zimmer schien, nur undeutlich ihren weißen Spitzenkragen und die dazu passenden großen Manschetten.

»Sag mal … bist du wahnsinnig geworden?« sagte sie verblüfft.

»Laß mich in Ruh!« Ursels Stimme klang wütend und verzweifelt.

Bettina zog die Tür hinter sich ins Schloß, knipste das Licht an. Eine winzige Glühbirne an der sehr hohen Decke der Kammer warf ihr Licht auf Stöße von Tellern und Tassen in Wandregalen, auf Stapel von Tischtüchern, Handtüchern, auf Besen und Eimer und auf Ursels verweintes Gesicht.

»Ursel«, fragte Bettina, »ist was passiert?«

»Das fragst du mich?«

Bettina hob hilflos die Hände. »Ja, aber … habe ich dir etwa was getan?«

»Nein. Du nicht. Du bist ja immer der reinste Unschuldsengel!«

»Ich weiß wirklich nicht, Ursel …«

»Nein, dir ist es bestimmt nicht aufgefallen, daß du mir alle Tänzer weggeschnappt hast, wie? Wie solltest du auch was dabei finden! Du bist es ja so gewohnt! Du bist die schöne, die begabte, die kluge Bettina! Du kannst verlangen, daß alles sich um dich dreht! Was interessiert es dich denn, wenn du mir mein ganzes Leben kaputt machst?! Du, du bist so gemein … so gemein!« Ursel hob die zu Fäusten geballten Hände und schüttelte sie in verzweifelter Wut.

Bettina holte tief Luft. »Ursel«, sagte sie eindringlich, »du weißt sehr gut, daß alles, was du jetzt redest, Unsinn ist. Ich habe dir nicht einen einzigen Tänzer weggeschnappt, das redest du dir ja bloß ein! Du hast genau soviel getanzt wie ich …«

»Ja, das habe ich. Das stimmt haargenau. Weil du jedesmal nur mit einem tanzen konntest. Und wer bei dir zu spät kam, hat sich dann gnädig meiner erbarmt. Glaubst du etwa, so was macht Spaß?«

Bettina wurde blaß. Sie spürte, daß die Vorwürfe ihrer Schwester nicht ganz unberechtigt waren. »Ursel!« sagte sie. »Du weißt genau … ich kann doch nichts dafür!«

»Dafür! Dafür! Was interessiert es mich, ob du etwas dafür kannst! Ich habe es satt … verstehst du!« Ursula griff sich mit der Hand an die Kehle. »Satt bis hierhin, immer nur in deinem Schatten zu stehen. Weißt du, wie sie in der Stadt von mir reden … weißt du das? Für niemanden bin ich Ursel Bürger … nein! Bettinas Schwester nennen sie mich! Verdammt … das ist ja wirklich nicht mehr zu ertragen.«

»Bildest du dir das nicht alles nur ein, Ursel?« sagte Bettina. »Das ist doch alles … furchtbar übertrieben. Du bist doch mindestens so hübsch wie ich …«

»Ich? Mit meiner Figur?«

Bettina versuchte zu lachen. »Da haben wir’s. Du hast Minderwertigkeitskomplexe, das ist es. Bloß weil du ein bißchen dicker bist. Jeder Mensch weiß, daß sich so was von selber wieder gibt. Das liegt einfach … na, du weißt schon, woran. Wie kann man nur aus so was eine Tragödie machen?«

Ursel sprang auf und trat dicht auf Bettina zu. »Ich übertreibe also. Ich mache aus einer Mücke einen Elefanten! Ja? Dann beantworte mir jetzt mal ganz ehrlich eine Frage … wie kommt es, daß dein Zeugnis besser ist als meines?«

»Herrgott, Ursel! Als wenn das nicht ganz gleichgültig wäre, ob man …«

»Für dich vielleicht … aber für mich nicht. Mir ist es ganz und gar nicht gleichgültig, wenn ich ungerecht behandelt werde. Ich weiß genau, daß ich mindestens soviel gelernt habe wie du. Nein, noch viel mehr. Und trotzdem … bin ich etwa dümmer als du?«

»Bestimmt nicht!« sagte Bettina impulsiv.

»Na also. Da hast du’s. Gib selber zu, ich bin nicht dümmer und nicht fauler als du. Trotzdem hast du das bessere Zeugnis bekommen. Also … warum? Ja, guck mich nur so an mit deinem Unschuldsblick. Bei mir zieht der nicht. Damit hast du die Lehrer eingewickelt, aber …«

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