Ich gab den Inselnamen bei Google ein. Nelson, der die Suchmaschine schätzte, weil sie langes Sitzen vor dem Rechner garantierte, sprang auf meinen Schoß.
Eine halbe Stunde später wusste ich, dass Alderney die nördlichste der Kanalinseln und die kleinste mit einem Flughafen war. Sie lag nur acht Meilen vom Cap de la Hague an der französischen Normandieküste entfernt, hatte drei Quadratmeilen Fläche und etwa 2400 Einwohner. Bis nach Guernsey, mit dem sie zusammen eine »Vogtei« bildete, waren es zwanzig Meilen. Sympathischerweise fehlten auf Alderney wie auch auf Guernsey und Jersey politische Parteien völlig. Nicht, weil sie verboten waren; die Insulaner interessierten sich einfach nicht dafür!
Die Insel, die nicht zu Großbritannien gehörte, sondern als »Kronbesitz« der britischen Krone direkt unterstellt war, wurde von einem Spielzeugparlament geführt, den sogenannten »States of Alderney«. Die zehn gewählten Abgeordneten, denen ein »Präsident« vorstand, trafen sich einmal im Monat in der Hauptstadt St. Anne, um über Probleme wie den chronischen Geldmangel des klammen Eilands, die Geldspritzen aus Guernsey oder nötige Steuererhöhungen zu beraten. Oder um zu entscheiden, ob der Müll weiterhin kostspielig nach Guernsey verschifft oder eine eigene, kurzfristig aber noch viel teurere, Verbrennungsanlage gebaut werden sollte.
Es gab jedoch keinen Grund, die Nase zu rümpfen: Das Miniparlament wirtschaftete verantwortlich, reell und seriös: Schulden, die sich in den meisten »großen« Staaten auf Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Milliarden Euro oder Dollar beliefen und deren Zinsen einen erklecklichen Teil der Haushalte aufzehrten, hatte Alderney nicht. Vielleicht würde sich das mit der Anschaffung der Müllverbrennungsanlage ändern.
Jährlich besuchten rund fünfzigtausend Touristen die hübsche Insel, die ihnen neben vielen Banken und Briefkastenfirmen fünfzehn Läden, zwölf Kneipen, vier Kirchen, drei Polizisten, zwei Schulen sowie einen Ort und ein Postamt bot – und viel Wasser, Strand und Natur als Zugabe.
Das Hotel »Georgian House« war ein viereckiges, schmuckloses Gebäude mit zwei Stockwerken und lag in der Victoria Street im Zentrum der kleinen Inselhauptstadt. Es rühmte sich einer erstklassigen Küche, hatte vier sehr plüschige Zimmer, ein Restaurant, eine Orangerie, einen großen Garten und ein Pub. Auf den Fotos im Internet sah alles ganz manierlich aus – und extrem britisch.
Die Software der meisten Internet–Reisebüros hat bei mir noch nie funktioniert, und ich bin sicher, das ist nicht meine Schuld. Heute war es – natürlich – nicht anders: Obwohl ich als Abflugort »London All« auswählte, also alle Londoner Flughäfen, bekam ich erst die Flüge aus Kingston auf Jamaika gezeigt, dann die aus Lusaka. Nach langem Suchen gelang es mir schließlich auf der sechsten oder siebten Site, die Verbindung nach Alderney zu klären. Mehrere kleine Fluglinien flogen von London Gatwick nach Guernsey, wo es mehrmals täglich Anschluss nach Alderney gab.
Da ich einige böse Überraschungen mit Online–Buchungen erlebt hatte, rief ich das Büro von Marktführer Aurigny Air in Gatwick an und kaufte ein Ticket für die Maschine um 8.30 Uhr. Den Rückflug ließ ich offen. Ankunft in Guernsey war 9.35 Uhr. Weiter nach Alderney ging es erst um 12.00 Uhr. Planmäßige Landung war 13.00 Uhr. Ich stutzte: Welcher Flieger brauchte eine Stunde für zwanzig Meilen?
Aber die Insel gehörte ja nicht zum Vereinigten Königreich, fiel mir ein. Sie lag im Dunstkreis Frankreichs, das sie Aurigny nannte; da durfte man sich über nichts wundern. Eine Portion gesunder Skepsis gegen alles Französische hatte noch keinem Briten geschadet.
Am nächsten Morgen saß ich in einer Trislander–Maschine von Aurigny Air, einem kanariengelben 15–sitzigen Turbo-Prop-Flieger mit drei Triebwerken – eines an jeder Tragfläche und eines in der Höhenflosse.
Drei Reihen vor mir hockte Hamish Hogg. Er quoll aus dem schmalen Sitz direkt am Ausgang wie Hefeteig aus einer zu kleinen Kuchenform, und die Flugbegleiterin hatte große Mühe, ihr Getränkewägelchen an seinen Ausläufern vorbeizuschieben.
Ich hatte den fetten Fahnder erst bemerkt, als er sich schwitzend durch die Kabinentür zwängte; in der Abflughalle hatte ich ihn nicht gesehen. Hogg hatte mich keines Blickes gewürdigt, als er sich prustend gedreht hatte, um seinen enormen Achtersteven auf den Sitz zu wuchten, und auch ich hatte so getan, als sei er mir unbekannt. Ich glaube, dieses Mal war es umgekehrt wie in PE: Er ärgerte sich, mich zu sehen.
Ich war ebenfalls nicht gerade begeistert über unser Zusammentreffen, aber ich fühlte ein wenig Schadenfreude: Wenn der Dicke bei der Kapitänsfrau vorsprechen wollte, wie es schien, so hieß das, dass die kostspielige Containerbergung vor PE ihn nicht weitergebracht hatte.
Gut möglich, dass die Blechkiste das Meer schon jahrelang unsicher gemacht hatte; denn Container gingen immer wieder durch »Seeschlag«, wie es im Fachjargon hieß, oder aufgrund schlampiger Befestigung über Bord. Zwar versank der Großteil sofort, aber einige der Transportbehälter trieben als schwimmende Riffe ihr Unwesen. Wieder andere spuckten ihren Inhalt aus, bevor sie untergingen, und Zehntausende von Turnschuhen, Plastikentchen oder Tennisbällen verschönerten noch Jahre später die Strände der halben Welt.
Offenbar lief es bei Hogg nicht besser als bei mir: Außer Spesen nichts gewesen! Doch hatte ich einen Trumpf im Ärmel! Ich hoffte, er wusste nichts von »meinem« Hotel auf Alderney.
In Guernsey begab ich mich nicht zur Transfer Lounge, sondern folgte dem Dicken zum Mietwagenschalter in der Ankunftshalle. Ich stellte mich bei der Gesellschaft mit der längsten Schlange an, um ihn glauben zu lassen, dass ich gleichfalls vorhatte, auf der Insel herumzukurven. Ich war noch lange nicht an der Reihe, als der Mann von WW&W mit seinen Schlüsseln und Papieren zum Ausgang watschelte. Ich sah zu, wie er sich draußen in einen Vauxhall Senator quetschte und abfuhr – ich nahm an, zum Haus der Shearers. Schön, dass auf dem Spielzeugflughafen alles so übersichtlich war.
Erst dann begab ich mich zu meinem Gate. Gott sei Dank war reichlich Zeit für das harmlose kleine Täuschungsmanöver gewesen. Aber bis die Maschine abhob, hielt ich ständig Ausschau nach Hogg. Mich plagte die Zwangsvorstellung, mein überdimensionaler Landsmann könne auftauchen – mit einer Bordkarte für den Hopser nach Alderney in der Pranke.
Aber Hogg hatte keine echte Chance: In knapp zwei Stunden hätte er das Haus finden und feststellen müssen, dass die Kapitänsfrau ausgeflogen war. Er hätte ihren Aufenthaltsort in Erfahrung bringen, zum Airport fahren, seinen Vauxhall zurückgeben und ein Ticket nach Alderney kaufen müssen. Nein, das war selbst für den schwergewichtigsten Ermittler des Universums nicht zu schaffen.
Ich hoffte, dass ich ihm wirklich einen Schritt voraus war.
Der Luftsprung nach Alderney dauerte kaum eine Viertelstunde. Von oben sah die Insel wie ein Eichenblatt aus, das in einer Pfütze schwamm. Der ganze obere und untere Rand des Blattes war von Schädlingen zerfressen, und der Baum hatte es deshalb schon früh abgestoßen, weshalb es sich erst an den Rändern herbstbraun gefärbt hatte. Der längliche grüne Fetzen hatte fünf oder sechs halbrunde Fraßstellen. Das waren die Strände.
Der einzige intakte Teil des Blattes unterhalb der Mitte war nach Eichenart gelappt. Zwischen den tiefen Buchten auf beiden Seiten blieb nur noch eine relativ schmale Taille. Oberhalb der rechten Einbuchtung, die klar die größte der Insel war, schien an einem landzungenförmigen Überrest des nächsten »Lappens« der Blattstiel zu sitzen, obwohl er dort keinesfalls hingehörte.
Dennoch spießte ein langer Stängel an dieser Stelle schräg nach unten in den Ärmelkanal, der bemüht war, sich in ein freundliches Mittelmeer–Blau zu kleiden. Am Ufer der Landzunge und über den Rest der Insel verteilt, standen viele kleine Hexenhäuschen.
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