„Reizt es sie?“ fragte Drecksfresse und ich nahm eine Spur Unsicherheit, vielleicht sogar Furcht in seiner Stimme wahr.
„Mehr als Sie denken.“
Er schluckte. Jeder harte Kerl hätte jetzt gesagt: „Dann sollten Sie es vielleicht tun“, darauf spekulierend, dass man es nicht tat. Oder es wenigstens darauf ankommen lassend. Aber Drecksfresse war offensichtlich nicht so hart, wie er glaubte.
„Warum setzen wir uns nicht?“ schlug ich vor.
„Möchten Sie auch ein Getränk?“
Er schien seine Selbstsicherheit langsam wiederzufinden. Vielleicht steckte sie aber auch nur in Mario Nettes Zeigefinger – und wir wussten ja, wie es um den bestellt war.
„Schmerztabletten wären ganz nett.“
Ich deutete ihm an, den Schlagring auf den Tisch zu legen. Er tat es.
„Ja, Ihr Gesicht sieht angeschlagen aus.“
„Gut formuliert.“
„Sollten Sie nicht sagen: Sie sollten mal den anderen sehen?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Ist ein gebrochener Mann. Und wir müssen hier ja nicht alle Klischees durchkauen, die das Handbuch für Privatdetektive für eine solche Situation empfiehlt.“
„Sie halten sich für einen Privatdetektiv?“ lachte er spöttisch.
„Sie halten sich doch auch für einen Gangsterboss.“
„Höre ich Spott in Ihrer Stimme?“
„Ist Ihnen also aufgefallen.“
„Sie sind nur ein mieser Schnüffler, Schwartz“, zischte der Zuhälter abfällig. „Dreckig, schmierig, klein.“
„Dann würde ich doch super in diesen Laden hier passen.“
„Sie machen sich über mein Geschäft lustig?“
„Und über Ihre Person.“
„Ich hätte Mario sagen sollen, dass er Sie nicht wieder aufstehen lassen soll.“
„Ich bin sicher, er hatte vor, Ihnen genau diesen Wunsch zu erfüllen.“ In meinem Mund hatte sich wieder Blut angesammelt und ich spuckte es auf den Teppich. Es war ein teurer Teppich. Das ganze Büro war teuer eingerichtet, teurer und sauberer als die Kaschemme für die Besucher dieses Bumsladens.
Auch wenn das kaum möglich schien, aber Drecksfresses Gesicht schien noch eine Spur hasserfüllter zu werden.
„Das werden Sie bereuen!“
„Immer diese leeren Versprechungen“, murmelte ich, mir sehr bewusst darüber, dass ich mich auf sehr dünnes Eis begab. Leute wie Milo und Mario hatten wenig Skrupel, ihren Drohungen auch Taten folgen zu lassen. Sie waren Verbrecher und Arschlöcher und solchen Leuten pinkelte man besser nicht ans Bein. Aber ich hatte Zahnschmerzen und die wirkten sich irgendwie negativ auf meine Stimmung aus. Gott, ich hätte ihn abknallen sollen, als ich die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Vielleicht sollte ich es mir zur Aufgabe machen, das zu machen, wozu sich offensichtlich niemand aufraffen konnte, nämlich dafür zu sorgen, dass Drecksfresse und seine Marionette endlich ein neues Heim hinter schwedischen Gardinen fanden, aber andererseits würde mich wohl niemand dafür bezahlen und von irgendwas musste man ja leben, selbst als schmieriger Privatschnüffler.
„Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie hier wollen.“
„Wir waren so schön dabei, Nettigkeiten auszutauschen, das wollte ich uns nicht verderben.“
„Sie hängen wohl nicht sehr an Ihrem Leben.“
„Nein, Sie?“
„An Ihrem Leben?“
Ich lächelte. „Ich sehe, Sie haben viel dazugelernt.“
„Was das Drohen angeht?“
„Was die deutsche Sprache angeht, Herr Jebalnik .“
Drecksfresse sah mich überrascht an.
„Woher…“
„Ich Ihren richtigen Namen kenne?“ Ich zuckte die Schultern, was cool wirken sollte, aber seinen Zweck verfehlte, weil durch die Bewegung etwas in meinem Mund berührt wurde und mir eine Welle des Schmerzes durch den Körper fuhr.
„Schmerzen?“ lächelte mein Gegenüber.
„Ja. Aber Sie kennen ja das Sprichwort.“
„Welches?“
„Geteiltes Leid ist halbes Leid!“ Ich richtete Nettes Kanone auf Drecksfresses Schulter. „Wollen Sie teilen?“
„Ich verzichte.“
„Zu schade, ich wollte wirklich mal testen, ob an dem Sprichwort was dran ist.“
Ich ließ die Waffe sinken, hielt sie aber weiterhin so, dass ich den Zuhälter Schrägstrich Gangsterboss abknallen konnte, sollte sich das als notwenig erweisen – und ich hoffte stark, dass es das tun würde.
Ich atmete tief durch, um die Schmerzen unter Kontrolle zu kriegen. Mein Blick verschwamm ein wenig, aber dann war ich wieder klar. Mir war aber auch bewusst, dass es so nicht den ganzen Tag weitergehen würde. Mein Kiefer fühlte sich an wie der Regenwald nach der Rodung und über kurz oder lang würde das meine Reserven aufbrauchen und mit etwas Pech würde ich irgendwo zusammenbrechen, mit sehr viel Pech direkt hier – und dann würde man wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, meine Leiche zu identifizieren. Falls man sie denn fand.
Ich versuchte, mich zu konzentrieren. Ich war aus einem bestimmten Grund hier, und der war nicht gewesen, dem netten Mario eins aufs Maul zu hauen, obwohl das nie verkehrt war. Eigentlich, und ich musste das nach den Ereignissen der letzten paar Minuten schon sehr einschränken, war ich hier, um etwas herauszufinden, um den Mann, der mir jetzt gegenüber saß und mir wahrscheinlich einen langsamen und schmerzhaften Tod wünschte, etwas zu fragen. Angesichts der gerade beschriebenen Umstände sah es wohl nicht so aus, als würde ich hier Antworten bekommen, die mir weiterhelfen würden. Andererseits wusste ich aber auch nicht, wie ich den Verlauf der Dinge hätte verhindern können, denn immerhin waren die Feindseligkeiten diesmal nicht von mir ausgegangen.
Mühsam unterdrückte ich ein Schreien, als ich versuchte, etwas aus meiner Innentasche herauszuangeln. Ich hatte Abzüge gemacht, von den beiden Mädchen. Sicher, man konnte den Leuten auch einfach das Display seines Handy zeigen, aber ich war in dieser Beziehung ein wenig altmodisch – und so Handys waren teuer, die konnten dann bei einem unwilligen Kunden mal schnell auf dem Boden oder im Schwimmbecken landen und die Gefahr bestand bei ausgedruckten Bildern dann eher weniger.
„Brauchen Sie Hilfe“, fragte Drecksfresse hämisch.
„Deshalb bin ich hier.“
Nicht die Antwort, mit der er gerechnet hätte. Und nicht die Antwort, die ich im Sinn gehabt hatte. Aber, wenn ich es mir recht überlegte, würde ich um einen weiteren Schritt nicht herumkommen – und in dem Fall würde er garantiert nicht kooperativ sein.
„Kennen Sie diese Mädchen?“ wollte ich wissen und schob stöhnend die Bilder über den Schreibtisch, immer bedacht, nicht in seine Reichweite zu kommen.
Er warf einen kurzen Blick darauf.
„Nie gesehen“, sagte er.
Ich seufzte. „Auch wenn Sie das wahrscheinlich anders sehen, aber bis hierher habe ich wirklich versucht, höflich zu sein.“
Ein Stöhnen von draußen, das anzeigte, dass die Marionette offenbar gerade erwachte, deutete das Gegenteil an.
„Ich weiß, dass Sie lügen“, sagte ich sehr leise, nicht allein, weil das bedrohlicher wirkte, sondern weil meine Kräfte sich gerade in einem Tief befanden. „Und ich bin sicher, wenn Sie wüssten, dass Sie einer alten Dame damit einen Traum zerstören würden, würden Sie mir das Gegenteil sagen.“
„Ich kenne die beiden.“
„Das meinte ich.“ Ich lächelte erschöpft. Schweiß stand auf meiner Stirn. Wenn der kalt wurde, würde es eng werden. „War offenbar eine blöde Idee, hierher zu kommen.“
„Das erste Kluge, das Sie gesagt haben. Jemals!“
„Ja“, nickte ich. „Mir ist eben aufgegangen, dass Sie mir genau das erzählen werden, von dem Sie denken, dass ich es nicht hören will – und dass damit alles, was Sie sagen, für mich völlig wertlos ist.“
Er zeigte mir sein Siegerlächeln.
„Ihrem Gesichtsausdruck nach folgere ich, dass Sie aber zu den falschen Schlüssen gekommen sind. Denn das bedeutet einerseits, dass ich mich nicht mal anzustrengen brauche, Sie wie ein menschliches Wesen zu behandeln, weil mir das sowieso nichts bringen würde. Und es bedeutet andererseits…“
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