„Eine Sie?“
„Keine Ahnung“ beteuert Susy, meint verschmitzt, dass sie später nachsehen könnten, ob sie vielleicht pimmelig sei.
Walé überlegt, ob er Susanne zu ihr sagen sollte, weil es hübscher und auch in der Länge besser zu ihr passe. Er schmunzelt über sein Witzchen, was Susy bemerkt, wissen will, warum.
„Weist du, ich bin einfach noch allweil in Überraschung! Vor zwei Tagen war ich noch einzeln, nun bin ich doppelt“.
„Für mich ist das auch so. Zack, auf einmal zwei Väter“.
„Na ja, Vater hast du nur einen, aber…“ er unterbricht sich, um dem Thema nicht zu nahe zu kommen, fragt Susy, ob er ihr etwas anbieten kann. Ein Bier, kommt es wie aus der Pistole geschossen, was Walé sofort ablehnt, hat sie doch vorgestern genug davon gehabt.
„Hat Wik es dir erzählt?“
„Ja, er hat dich betrunken aufgefunden, musste dich ins Bett schleppen.“
„Alles hat er dir erzählt, hm.“
„Einiges.“
„Und einiges hab ich gehört von Euch“, triumphiert sie, nimmt das Glas Orangensaft, fragt nach Eis, bekommt es. Walé schenkt sich Kaffee nach, in die große, gläserne Tasse und weil er danach fragt, erzählt sie die Belauschung Wiktors, und das ist so was von süß, wie sie beide rumturtelten.
„Rumturtelten?“
„Ja, Wiktor hatte den Ton eines Verliebten in der Stimme und was er alles offenbarte, obwohl er dich bloß eine Stunde oder so kannte“.
„Ja, wir waren uns gleich sehr nah, natürlich war daran auch deine Mutter schuld.“
„Ja, ja, ich weiß, brauchst mir gar nix erklären.“
Das Thema ist ihr peinlich, deshalb schlendert sie hinüber ins Arbeitszimmer, besieht sich die Ziegelwand, und als es nun zu schweigsam wird, erklärt er ihr seine Sicht dazu.
Susy mag, wie Walé über dieses rote Gesamtkunstwerk - wie er die Wand benennt - spricht. Ihr gefällt seine Stimme, tiefer, reifer, männlicher als Wiktors, fast die identische Tonlage Rosmaries, was zu Verwechslungen am Telefon kommt.
Susy mag Walés kurze, energische Sätze. Sie betrachtet ihn eingehend, wenn’s geht unbemerkt, stellt fest, dass er Wiktor wirklich sehr ähnlich sieht, dennoch ein völlig anderer Typ von Mann.
Walé möchte am liebsten Susy die vielen Fotos der Ziegelwand zeigen, doch hält er sich zurück. Der Moment ist unpassend, zu intim, zu früh. Er fragt, wie lange Wiktor wohl brauchen wird, um anzukommen. Susy bläst unschlüssig die Backen auf, blubbert mit den Lippen, kommt nach einigen Sekunden zu dem Schluss, dass es wohl eine gute Stunde werden kann. Fragt sich und Walé, warum Wiktor bloß die Katze mit schleppt. Doch Walé weiß auch keine Antwort.
„Sie wird alles vollscheißen!“
„Wir bleiben auf dem Balkon!“
Walé führt sie dort hin, sie setzen sich, er erklärt ihr die zu sehende Stadt und sie weiß, dass sie viel lieber in der Stadt wohnen würde. Er gibt zu bedenken, dass es sehr laut ist, schlechte Luft, teuer und immer und immer die vielen Menschen.
„Besser als auf dem Land vor Langweile zu sterben! Aber jetzt da ich dich kenne, kann ich dich immer in der Stadt besuchen“.
„Gerne, aber nicht immer, ich bin Einzelgänger!“
„Ich bin Einzelkind!“ entgegnet Susy in lächelnder Grimasse. Walé kann nicht anders, als hellauf zu lachen, das Kind auf die Stirn zu küssen, zu verkünden: „Du hast mir gerade noch gefehlt!“
„Meinst du`s ernst Walé, oder Quatsch?“
„Ich meine es ganz wirklich, Susanne“. Susy ist es angenehm mit Walé. Sie strahlen sich lieblich an, doch bevor er in Sentimentalität abgleitet - wovor er allweil auf der Hut ist - will er von ihr wissen, wie Rosmarie reagiert.
„Gar nicht. Erst ist sie abgehauen zur Oma, wie du weißt, und gestern Abend hat uns die Katze so beschäftigt, dass wir noch mal davon gekommen sind.“
„Von was?“
„Na von Erklärerei!“
Dass man an einer gemeinsamen Aussprache nicht vorbei kommen wird, ist Walé überzeugt, doch Susy ist der Meinung, dass doch nun eh jeder alles weiß und gewesen ist gewesen und sowieso schon lange vorbei. Sie hat Recht, findet er. Wiktor und er wissen Bescheid, dass Rosmarie ihn benützt, um die von ihr verloren geglaubte Liebe fort zu setzen… Er kann im Beisein Susys seine Gedanken nicht weiter spinnen, fragt sie, nach ihrer Meinung über die Situation. Sie weiß es nicht so genau, aber irgendwie könne sie ihre Mutter schon verstehen, weniger das, dass sie Walé so benutzt.
„Was hätte sie denn tun sollen?“
„Euch alle beide nehmen sollen, Wiktor und Walé.“
Sie beugt sich über die Balkonbrüstung, kuckt links, rechts, als Walé erklärt, dass alles, was er zum Leben brauche, nur ein paar Schritte entfernt sei. Sodann stellt er ihr seine Pflanzen vor und sie fragt, als er beim Thymian angelangt, ob sie nicht doch ein Bier haben kann.
„Bist du süchtig?“ entsetzt sich Walé.
„Der Saft klebt mir im Mund.“
„Du kannst gerne Wasser haben.“
„Wenn ich nervös oder so unruhig bin, dann hilft mir ein Bier. Es hat in der Schule angefangen, dass wir in Stresssituationen eine Büchse, zwei, geleert haben. Es hat beruhigt und war cool und ehrlich gesagt, ist es doch besser, als so ein Drogenzeug. Ich bin Bier gewöhnt und es macht mich locker.“
„Und besoffen, bis zum Umfallen!“
„Nur weil ich vorher Rotwein getrunken habe, um Mama zu ärgern, weil sie so feige war.“
„Du bist so und so, weißt du“. Sagt Walé etwas scharfzüngig, sitzt sehr gerade, Skepsis in den Gesichtszügen. Während Susy dicklippig schmollt, denkt Walé, dass sie eben Einzelkind ist. Und was weiß er, was sie alles durchgemacht hat, und nun auch noch die doppelte Vaterei. Als wenn sie es lange überlegt, so langsam bringt sie die Frage hervor, was er damit meint, dass sie mal so und so?
„Du bist einerseits so vernünftig, andererseits Babykacke“.
Großäugig blickt sie ihm ins Gesicht, würgt als hätte sie kleine Frösche im Hals, prustet in ein Lachen aus, das ihre Augen tränen lässt, verschluckt sich tiefhalsig, als sie versucht Babykacke zu wiederholen. Walé beklopft ihr den Rücken, hat sie ins Stehen gezogen, doch sie hustet, keucht, verfällt dazwischen in hysterische Lach-Rage und in ehrlicher Erstickungsangst verlangt sie nach Bier. Walé stürzt in die Küche, nippelt eine Dose auf, reicht sie ihr, die gierig daraus trinkt, nicht aufhören kann, so scheint es, und beschließt die Szene mit einem wahrhaft prächtigem Gerülpse, das Walé erinnert an die Nacht mit Wiktor am Telefon. Nun hat Susy sich endlich beruhigt und auch Walé, der Angst hatte, dass sie ihm erstickt.
„Jetzt hast du mich so weit gebracht, dass ich dir ein Bier gegeben. Das ist nicht fair hörst du!“
Susy stahlt, lächelt in Walés Gesicht und sagt: „Das war echt unschlagbar, Walé, das mit der Babykacke.“ Gluckst schon wieder aus der Kehle, vertrinkt das aufkommende Lachen mit dem Rest aus der Dose. „Wirst du`s Wiktor gleich stecken, das mit dem Bier?“
„Gleich nicht, aber wir werden auch darüber reden müssen!“
„Bitte lass` uns heute nur cosy sein, ich hab `dich doch heute erst zum ersten Mal!“
Das stimmt und es erstaunt ihn, dass kein Anzeichen von Fremdheit zwischen ihnen, wie alte Bekannte, Vater Tochter. Walé ist sehr überrascht, wie selbstverständlich sie agieren, wie er sie hineinlässt in seine doch so behütete, kleine Welt. So einfach, wie sie in seiner Welt angekommen ist, so schwer wird es vielleicht werden, mit ihr darin zu leben. Doch verspürt er keine Ängste, er verspürt liebevolle Sympathie, ist einverstanden, dass heute nur Gemütlichkeit herrscht. Dicke Schnuten nähern sich vorsichtig einander, geschlossene Augen, Hände hinter dem Rücken, Schmatz-Bussi zur Besiegelung, und im Moment schlüpft die Sonne um die Nachbarshausecke, bestrahlt die beiden, den Balkon, spiegelt sich in Fensterscheiben, taucht die Straße in Schatten.
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