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Rosmarie schläft, schläft neben ihrer Mutter, beide einander zugewandt. Sophia lässt nur ihr hageres Gesicht sehen, ihr Körper ist im Plumeau versteckt, trotz der Hitze. Rosmarie hat das Leintuch mit dem sie sich bedeckt, zu den Füßen gestrampelt, sie hat unruhige Beine im Schlaf, vor allem, wenn sie träumt. Ihr Mund steht offen, sie atmet tief im Gleichklang ihres Herzens und dieser Rhythmus wird ab und an unterbrochen von einem Erleichterung suchenden Seufzer aus ihrer Brust.
Sie träumt in wilder Augenzwinkerei von der abendlichen Begegnung mit Walé, sieht eine Frau bei ihm, die ihr haargenau bis auf die Wimpernanzahl gleicht. Zwei völlig identische Paare und sie lacht auf, denn auch Susy ist im Doppel ihrer Traumszenerie. Sie fühlt sich sehr zu Walé hingezogen, beflirtet ihn schamlos in Gegenwart seiner Frau, was den anderen sehr peinsam ist, sie aber nicht tangiert. Sie animiert Walé mit ihr zu gehen. Sie schreiten durch ein hohes, rundes Portal in eine sonnengleisende Parkanlage, schweben in die Fontäne eines mächtigen Springbrunnens, verschwinden darin und damit ihr Traum. Befreit atmet Rosmarie tief und laut aus, schickt ein unverständliches Gebrabbel hinterher, das Sophia anscheinend wahrgenommen hat, denn sie dreht sich abrupt auf den Rücken, verfällt sogleich wieder in gemütliche Schnarcherei. Sie träumt nie. Sie erzählt sich Geschichten oder formuliert Reportagen, knapp, präzise, logisch, doch erfunden, für die nächtliche Unterhaltung. Am Morgen schreibt sie sie in ihr Nachtbuch, dass niemand zu lesen bekommt, auch nicht ihre Tochter. Im Moment erklärt sie sich, warum alte Menschen keine Tiere mehr halten sollten. Sie begründet das, weil ihr Mitgefühl nicht mehr intakt ist. Diese These will sie gerade mit Beispielen untermauern, da fällt ihr ein, wie sehr sie sich immer ein Nerztierchen gewünscht hat, das sich anschmiegt wie ein Nerzkrägelchen, das den Körper hinauf, hinunter trippelt, Massagetierchen. Doch dessen kalte Augen verleideten ihr den Wunsch, unterbricht sie ihre Nachtgedanken.
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In der Zwischenzeit sind die Männer in ihre Küchen zurückgekehrt, um den Trank zu erneuern. Walé fragt, ob Wiktor jemals an Rosmarie gezweifelt habe.
„Was meinst du damit?“
„Hattest du nie den Verdacht, dass sie dich betrogen hat?“
„Da ich bei meiner Frau lebte, hatte ich kein Recht, von ihr Treue zu verlangen“.
„Du hast nie von mir gehört?“
„Nein, nicht bis heute Abend.“
„Wie ich. Verrückt, oder?“
„Völlig verrückt!“
Eine kleine Stille, in der sich Wiktor an den klobigen, schweren Eichentisch gesetzt hat, mit nachdenklicher Miene in der Antipasti nascht, das Besteckgeklapper Walé fragen lässt, was er tue.
„Ich esse ein bisschen.“
„Gute Idee, dann hol ich mir Käse und wir essen zusammen.“
Beide richten sich eine Nachtvesper auf Tabletts, um sie hinaustragen zu können, denn in den Wohnungen ist es noch allweil zu hitzig. Ein kleines Amüsement erlaubt sich Wiktor, indem er sein Tun für Wiktor kommentiert.
„Ich telefoniere nach Mitternacht, mit dem Ex Geliebten meiner Frau, der noch dazu genauso aussieht wie ich. Trage ein Tablett mit Vorspeisen und Bier auf die Terrasse, um mich auf eine längere Nacht vorzubereiten, in der wahrscheinlich die unwahrscheinlichsten Dinge zu Tage treten werden!“
„Und ich tue es dir gleich, hi, hi….“
Als Wiktor nun durch das Wohnzimmer auf die Terrassentür zugeht, sieht er Susy im Wandschatten kauern. Er stellt das Tablett ab, beugt sich zu ihr und sie schläft. Schlummert mit Schäfchen-Gesichtsausdruck, selig, drei geleerte Bierflaschen neben sich. Nimmt das Telefon vom Tablett, ruft nach Walé.
„Ja, was ist los? Du hörst dich an, als hättest du ein Gespenst gesehen!“
„Ich habe Susy gefunden.“
„Wieso, hattest du sie verloren?“
„Walé bitte, sie liegt betrunken hier im Flur, hinter der Terrassentür“.
„Betrunken?“
„Oder besoffen, wie du willst“.
„Wie kommt sie denn dahin, ich dachte du hast sie ins Bett gebracht“.
„Sie hat sich hinuntergeschlichen, denke ich, um uns zu belauschen und darüber ist sie eingeschlafen“.
„Trinkt sie regelmäßig?“
„Walé bitte, mach dich nicht lustig. Sie war ziemlich durcheinander, aufgedreht, nach unserem Treffen. Sie spielt zwar die Coole, trinkt ab und zu, um uns zu provozieren, wenn wir ihr zu bieder sind. Aber heute trank sie, um sich zu beruhigen“.
„Denkst du, sie hat alles mit angehört?“
„Zumindest wird sie wissen, dass du mit ihrer Mutter ein Verhältnis hattest“.
„Verhältnis klingt blöde.“
„Dein Wort.“
„Weißt du, ich habe es gemocht, mit Rosmarie zusammen zu sein. Sie war so eine andere Frau für mich. Es war so neu für mich mit ihr. Ich war nicht verliebt in sie, denn ich spürte, dass sie das auch nicht in mich war. Ich wollte mich emotional nicht mehr auf jemanden einlassen… aber es war toll, wie sie auf mich einging, wie begierig sie darauf war, mich zu lehren…“
„…um dich, mich mehr und mehr anzugleichen“.
„Ja, wie wir jetzt wissen“.
„Was wohl Susy darüber denkt?“
„Oh, sie wird morgen, oder besser gesagt heute, damit rausrücken. Hundertprozentig!“.
„Wiktor, du solltest sie wieder zu Bett bringen, bevor Rosmarie sie so zu Gesicht bekommt“.
„Die ist bei ihrer Mutter, wie du weißt.“
„Sie könnte nachhause kommen.“
„Nein, nein, sie wird erst kommen, wenn sie weiß, dass niemand im Haus ist. Wenn Susy in der Schule ist, ich beim Schwimmen bin.“
„Sollen wir es gut sein lassen für heute, Wiktor“.
„Was meinst du damit?“
Wir können morgen weiter reden“.
„Es ist bereits Morgen“.
„Bring sie ins Bett, Wiktor, und rufe mich wieder an, wenn du Lust hast, ok“.
„Ja, sehr“.
Wiktor besieht sich sein Mädchen, wie es behutsam grinst und schnarchelt im Alkoholschlaf, ausgezeichnet zufrieden aussieht. Er schiebt ihr seine Arme bis zu den Ellenbogen unter ihre Achseln, umarmt sie so, lädt das Kindermädchen über die Schulter. Sie schlenkert in ihrer Länge, ihm vorne und hinten hinab, wie eine schnurlose Marionette. Er schafft es sich aufzurichten, schleppt die Schlafseufzende hinauf in ihr Zimmer, lädt sie sanft in ihr Bett ab, lässt sich schwer schnaufend neben sie fallen, wird augenblicklich von ihr umarmt, umklammert. Außer Atem in fester Umarmung hat er nun Zeit, sich des Erlebten auszusetzen.
Bloß ein paar lächerliche Stunden, und sein Leben ist unglaublich, völlig durch einander. Susy grunzt wonniglich, dreht sich ab, lässt so Wiktor aus der Umklammerung. Der bleibt liegen, denkt, was er im selben Moment bedauert, ob seine Tochter seine Tochter ist - oder ist sie das Kind von Walé? Ähnlich ist sie keinem von beiden, sie kommt aus der Sophienecke, ihrer Großmutter. „Ehrlich gesagt“ denkt Wiktor, würde er am liebsten hier liegen bleiben, tief schlafen, irgendwann erwachen und alles wäre ein simpler Traum. Gleichzeitig verspürt er den Wunsch, nochmals mit Walé zu sprechen, der vielleicht auf seinen Anruf wartet. Als er die Stufen hinunter steigt in das Wohnzimmer, kommt er in Versuchung seine Stimmung mit Musik zu untermalen. Er tut dies auch. Die lyrischen Pianostücke von Grieg und das zärtliche Klaviergetupfe begleitet ihn hinaus in den Garten. Er wählt Walés Nummer.
„Wiktor?“
„Ja Walé“.
„Hast du sie ins Bett gekriegt?“
„Erwacht?“
„Nein“
„So schade, dass du nicht hier sein kannst“.
„Wieso?“
„Ich würde dich gerne sehen, dir gegenüber sitzen“.
„Nimm einen Spiegel“, albert Wiktor, fühlt sich geschmeichelt.
„Das ist nicht das Gleiche. Wir sind uns vielleicht nur äußerlich ähnlich. Übrigens sind das die lyrischen Stücke von Grieg im Hintergrund“.
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