Er knipst die nackte Glühbirne an, die an einer Art Galgen, der außen, am Fensterrahmen befestigt, in den Hinterhof hängt. Der leiseste Luftzug lässt die an einem Kabel hängend Glühbirne, swingen, pendeln, wirft grandiose Lichtspiele gegen die terrakottafarbene Ziegelwand.
Das Fenster ist geöffnet, ein leichtes Windchen haucht herein, draußen tanzt ein kleiner, runder Lichtmond über die Mauer.
Er kann, obwohl er die ganze Zeit daran denkt, Wiktor nicht antelefonieren. Er kennt die Telefonnummer nicht und wenn, würde er nicht anrufen, um mit Wiktor zu sprechen, wäre es ihm doch unangenehm, wenn Rosmarie am Apparat wäre. Er findet es einfach verrückt, eigenartig, überraschend, unangenehm, völlig witzig, äußerst befremdlich, liebenswürdig, sehr besonderig die Begegnung doch gerade noch rechtzeitig in seinem Leben, indem nicht mehr allzuviel passiert, geschieht.
„Außer, dass er mir äußerlich gleicht, weiß ich nichts von ihm. Womöglich ist er ein ausgezeichneter Blödmann… und wenn er doch so ist wie ich? Und wie bitte bin ich? Ich bin, äh – puh- hm- also, konsequent inkonsequent, äh- sozial- listig, puh- liebens- und lebenswert – genau - ach ja, tolerant, feministisch, ungläubig, abergläubig, künstlerisch, kitschig, kitzlich, unmoralisch moralisch, mimosig, zickig, Freidenker, nachtragend, verzeihend, alkoholisch, mäusezärtlich und zu viel alleinig. So wie ich Wiktor auf die Schnelle kenne, könnt er diese Eigenschaften auch haben, oder wünsche ich mir das? Nur allein, ist er nicht, er hat Rosmarie und Susy.“
***
Rosmarie schließt in diesem Moment die Wohnungstür ihrer Mutter auf und die ruft „Ros bist du`s?“
„Ja, Mam!“ Mam krümmt sich irgendwie in das Sofa, denn sie ist nicht rustikal, rundlich wie ihre Tochter, sie ist dünn und lang wie ihre Enkelin. Sie hört wie Rosmarie ihre Schuhe von sich schleudert und als sie wehleidigen Blickes, schmollmündig eintritt, weiß sie, das Kind hat wieder mal Trouble mit ihrem Ehemann, was sie nicht verstehen kann, ist Wiktor doch das liebenswerte Wollschaf, das man sich als Partner nur wünschen kann. Rosmarie fragt ihre erschlaffte Mutter, um abzulenken, ob sie es wieder mit dem Kreislauf habe.
„Ja, ich glaube es ist die Hitze.“
„Sollen wir einen Sekt dagegen trinken?“
„Die Idee hatte ich auch schon, wollte aber für mich allein keine Flasche öffnen“.
Rosmarie hantiert in der Küche, Mam ruft hinüber, ob Wiktor endlich eine andere habe.
„Quatsch, er hat einen, anderen“.
„Was?“
„Einen Mann!“
„Einen Mann?“
Rosmarie tablettiert Sekt samt Gläser heran, stellt alles auf dem Sofatisch ab, schenkt ein. Während dessen hat sich Sophia eine lange, dünne Menthol Zigarette angezündet.
„Wieso unbequemst du dich herum des Nachts?“
„Am Tag wäre es auch nicht bequemer.“
Sie nippen zuerst in ihren Gläsern, nehmen dann einen kräftigen Schluck, ohne sich zuzuprosten.
„Was ist mit Wik, ist er schwul geworden?“
„Falentin ist aufgetaucht, wir sind ihm im Theater begegnet“.
„Ach du lieber Gott. Wie sieht er denn aus?
„Er sieht Fiktor noch ähnlicher“.
„Noch ähnlicher?“
„Ja!“
„Und wie waren sie?“
„Von den Socken, aber sehr angetan voneinander“.
„Wie hat Su reagiert?“
„Susanne war fasziniert“.
„Natürlich, hat sie doch ab jetzt zwei Väter“.
„Hör bloß auf, das fehlte mir noch“.
„Wieso hast du auch damals Val nicht aufgeklärt?“
„Ich dachte, ich könnte ihm das nicht antun. Die ganze Zeit über als ich mit ihm zusammen lebte, liebte und wartete ich auf einen anderen Mann, der auch noch fast so aussah wie er“.
„Das war doch mehr oder weniger Zufall, Ros.“
„Sicher, aber ich nahm ihn nur wegen der Ähnlichkeit, so konnte ich die Trennung von Fiktor einigermaßen überstehen“.
Rosmarie lernte Wiktor in einem Entwicklungsprojekt in Afrika kennen. Ein einjähriges Projekt, das ein Krankenhaus aufbauen und einarbeiten sollte. Sie hatte gerade ihr Hebammen-Diplom abgeschlossen und Wiktor, der Apotheker, legte eine Ehe-Pause ein, um sich sozial zu läutern, danach die Apotheke seines Vaters zu übernehmen und die bröckelnde Ehe wieder zu kitten. Fast ein Jahr widerstand Wiktor der verliebten Rosmarie, bis er sich ebenfalls verliebte. Er verheimlichte aber nicht seine Frau und die abgenützte Partnerschaft nach Rückkehr aus Afrika auffrischen, neu beginnen zu wollen. Als Rosmarie Wiktor zum ersten Mal sah und den Schock der Ähnlichkeit zu Walé einigermaßen verdaut war, beschloss sie ihn als Wiktor-Ersatz anzunehmen, solange bis der sich endgültig für sie entschieden haben würde und dessen war sie sich gewiss.
Kein halbes Jahr verging und Wiktor trennte sich von seiner Frau und Rosmarie wurde Frau Apothekerin.
Die Ablöse war sehr simpel. Als Wiktor das Jawort gab, verneinte Rosmarie Walé von einer Sekunde auf die andere, verließ ihn. Während Wiktor mit Rosmarie aufs Land zog, blieb Walé städtisch und hörte und sah nichts mehr von ihr, bis auf die beiden unbedeutenden Begegnungen.
Walé war so verblüfft über die abrupte Trennung, dass er keinerlei Traurigkeit empfinden konnte, nur Unverständnis und das ist relativ einfach zu ertragen. Nichts blieb von ihr, kein Foto, kein Brief, keine zärtliche Kitschigkeit, nichts. So betrank Walé sich eine Woche und vergaß sie einfach. Und wenn er sich doch ab und zu erinnerte, schmunzelte er sie einfach weg.
Sophia hat sich erhoben, langbeint durch das Zimmer, prüft da und dort die Staubverhältnisse auf den Möbeln. Rosmarie verfolgt sie mit wachen Augen, kennt die Rituale ihrer Mutter, die plötzlich stehen bleibt, die Lippen zusammen presst, die Augen gegen die Zimmerdecke verdreht, die Backen aufbläst, die Luft kräftig ausstößt und unerbittlich fragt: „Wer ist der Vater?“
„Was?“
„Wer von beiden ist der Vater von Su? Ich Idiotin, das, ist doch deine unaussprechliche Problematik! Oder?“
Rosmarie windet sich, wartet auf Erklärungskräfte, trinkt solange, schnieft nun ein näselndes, Falentin. „Vaaaaaaal“, schmettert Sophia durch das Zimmer, das die As wie Gummibälle durch den Raum springen lässt. Nun hat Rosmarie sich in das kleine Sofa gekuschelt, in das sie rund hinein passt.
„Bist du sicher?“
„Ich weiß es ganz genau, Mam.“
„Oh Gott, oh Gott, oh Gott, oh Gotti”.
„Gott sei Dank, hatte das Harlem zu! Sonst säßen wir nun dort in peinlichen Erklärungen“.
„Ach, ihr wolltet ins Harlem?“
Rosmarie erzählt, wie die Begegnung abgelaufen war.
„Andererseits, wenn das Harlem geöffnet gehabt hätte, hättest du die Sache jetzt hinter dir“, behauptet Sophia. Sie fordert die Tochter auf, aus sicherer Distanz Walé an zu rufen, um zu beichten.
„Ich kann nur alle Heiligen anrufen, dass sie mir helfen“ fleht Rosmarie. „Ach Mam, was kann ich nur tun?“
„Wir betrinken uns und morgen schenkst du Wiktor reinen Wein ein“. Und nun kommt die typische Mutterfrage;“ Hast du schon was gegessen?“
„Oh Mam, ich will doch jetzt nichts essen, ich bin vor dem Essen geflohen!“
„Na ich mach uns eine Kleinigkeit“.
„Nein Mam bitte“.
„Was Klitzekleines“.
„Neiiiiiiiiiiiiin!“
Sophia weiß keinen Rat, außer dem einen, dass Rosmarie mit der Wahrheit raus muss, was die vehement ablehnt, aus Angst, dass Wiktor sie verlässt. Es ist spät genug, um sich bettfein zu machen, und während Rosmarie im Bad ist, überzieht und richtet sie die andere Hälfte des Ehebettes, denn natürlich hat die Tochter darauf bestanden, bei der Mutter zu schlafen, im Fall, dass es noch etwas zu quatschen gibt.
***
Neben Wiktor liegt Susy und sie Quatschen.
Eine Kerze züngelt auf dem Fensterbrett, schummert Dämmerlicht. Beide tragen weiße, weite T-Shirts als Nachtkleider, weil das Kind es so wollte, damit sie gleich aussehen. Wiktor hat eine Bierflasche in der Hand, sie auf dem Bauch abgesetzt. Susy ein Fläschchen Bionade. Ab und an prosten sie sich mit Skol zu. Aus dem Wohnzimmer romantisiert Julio Eglesias zu ihnen herüber. Ein leichter Windhauch lüftelt durch das Zimmer, dennoch ist es Schweißperlen schwül und die zwei wünschen sich ein Gewitter, mit Blitz und Donner, der sich anhört als rattere ein Güterzug über eine Eisenbrücke und es prasselt schwerer Regen auf die Terrasse und dicke Tropfen springen in die Höhe, wie gläserne Fröschlein.
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