Wird dies »unser« Haus?
Da wurde uns klar, dass wir wohl weiter hinaus aufs Land müssten, um etwas Bezahlbares zu finden, was ohne vorherige vollständige Entkernung bewohnbar war.
Eines Nachmittags im September war es dann so weit. Michael drängte, denn er wollte pünktlich zum Fassanstich beim Richtfest seines besten Freundes eintreffen. Ich hingegen hatte gerade im Internet ein neues Angebot entdeckt. Direkte Waldrandlage.
Michael meinte, wir hätten uns die Seiten doch schon hundertmal durchgesehen und würden alle Angebote schon kennen. Ich widersprach, dieses hier sei wirklich neu, das hätte ich noch nie gesehen. Es war zwar keine Adresse des Objektes angegeben, aber aufgrund seiner Beschreibung kamen wir zu dem Schluss, es müsse sich ziemlich genau in der Nähe der Straße befinden, wo sein bester Freund gleich Richtfest feiern würde. Bestlage im Siebengebirge. Wir sahen uns noch einmal die dazugehörigen Bilder an, forderten das Exposé an und fuhren zum Richtfest.
Auf dem Weg dorthin legten wir die Streckenführung so, dass wir bei dem Haus vorbeikommen müssten. In der Tat fanden wir es. Wobei wir, da es sich um ein Hinterhaus handelte, von der Straße aus nur eine Doppelgarage sehen konnten. Trotzdem. Die Lage – traumhaft. Und die Garage sah auch gut aus. Zwei Autos passten davor und drinnen jede Menge Platz für Krempel. So handhaben das jedenfalls alle, die ich kenne, mit ihrer Garage. In Garagen ist ganz viel Platz, aber am Schluss passt das Auto zumeist nicht mehr hinein.
Michael war in diesem Ort aufgewachsen und zur Grundschule gegangen. Sein bester Freund würde künftig in unmittelbarer Nähe leben. Es waren nur dreißig Minuten Fahrzeit bis Bonn und die nahe gelegene Autobahn brachte einen fast ebenso schnell nach Köln. Es gab eine Grundschule und mehrere Kindergärten, die weiterführenden Schulen waren im Nachbarort. Es gab eine Bäckerei, einen Schlecker, einen Metzger. Von »unserem« Haus zwar nicht unbedingt fußläufig, da es oben auf einem Berg gelegen war, aber auch nicht weiter als drei Minuten Autofahrt entfernt. Solche Fragen der Infrastruktur sind langfristig nämlich durchaus von Bedeutung. Auch für diejenigen, die Hauskäufe emotional angehen. Zumindest, wenn sie ihre pragmatischen Eltern von einer Co-Finanzierung des Objektes überzeugen müssen.
Als naturverbundene Menschen fanden wir die Aussicht auf direkte Waldrandlage (unverbaubar) sympathisch. Vollsonne hatten wir eh beide noch nie gemocht. Und wenn mein Vater früher mit mir und meinen beiden älteren Brüdern zum Schlittenfahren ins nahegelegene Siebengebirge gefahren war, dann immer genau dorthin, wo unser Haus sein würde. Wir zogen dann unsere Schlitten vom Wanderparkplatz Margarethenhöhe bis zum Rodelhügel am Löwenburger Hof (eindeutig eine »schwarze Piste«). Auf dem Weg bewunderten wir die Aussicht und auch die dort befindlichen Häuser, bei denen es sich, wenn es nicht schön hergerichtete Fachwerkhäuser waren, um villenartige Anwesen handelte. Und dabei phantasierten mein Vater und ich (neun Jahre alt) auch darüber, in welche Art Haus es mich wohl einmal verschlagen würde. Dass es sich tatsächlich um eines von diesen seinerzeit in Sicht befindlichen handeln würde, konnten wir seinerzeit ja nicht ahnen. Aber schon damals war klar, dass die Phantasien seiner Räubertochter um verwinkelte Anwesen mit viel Wald kreisten und nicht um eine schicke Penthousewohnung mit begehbarem Kleiderschrank in New York. So viele Jahre war das nun her. Noch immer spüre ich in der Erinnerung seinen warmen Händedruck und habe den Geruch seiner Lammfelljacke in der Nase, höre und spüre den Schnee unter meinen Füßen knirschen. Genau hierhin sollte es mich nun verschlagen.
Mit Spannung erwarteten wir also das Exposé des Maklers. Sobald es eingetroffen war, vereinbarten wir einen Besichtigungstermin.
Als wir die Einfahrt hochschlenderten und noch ehe das eigentliche Haus in Sicht war, fragte Michael mich: »Was machen wir eigentlich, wenn es uns gefällt?« So weit hatten wir noch nie gedacht. Wir hatten keinen Schimmer von Baudarlehen, wir hatten keine genaue Vorstellung davon, was wir uns tatsächlich leisten könnten, letztlich hatten wir uns ja nur zum Spaß mit der Suche nach einer geeigneten Immobilie befasst. So lautete denn meine Antwort: »Dann wird es kompliziert.«
Bei diesem ersten Besichtigungstermin konnten wir leider nur eine Hälfte des Hauses besichtigen. Denn es war irgendwann einmal im Laufe seiner Geschichte geteilt und zu einem Zweifamilienhaus umgewandelt worden. Die eine Hälfte war vermietet und stand deshalb nur nach gesonderter Absprache zur Begutachtung frei, gehörte aber mit zum Verkauf. Die Hälfte, die wir besichtigten, war hingegen seit einigen Wochen unvermietet. Sie bestand nur aus einer Garderobe, einer winzigen Küche mit Durchreiche zum Wohnzimmer, einem Bad, einem Wohnzimmer und dem über eine Wendeltreppe erreichbaren Schlafzimmer. Von der Garderobe aus führte eine urzeitliche Bodenluke in einen winzigen Kellerraum, vom bisherigen Schlafzimmer eine Deckenluke auf den nicht ausbaufähigen Dachboden.
Die Garderobe verfügte neben einem Einbauschrank über eine Tapete aus den sechziger Jahren und ein Buntglasfenster. Im Schlafzimmer und der Garderobe lagen abgenutzte Teppichböden, in den übrigen Räumen deutlich benutztes Eichenparkett im Schiffsdielenstil. Das Badezimmer hatte gelb gesprenkelte Fliesen, die vielfach durchbohrt und wieder zugeflickt worden waren. Die Decken waren eichenvertäfelt, das Wohnzimmer mit kleinem Erker und festeingebauter hölzerner Sitzbank hatte sogar zusätzliche Eichenvertäfelung auch an den Wänden, was dem Raum insgesamt das Flair einer Jugendherberge aus den sechziger Jahren verlieh.
Eindeutig nicht ausbaufähiger Dachboden.
Auch die Eingangstür war aus Eiche, mit Mattglasscheibe und Gitter davor. Wie überhaupt die meisten Fenster im Erdgeschoss fest installierte Gitter, die von einem Schlosser mit Zierwindungen versehen worden waren, aufwiesen.
Die Tür zur Terrasse hingegen hatte ein aufschließbares modernes Gitter aufzuweisen. Der Makler erläuterte uns hinsichtlich der Vollvergitterung, es habe sich bei dem Haus ursprünglich um ein Ferienhaus eines Düsseldorfer Möbelfabrikanten gehandelt. Im Inneren sei es später mehrmals umgebaut worden.
So befand sich die Küche ursprünglich in der jetzigen Garderobe, das Wohnzimmer war früher mit dem der zweiten Haushälfte verbunden, die jetzige Küche war früher die Garderobe, die Wendeltreppe nicht vorhanden (weshalb das dahinterliegende Fenster sich nicht mehr voll öffnen lässt) und in der Garderobe war mal ein Gäste-WC gewesen, worauf jetzt jedoch nur noch ein überflüssiges Fenster und ein zubetoniertes Loch im Boden hinwiesen. Durchgänge waren geschlossen, neue geschaffen worden. Kurzum: Es war verbaut.
»Dieses Zimmer bekomme ich«, sagt mein Mann
Die Massen an eingebauter Eiche gaben dem Haus unübersehbar einen ganz eigenen Stil. Das Schlafzimmer hatte hingegen eine breite Fensterfront mit direktem Blick in den Wald.
Nachdem Michael seinen Blick durch das große bisherige Schlafzimmer hatte schweifen lassen und an dieser Aussicht hängen geblieben war, raunte er mir zu: »Wenn ich dir das Haus kaufe, bekomme ich dieses Zimmer.« So, wie der (gänzlich realitätsfern) auf dicke Hose machte, hätte wohl eher er bei der Maklerin des Hauses in der Luisenstraße anrufen sollen.
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