Nein, wir müssten nicht ins Hotel übersiedeln, den Funkenflug habe er jetzt bereits notdürftig behoben, aber hier müsse schnell etwas geschehen. Das würde Wochen dauern. Er bräuchte auch eine zweite Person, das sei allein nicht zu schaffen. Wenn das Haus jetzt abbrennen würde, würde die Brandversicherung nicht bezahlen, weil die Technik nicht auf dem Stand der Zeit sei und es noch nie gewesen sei. Allerdings könnte man als Betrieb für Elektrotechnik solche Aufträge kaum im eng getakteten Alltagsgeschäft angehen, da Anfang und Ende nicht abzusehen seien. Hätte sich eigentlich das andere angefragte Unternehmen schon gemeldet? Nein? Das würde ihn nicht wundern.
Info: Vorwand- und Oberputzinstallation
Dieses Problem, dass Leitungen und Rohre eigentlich nie gut aussehen, kennt man vor allem in Deutschland. In anderen Ländern gehört es zum »guten Ton« von Straßenzügen, dass möglichst viele Leitungen und Rohre sichtbar sind. Je wirrer das Gesamtbild, desto besser.
Aber für deutsche Hausbesitzer gehören optisch ansprechend verlegte Rohre und Leitungen immer versteckt. Früher hieß dies zwangsläufig Wände aufstemmen. Wenn es aber etwas gibt, das deutschen Hausbesitzern Umbaumaßnahmen verleidet, so ist es das Aufstemmen von Wänden. Denn das macht Lärm und Schmutz.
So entstand die Vorwandinstallation. Die Rohre werden hierbei nicht in der Wand versenkt. Stattdessen befestigt man die Leitungen einfach auf der Wand. Und dann versteckt man sie hinter einer zweiten Wand, die man davor hochzieht. Diesen Vorgang kann man vermutlich so oft wiederholen, wie noch Platz im Zimmer ist. So weit die ästhetischen Sanitärfachleute. Elektriker ticken hingegen anders.
Wenn Elektriker Leitungen nicht in der Wand verlegen möchten, bringen sie eine Oberputzinstallation in Form eines hässlichen Plastik-Kabelkanals an. Fertig.
Kapitel 4: Nebenbei mitlaufen
Frank bekam (keine Selbstverständlichkeit) eine Genehmigung für die benötigten Sonder-Abendeinsätze von seinem Chef und die Sache war geritzt. Am Schluss würden wir ein offizielles Abnahmeprotokoll erhalten, das uns den dann ordnungsgemäßen Zustand der Elektroinstallation bescheinige.
Doch Frank benötigte eine zweite sachkundige Person. Sachkundig waren wir definitiv nicht. Also brachten wir Frank und Jens zusammen. Jens und Frank trafen über Monate hinweg immer abends bei uns ein, wobei Frank oft zu spät kam, weil er ein sehr hilfsbereiter Mensch ist, der ständig diesem und jenem zu helfen hat. Jens hingegen war ohne Frank kaum in der Lage, sich einmal um sich selbst zu drehen. Sie begannen mit einem neuen Sicherungskasten und rollten dann von dort ausgehend meterweise neue Kabelstränge durch die Eingeweide unseres Hauses. Sie dengelten eine Erdung ins Erdreich. Sie tauschten auch direkt die Telefonkabel aus und machten sie DSL-fähig (»Braucht ihr jetzt noch nicht, aber früher als ihr denkt«, womit sie Recht behielten). Im Fertigbauteil verständigten wir uns darauf, dass auch hier eine Oberputzinstallation für uns akzeptabel wäre. Auf diese Weise vermieden wir das Aufreißen der Wände. Selbst die Lämpchen der mit dem Heizöltank verbundenen »Alarmanlage«, welche bei plötzlichem Druckverlust Sirenentöne von sich geben soll und vermutlich schon seit zwanzig Jahren außer Betrieb war, brachte Frank wieder zum Leuchten. So eine tolle Warnanlage hatten meine Eltern bei ihrem Heizöltank nicht. »Ganz ehrlich«, dämpfte Frank meine Begeisterung, »wenn das Heizöl auslaufen sollte, riecht man das sowieso sofort.«
Als es darum ging, wer von beiden durch den Wartungsschacht unter der Küche kriechen müsste, taten sie sich mit der Entscheidung nicht leicht. Denn Frank war klein, drahtig, sportlich und hatte keine Angst vor Ungeziefer oder Dunkelheit. Jens hingegen war groß, unathletisch und hatte Angst vor Dunkelheit und Ratten. Es war dann Jens, der rein musste, weil er eine Wette um irgendeine Elektrofrage falsch beantwortet hatte.
Als es an die Anschlussbuchsen in der Küchenzeile ging, ließ Frank den Jens allein machen. Ich hingegen holte mir derweil heftige Blasen, weil ich die Aussparungen in den Wandkacheln für die Steckdose mit einem Hand-Fliesenschneider und mit Zangen anlegen musste. Diese per Hand passgenau zugeschnittenen beziehungsweise -gebrochenen Fliesen sollten dann, so meine Vorstellung, genau um die von Jens angelegte Steckdosenleiste herum angebracht werden. Das kann man sich ungefähr so vorstellen, als hätte man vor, eine Steckerleiste mit Fliesen zu umzingeln. Da nun aber die Steckerleiste eine andere Höhe und Breite hat als eine Fliese, geht das nicht ohne Zuschneiden beziehungsweise -brechen. Leider bestehen Fliesen nicht aus Papier. Deshalb lassen sie sich nicht einfach mit einer Schere oder einem Messer schneiden. Sie werden mit einem Fliesenschneider vorgeritzt und anschließend mit einer stabilen Zange entlang der Ritzung gebrochen. Da es eine sehr knifflige Arbeit ist, ist man dazu verleitet, auf nicht optimal sitzende Handschuhe der Maße »one size fits all« zu verzichten. Zudem misslingt mindestens die Hälfte der Fliesen und sie brechen beim letzten Zentimeter (immer beim letzten Zentimeter) an der falschen Stelle, woraufhin man diese Fliese nur noch wegwerfen und mit der nächsten einen neuen Versuch starten kann. Das Zuschneiden dauerte gefühlte Ewigkeiten. Schon nach kürzester Zeit hatte ich Rötungen und Blasen auf meinen Handinnenseiten. Auch Jens mühte sich redlich an dem Ausbohren der Löcher in der Wand für die Steckerleiste.
Als Frank das gemeinsame Ergebnis von Jens' gebohrten Löchern und meinen zurechtgeschnittenen Fliesen sah, zog er Jens beiseite und fing an zu tuscheln. Doch ich konnte das, was besprochen wurde, sehr wohl hören. Jens hatte schief gebohrt. Und da durchflutete mich ziemliche Wut, denn es bedeutete für mich, mit Händen voller Blasen nochmal von vorn beginnen zu müssen. Jens hatte Mist gebaut, war allein nicht mal in der Lage, drei Löcher für Steckdosen an der richtigen Stelle anzubringen. Sie befanden sich im falschen Abstand zueinander. Jens musste also alles nochmal neu machen. Und ich, da meine Aussparungen in den Kacheln sich auf Jens' Steckdosenlöcher bezogen, ebenfalls. Wäre ein schöner Moment gewesen, um einen wütenden Urschrei loszulassen und dann mit dem Fliesenschneider und der Zange auf Jens einzuschlagen. Allerdings wissen guterzogene Mädchen natürlich, dass sie nicht Lauschen sollen, wenn andere Leute miteinander flüstern. Urschreie ausstoßen und Leute verhauen wegen dem, was sie da erlauscht haben, geht natürlich auch nicht.
Nun war Frank mein Gefluche und die Blasenbildung an der Hand nicht entgangen. Er trat auf mich zu und sagte: »Wenn man das so macht, dass man die Steckdose in den Fliesen versenkt, so wie du das vorhast, dann lassen sie sich später schlecht reinigen.« Ich entgegnete, dass mich das nicht interessiere. Er bat, ich solle ihm vertrauen, es würde mich im Laufe der nächsten fünfzig Jahre in dieser Küche sehr wohl irgendwann interessieren. Aber dann müsse ich ja die ganzen bereits zugeschnittenen Kacheln wegwerfen. Denn diese hätten ja dann zu groß bemessene Aussparungen. Werden die Stecker darauf montiert, statt darin versenkt zu werden, reichen deutlich kleinere Aussparungen, die nur groß genug für das Innenleben der Steckdose sein müssen. Also alles neu vermessen und neu brechen. Frank sagte »Du schaffst das schon. Wenn die Steckdosen auf den Fliesen montiert werden, statt in den Fliesen vollständig versenkt zu werden, sieht es sehr viel besser aus, wirklich.« Er klang überzeugend, obwohl ich wusste, dass dieses nur deshalb notwendig geworden war, weil Jens es nicht einmal geschafft hatte, drei Löcher in ordentlicher Reihe zu bohren.
Fliesen - ein Kinderspiel, wenn man sich gern dreckig macht.
Читать дальше