„Aber doch bestimmt nicht so heikel, daß Sie nicht eine Tasse Tee mit mir trinken wollen“, antwortete Visnijakov jovial und deutete auf die beiden Ohrensessel im Alkoven. „Setzen wir uns doch, mein Freund.“
Sie setzten sich und schwiegen, bis die Haushälterin jedem eine Tasse Tee serviert und das Zimmer wieder verlassen hatte. Visnijakov nahm sein Zigarettenetui aus der Tasche und hielt es seinem Gast hin. Doch der winkte ab.
„Nicht doch, Nikolaj Petrovich, Sie wissen doch, daß ich’s mir abgewöhnt habe.“
Visnijakov schüttelte bedauernd den Kopf. „Ihr Deutschen wißt einfach nicht die kleinen Freuden des Lebens zu genießen“, meinte er.
„Wenn ich nicht irre, sind Sie auch einer von uns Deutschen“, erwiderte der Besucher.
„Sagen wir, ich bin es mit der einen Hälfte meiner Seele“, gab Visnijakov zu. „Mit der anderen Hälfte bin ich immer ein Russe geblieben. Insbesondere was solche Dinge angeht“, fügte er lächelnd hinzu und betrachtete beinahe liebevoll die brennende Zigarette.
Sie nahmen einen Schluck aus den Teetassen. Eine Weile schwiegen sie beide und widmeten sich weiter dem Tee. Visnijakov zündete sich eine weitere Zigarette an und stieß den Rauch langsam durch die Nase aus.
„Was also führt Sie zu mir, werter Herr Staatssekretär?“ fragte er schließlich. „Ich nehme an, es ist sowohl äußerst heikel, wie Sie andeuteten, als auch streng geheim?“
Der Beamte nickte. „In der Tat, das ist es beides.“
„Mir werden Sie jedoch trotzdem erzählen, worum es sich handelt“, stellte der Andere fest, immer noch lächelnd.
Der Staatssekretär blieb ernst. „Natürlich, sonst hätte ich Sie nicht aufgesucht“, gab er zurück.
Visnijakov lehnte sich in seinem Sessel zurück und nahm einen Zug aus seiner Zigarette. „Also?“
„Plutonium“, sagte der Andere. „Was wissen Sie darüber?“
„Plutonium ist das schwerste in der Natur vorkommende Element“, referierte Visnijakov. „Es trägt die Ordnungszahl vierundneunzig, ein Transuran aus der Gruppe der Actinoide. Ein hochgiftiger Alfastrahler, dessen Gefährlichkeit allerdings von den hysterischen, grünen Weltverbesserern weit überschätzt wird. Jedenfalls solange man es sich aus dem Körper heraushält. Dann ist die Strahlung vernachlässigbar. Die Giftigkeit wird ohnehin von vielen anderen Stoffen weit übertroffen.
Man findet natürliches Plutonium in kleinsten Mengen in sehr altem Gestein. Darüberhinaus entsteht es als Spaltprodukt bei der Kernspaltung des Urans. Es läßt sich sowohl als Brennstoff in Kernkraftwerken als auch in Kernwaffen verwenden. Heutzutage ist es in vielen Ländern verbreitet, in allen solchen nämlich, in denen elektrische Energie aus der Kernspaltung gewonnen wird … “
„Und von solchen, die daraus Waffen anfertigen, angefertigt haben oder aber sich darum bemühen, es zu tun“, unterbrach ihn der Staatssekretär.
„So ist es in der Tat“, stimmte Visnijakov zu, um dann mit seinem Referat fortzufahren: „Selbstverständlich ist der Handel streng reglementiert. Am freien Markt ist Plutonium nicht zu erwerben. Wie das freilich auf dem schwarzen Markt aussieht … “ Visnijakov zog die Schultern nach oben und die Mundwinkel nach unten.
Der Staatssekretär richtete sich in seinem Sessel auf. „Und genau darum geht es. Angeblich ist in Kasachstan eine gewisse Menge waffenfähiges Plutonium verschwunden, das wenig später in Russland aufgetaucht sein soll. In einer Wiederaufbereitungsanlage in der Nähe von Chelyabinsk. Dort ist es aber anscheinend nicht mehr. Ein Transport radioaktiver Materialien hat vor fünf Tagen diese Wiederaufbereitungsanlage verlassen und ist seitdem verschwunden.“
Visnijakov hatte sich den Bericht des Staatssekretärs mit unbeteiligtem Gesicht angehört. Wieder zog er an seiner Zigarette. „Eine interessante Geschichte“, sagte er jetzt. „Warum erzählen Sie sie mir?“
Der Beamte seufzte laut und lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück. „Es gibt Informationen, die darauf hindeuten, daß dieses Material nach Deutschland geschafft werden soll. Allerdings wissen wir nicht wie und wann und durch wen.“
Visnijakov breitete die Hände aus. „Ich weiß es auch nicht, Herr Staatssekretär. Ich weiß nur, daß ich es nicht bestellt habe.“ Er lächelte den Politiker an. „Ich habe keinen Bedarf an Plutonium. Meinen Strom beziehe ich vom örtlichen Stromversorger und meine Konflikte pflege ich nicht mit Plutoniumbomben zu lösen.“
„Oh, das weiß ich“, wehrte der Staatssekretär ab. „Aber einem Nikolaj Petrovich Visnijakov würde eine derartige Transaktion sicher nicht entgehen, wenn er sie denn sehen wollte.“
Eine geraume Weile blieb Visnijakov schweigend in seinem Sessel sitzen. Er nahm einen Schluck von seinem Tee und rauchte seine Zigarette zu Ende. Dann erhob er sich.
„Ich werde sehen, was ich herausfinde“, sagte er, drehte sich zu seinem Gast um und sah ihn an. „Ich begleite Sie hinaus.“
Am Fuß der Treppe vor dem Eingang wartete ein Taxi. Der Fahrer machte sich nicht die Mühe, auszusteigen und seinem Fahrgast die Tür zu öffnen. Visnijakov tat es stattdessen.
„Hat das Bundesinnenministerium Dienstwagen und Chauffeure abgeschafft?“ fragte er den Staatssekretär.
„Nein, bis jetzt nicht“, antwortete der Beamte. „Aber ich habe es vorgezogen, bei diesem Besuch so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Ich bin mit dem Zug gekommen und werde auch für die Rückfahrt die Bahn benutzen.“
„Es schickt sich für einen renommierten Politiker nicht, mit einem Nikolaj Petrovich Visnijakov gesehen zu werden“, stellte der Russe lächelnd fest.
Der Staatssekretär hob die Hände und zog die Schultern hoch. „Sie kennen die öffentliche Meinung, Nikolaj Petrovich.“
„Nein“, widersprach der Andere, „die öffentliche Meinung kenne ich nicht. Ich interessiere mich nicht dafür. Allerdings weiß ich, wie die Medien dazu stehen. Das tangiert mich zwar auch in keiner Weise, aber es ist schwer, das Geschrei der Journallie nicht zu hören.“
Die beiden Männer schüttelten sich die Hand.
„Ich wünsche Ihnen eine gute Reise, Herr Staatssekretär“, sagte Visnijakov.
„Vielen Dank. Sie halten mich auf dem laufenden?“
„Natürlich. Ich melde mich.“
Visnijakov blieb neben dem Auto stehen, bis der Staatssekretär eingestiegen und das Taxi hinter den Büschen verschwunden war. Dann ging er nachdenklich wieder ins Haus zurück. In seinem Arbeitszimmer setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und begann zu telephonieren.
***
Der ‚Gulfstream G450‘ Business Jet gab ein etwas seltsames Bild ab auf dem kleinen Flugplatz zwischen den einmotorigen Motorflugzeugen und den Segelflugzeugen, die vor dem barackenähnlichen Gebäude geparkt waren, das zwischen mehreren Wellblechhangars erbaut war und aus dessen Dach sich ein kleiner Kontrollturm erhob. Aber der Flugplatz verfügte über eine Betonpiste, die gerade lang genug war, um einer G450 Start und Landung zu erlauben. Ohne viel Aufsehen zu erregen, denn an Werktagen war der Platz, mit Ausnahme der Abendstunden, an denen die Hobbypiloten und Segelflieger ihre Freizeit hier verbrachten, so gut wie verwaist. Und er lag ganz in der Nähe von Nikolaj Visnijakovs Wohnsitz.
Am frühen Vormittag war der Jet gelandet. Man hatte eigens einen Fluglotsen auftreiben müssen, der Anflug und Landung und später auch den Abflug überwachen sollte, denn normalerweise war der Kontrollturm nur an den Wochenenden besetzt, wenn reger Flugverkehr herrschte. Ansonsten wurde nur bei schönem Wetter und nach Sichtflugregeln geflogen.
Das alles interessierte Visnijakov nicht im geringsten, dessen Maybach Limousine am späteren Vormittag auf der betonierten Fläche vor dem Flugplatzgebäude vorfuhr und unmittelbar vor dem Einstieg der Gulfstream zum Stehen kam. Er wartete, bis sein Chauffeur die Tür der Limousine geöffnet hatte und begab sich dann, ohne nach rechts oder links zu schauen sofort an Bord des Flugzeuges. Kaum fünf Minuten später war der Jet in der Luft.
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