„Ich hab doch gesagt, wir kriegen ´ne Packung“, rief sie „Ich will endlich mal vorne spielen!“ Mama zuckte hilflos mit den Schultern. Papa schüttelte den Kopf.
„Pass lieber auf!“, rief er. Da war es schon passiert. Leo sah den nächsten Schuss zu spät, sprang zur falschen Seite und der Ball kullerte über die Linie. Das gab Theater! Mattu, Enno und Flori, unsere ganze Abwehrreihe schimpfte gleichzeitig los. Bei Leo rollten schon die Tränen.
Frau Schnett rannte übers Feld und schubste die Jungs von Leo weg, damit sie die Klappe hielten. Beim vierten Tor winkten dann alle nur noch ab. Woher sollte da der Jubel über unser spätes Ehrentor kommen?
„Schlaf aus, Tina! Du bist dran!“ Was? Wie? Papa schüttelte mich aus den Tagträumen. „Frau Schnett hat schon zweimal gerufen!“
Du liebe Güte! Ich rannte zu ihr und für die letzten Minuten mit aufs Feld. Doch was sollte ich jetzt noch ausrichten? Uns noch einmal heran bringen? Warum nicht? Mosern hatte seine Spiele meistens viel höher gewonnen, da würde sich vier zu zwei noch ganz gut anhören. Ich rannte gleich nach vorn. Und ha! Ich hatte Glück. Mattu spielte mir den Ball vor die Füße und ich schob ihn dem ersten Gegner durch die Beine. Der schnaufte wütend. Wie weit war es noch zum Tor? Verdammt weit! Ich hetzte los, die anderen rannten schneller. Beinahe schaffte ich es in den Strafraum, nur noch ein Verteidiger stand mir im Weg. Ich täuschte einen linken Haken an, sprang aber nach rechts. Gleichzeitig lupfte ich den Ball über den Fuß des Verteidigers, und rums! Er zog das Knie genau in dem Moment hoch, als ich von hinten einen Schubs bekam.
Ich hob ab wie ein Flieger und flog genau in das Knie hinein. Aua! Auweia! Mir blieb die Luft weg. Ich stürzte auf die Wiese und krümmte mich vor Schmerz.
„Foul!“, hörte ich Papa vom anderen Ende des Platzes. Aber der Schiri hatte schon gepfiffen. Frau Schnett eilte aufs Spielfeld, zog mich hoch und streckte mich, damit ich wieder atmen konnte. Ich verkniff mir die Tränen und ging erst mal in die Abwehr zurück. Auf Flori‘s Posten, damit er den Freistoß schießen konnte. Beinahe traf er noch einmal. Sein Schuss streifte den Pfosten und flog ins Aus. Ich stöhnte enttäuscht. Flori schlug mit der Faust auf den Rasen. Derweil startete Mosern schon den nächsten Angriff. Mann, waren die schnell! Mit zwei, drei Zuspielen legten sie unser Mittelfeld aufs Kreuz. Mattu und Dome wurden auch überrannt. Der Ball kam aufs Tor, Leo stürzte nach vorn, aber sie rutschte vorbei. Der Angreifer spitzelte den Ball zur Seite, wo sein Freund ankam. Der schoss und …
Was jetzt passierte, war keine Absicht. Es war nur ein Reflex, wie bei einem Frosch, der in seinen Teich springt. Der Ball sollte einfach nicht in unser Tor. Ich hechtete ihm entgegen, so wie Torleute das tun. Er patschte an meine Hand und flog über die Latte ins Aus. Wieder schrillte der Pfiff. Und diesmal zeigte der Schiri auf den Punkt. Strafstoß für Mosern und rote Karte für mich! Mein Spiel war gelaufen, bevor ich richtig auf dem Platz stand.
Und damit lief das Fass über!
Alles, was ich an Fußball jemals toll gefunden hatte, löste sich in Luft auf. Wozu hatten wir diesen gruseligen Kampf um die Apfelwiese gewonnen? Wozu einen Verein gefunden und einen Sportplatz gebaut? Für das hier? Mama wollte mich trösten, ihre langen Haare umschlossen mich wie ein Vorhang. Doch ich war zu wütend, wand mich aus ihrer Umarmung und reckte dem Schiedsrichter die Faust entgegen. Papa riss sie sofort herunter. Die Moseraner grinsten schadenfroh und klatschten sich ab.
„Die Kleine hat die Sportart verwechselt“, lachte einer. Am liebsten hätte ich ihm eine geknallt.
„Bombe schießt!“, rief jemand anders.
Auch das noch! Bombe war der größte Kerl auf dem Platz und der fetteste auch, also verlor er jedes Sprintduell. Aber seine Schüsse waren hammerhart. Leo konnte froh sein, dass sie die bislang nicht abbekommen hatte. Nun nahm er sich den Ball. Leo schaute genau zu und rückte auf der Torlinie ein bisschen nach links. Sie hoffte wohl, dass Bombe absichtlich in ihre vermeintlich schwache Ecke schoss. Ich kannte diesen Trick und er funktionierte auch. Bombe lief an, vier, fünf Schritte; er stoppte beinahe und zog gewaltig ab. Der Schuss ging hoch ins linke Eck, genau wie Leo gedacht hatte. Sie hechtete hinein, streckte den Arm aus... sie hatte ihn! Doch der Schuss kam viel zu scharf. Ihre Hand wurde einfach zur Seite gedrückt und der Ball raste ins Netz. Enttäuscht blieb Leo auf der Linie liegen. Erst als Papa zu Schimpfen anfing, erhob sie sich widerstrebend. Kaum zwei Minuten später war das Spiel vorbei.
„Toller Einsatz, Leo!“, lobte Frau Schnett. Doch Leo schüttelte sich. Nach dieser Pleite brauchte sie nichts mehr.
Mosern schenkte uns eine Packung Schaumküsse zum Abschied. Lieb gemeint, wusste ich. Während ich meinen in mich rein stopfte, wuschelte Frau Schnett uns über die Köpfe. „Seid nicht traurig! Nächste Saison sind wir besser eingespielt. Da sieht alles anders aus!“ Wir schwiegen und mampften. Dann warfen wir die Trikots und Hosen in ihre große Tasche und zogen uns um. Frau Schnett ging den Spielbericht schreiben.
Plötzlich schaute Mama in die Umkleide. Wir mussten ziemlich getrödelt haben, denn sie fragte ungeduldig: „Wo bleibt ihr denn?“
Als wir zum Auto schlichen, sprach Papa gerade mit Frau Schnett. „Na, dann viel Erfolg!“, antwortete sie ihm, aber ich verstand nicht wofür. „Wir sehen uns in der Schule!“, rief sie noch aus dem Auto und fort war sie.
„Wo ist euer Fußball?“, fragte Mama.
„Oh, in der Kabine vergessen.“
„Dann hol‘ ihn, Leo! Hopp!“
„Nö, ist doch Tinas Pille.“
„Dann holt ihn eben Tina!“
„Wieso ich? Leo hat auch damit gespielt!“, protestierte ich.
„Beide rein und holen, sofort!“ Papas Machtwort schallte aus dem Auto. Das hatten wir davon!
„Nimm du!“, kickte mir Leo die ungeliebte Kugel zu.
„Nimm selber!“, schoss ich zurück.
„Was ist bloß mit euch los? Ihr habt nur ein Spiel verloren!“, warf Mama den Ball ins Auto.
„Ich spiele nie wieder Fußball!“, motzte Leo sie an. Und ich war voll ihrer Meinung.
Unser Traum, ein toller Fußballverein zu werden, schien weiter entfernt als je zuvor. Wir konnten einfach nicht mehr, und wir wollten es auch nicht. Wenn es dabei geblieben wäre, hätte es die folgende Geschichte nie geben. Doch mitten in der finsteren Stimmung, zündete jemand ungefragt ein Licht für uns an. Davon will ich dir erzählen.
Also komm mit! Jetzt drehen wir das Ding!
Gehen bei dir die letzten Schultage immer locker über die Bühne? Bei uns war das diesmal so. Am Wochenanfang gaben wir die Leihbücher ab und verlegten uns auf Lernspiele. Nur auf Leos Klasse wartete noch eine Herausforderung. Frau Hückli drückte ihnen einen Roman in die Hände: Tom Sawyers Abenteuer . Leo war alles andere als begeistert, in den Ferien einen Aufsatz darüber schreiben zu müssen. Aber zu meiner Überraschung verdrückte sie sich immer häufiger zum Lesen.
„Die Schwarte ist halt gut“, sagte sie, bevor schon zum fünften Mal die Tür hinter ihr zu schlug.
Fußballtraining fand zum Glück nicht mehr statt, schließlich hatte die Sommerpause begonnen. Dafür brachte Frau Schnett in die letzten Sportstunden noch etwas Neues mit: Badmintonschläger. Natürlich hatte ich das Spiel schnell drauf und versuchte auch meine Mama zuhause ein bisschen zu jagen.
„Du denkst wohl, du kannst mich austricksen?“, rief sie. „Na warte!“
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