Celina sah die düsteren Wolken, die sich langsam über ihr zusammenbrauten und einen Sturm zu entfesseln drohten, erst als es bereits zu spät war.
Aber der Reihe nach:
Anfangs klang Anne noch ganz normal, wenn nicht sogar fröhlich:
«Hallo Maus, wie geht’s dir heute?»
«Eigentlich ganz gut und bei dir? Was gibt’s neues in der Heimat», antwortete Celina brav und stellte somit gleich ihre Gegenfragen.
Wie immer erzählte Anne ihr alles, was sich zugetragen hatte, seit sie das letzte Mal gesprochen hatten. Es waren ganz normale Themen: der Alltag an der Uni, Annes Beziehung zu Daniel und der neuste Kleinstadttratsch.
Manchmal schaffte ihre beste Freundin es sogar, Celina für kurze Zeit aus ihrem problembeladenen Hier und Jetzt zu reißen und dafür war sie ihr insgeheim unendlich dankbar.
So waren alle Telefonate verlaufen, seit Celina Fort Kain verlassen hatte. Es war wie eine stille Abmachung, an die Anne sich immer strikt hielt: Celina hörte ihr zu und Anne bohrte dafür nie nach, wo sie war und wann sie endlich zurückkommen würde!
Das hatte immer sehr gut funktioniert…
Bis jetzt:
«Ich weiß, dass du diese Frage sicher nicht hören möchtest, aber…», begann Anne und hielt zögernd wieder inne.
Bei Celina schrillten sofort die Alarmglocken und wäre sie nicht so überrumpelt gewesen, hätte sie sie bestimmt aufgehalten. Aber sie saß einfach nur da, hielt die Luft an und ließ Anne weitersprechen:
«…weißt du eigentlich schon, wann du gedenkst zurückzukommen?»
Da war sie: die Frage, von der Celina gehofft hatte, dass Anne sie ihr niemals stellen müsste.
Jetzt stand sie im Raum, raubte ihr den Atem und schien sich bis in die Unendlichkeit auszudehnen.
Sicher wäre es das Beste gewesen, wenn Celina sich herausgeredet und Anne vertröstet hätte, aber die ganze Situation ging ihr so nah, dass sie es einfach nicht über sich brachte. Deshalb blieb sie, nachdem sie sich einigermaßen wieder gefangen hatte, einfach bei der Wahrheit.
Ihre Stimme war nur ein Flüstern:
«Wir hatten es eigentlich schon fast geschafft und ich dachte wirklich, dass ich schon längst wieder nach Haus fahren könnte, aber es gibt da leider noch ein kleines Problem und deshalb dauert es wohl noch ein bisschen. Wie lange genau, kann ich noch nicht sagen!»
Der letzte Satz brach ihr selbst fast das Herz und sie musste sich sehr zusammenreißen, damit sie nicht in Tränen ausbrach.
Es zu denken und es laut auszusprechen sind zwei komplett verschiedene Dinge, dachte sie traurig bei sich und wartete auf Annes Reaktion.
Aber es kam nichts!
Kurz dachte sie sogar, dass Anne einfach aufgelegt hatte.
«Hallo? Anne? Bist du noch dran?»
Nach wenigen Sekunden räusperte sich ihre Freundin und sprach dann ganz aufgeregt weiter:
«Das ist ganz übel. Ich glaub, wir stecken in ernsthaften Schwierigkeiten», war alles was sie herausbrachte, bevor es am anderen Ende der Leitung ganz still wurde.
Die Tatsache, dass Anne so herumdruckste, machte Celina fast wahnsinnig und sie hakte nach, um sie endlich zum Weiterreden zu bewegen:
«Hallo Anne? Was meinst du damit?»
Ihre Stimme klang jetzt nicht mehr so ruhig, sondern drängend und endlich ließ Anne die Bombe platzen:
«Du hast ja in drei Wochen Geburtstag. Marie und ich haben gestern mit der Planung einer Überraschungsparty begonnen», stotterte sie und man konnte ganz deutlich hören, wie groß ihr schlechtes Gewissen war.
Als Celina ihren Verstand zwang sich nicht mehr zu weigern, den Sinn von Annes Worten zu verstehen, wurde ihr sofort speiübel.
Ihr einziges Glück war, dass sie schon saß, als sie die freudige Nachricht empfing. Schnell versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen und sich der kompletten Tragweite bewusst zu werden, nur um dabei festzustellen, dass ihr das noch mehr Übelkeit bereitete.
Sie versuchte, mit allen Mitteln dagegen anzukämpfen und sich zu konzentrieren. Dann machte sie eine kleine Bestandaufnahme: Die wichtigsten Fragen zuerst und dann würden sie vielleicht schon eine Lösung finden!
Haha!
«Wo ist Marie jetzt? Ist sie schon wieder zurück», fragte sie ängstlich und rechnet bereits mit dem Schlimmsten.
«Nein, nein! Sie ist noch in Paris und sie kommt auch erst einen Tag vor deinem Geburtstag zurück. Wir beraten uns nur übers Telefon. Ich organisiere alles und soll sie dann vom Flughafen abholen», antwortete Anne in beruhigendem Ton, da sie genau spürte, dass ihre Freundin kurz vor einer Panikattacke stand.
Es wirkte tatsächlich.
Celina atmete erleichtert auf und fragte dann weiter:
«Hast du schon irgendeine Idee, wie wir sie aufhalten können?»
Die Antwort gefiel ihr gar nicht:
«Sorry, hab keinen Plan! Ich hab schon alles probiert. Ich hab ihr gesagt, dass das doch einfach nur teuer ist und du eigentlich eh nicht wirklich Zeit hast zu feiern, weil so viel in der Uni los ist, aber sie wollte sich einfach nicht abhalten lassen. Sie meinte, dass sie noch nie einen deiner Geburtstage verpasst hat und auch jetzt nicht damit anfangen würde. Dabei klang sie so resolut, dass ich nichts mehr erwidern konnte. Es tut mir wirklich leid, aber du solltest schleunigst zusehen, dass du hierherkommst.»
Das war wirklich nicht das, was sie von Anne hören wollte, aber sie wusste, wie ihre Tante sein konnte und dies konnte man ihr nicht einmal übel nehmen. Es wäre ja auch eigentlich kein Problem und unter anderen Umständen hatte Celina sich sicher gefreut, aber die Situation war nun mal so gegeben und Maries Überraschungsbesuch war momentan echt das Letzte, was sie gebrauchen konnte.
«Danke, dass du mich informiert hast. Ich wünsch dir noch einen schönen Tag. Ich melde mich, sobald ich was Genaueres weiß», sagte sie und legte einfach auf, ohne Annes Antwort abzuwarten.
Sie wusste, dass es Anne gegenüber nicht fair war, weil sie sie die ganze Zeit gedeckt hatte. Aber sie musste jetzt einfach allein sein.
Nur noch drei Wochen! Wir haben schon in den letzten zwei Wochen nichts erreicht, fluchte sie leise, ließ sich aufs Bett fallen und zog sich das Kissen über den Kopf.
So hatte Aaron sie dann auch zwei Stunden später gefunden.
Er war erstaunlich ruhig geblieben, als Celina ihm alles erzählt hatte. Anscheinend konnte ihn nach so langer Zeit einfach nichts mehr überraschen und wenn sie ein bisschen ehrlicher zu sich selbst gewesen wäre, wäre ihr sicher bewusst gewesen, dass auch sie jederzeit damit hätte rechnen müssen.
Hab ich aber nicht und jetzt bekomm ich die Quittung dafür!
«Samuel möchte gern mit dir reden. Es geht um Annes Anruf», setzte Aaron jetzt an und riss sie so aus ihren Gedanken.
Mit hochgezogener Augenbraue sah sie ihn fragend an, aber er schüttelte nur den Kopf und murmelte:
«Er wollte mir auch nicht mehr sagen. Wir müssen wohl zusammen zu ihm gehen.»
Es war das erste Mal, dass das Thema wieder zur Sprache kam und sie konnte nur hoffen, dass Samuel vielleicht eine Lösung parat hatte. Ohne zu zögern stand sie auf und ging zur Tür.
Samuel saß im Wohnzimmer auf der Couch und starrte in das prasselnde Feuer, das irgendjemand im Kamin entzündet hatte. Vom Rest des Laurent-Clans war keine Spur zu sehen. Erst als sie sich neben ihn setzte, blickte er auf und seine Miene erhellte sich ein bisschen.
«Da bist du ja endlich wieder», sagte er und schien dabei sehr erfreut zu sein.
Anfangs wollte sie sich dafür entschuldigen, dass sie sich in den letzten Tagen so rar gemacht hatte und so unausstehlich gewesen war, aber als sie gerade ansetzte, unterbrach er sie:
«Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Wir hatten wahrscheinlich alle mehr erwartet und jeder musste sich erst einmal damit auseinandersetzen, wie es jetzt weitergehen soll.»
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