„Poppich, heute gehört die gnädige Frau ihnen“, befahl er und entfernte sich.
Plötzlich herrschte wieder die übliche Hektik im Kellnergang.
Für einen Moment war Paul sprachlos. Irgendetwas muss der Weser bezwecken, dachte er sich und ging ins Restaurant an deren Tisch.
„Guten Tag, gnädige Frau!“ Weiter kam Paul nicht, weil sie sich sofort darüber beschwerte, dass sie so lange habe warten müssen. Das sei sie in einem Haus wie dem Interhotel nicht gewöhnt.
„Gnädige Frau, bitte entschuldigen sie meine Verspätung. Ich bin ab sofort nur noch für sie da“, antwortete Paul, indem er eine leichte Unsicherheit vorspielte.
Warte nur ab, du alte Schlampe, dir werde ich es schon zeigen, dachte er sich.
„Werden sie heute bei uns essen?", fragte er unterwürfig.
Nachdem seine Frage bejaht worden war, legte er formvollendet die Speisekarte und die Weinkarte vor. „ Madame Polska “ studierte zunächst die Weinkarte und schlug ihrem Begleiter schließlich vor, den einzigen auf der Karte ausgezeichneten Roséwein zu nehmen. Ihr Begleiter nickte zustimmend.
„Gnädige Frau, wünschen sie vorher einen Aperitif?", fragte Paul fast flüsternd.
„Ich könnte ihnen einen polnischen Drink mixen lassen“, fügte er hinzu und erhielt zur Antwort, dass dies eine gute Idee sei und er den Drink servieren solle.
Als sich Paul umdrehte, um zum Kellnergang zu gehen, stellte er fest, dass alle Kollegen ihn beobachteten. Im Türfenster zum Kellnergang erblickte er auch den Kopf des Herrn Weser.
Euch werde ich einmal zeigen, wie man mit solchen Gästen umgeht. Er bongte den Roséwein und zwei Nordhäuser Doppelkorn. Als er zum Büfett kam, stand der Roséwein in einem Sektkübel schon bereit, und der Büfettier sagte so nebenbei, dass die immer das Gleiche saufen würde. Allerdings staunte er über die beiden Schnäpse.
„Mach‘ sie bitte in Sektgläser“, bat Paul den Büfettier.
Danach ging er mit den beiden Sektgläsern zur Kuchenküche und bat um etwas Kirschsaft und zwei Kirschen. Mit einem Löffel gab er in jedes Glas ein wenig Saft und je eine Kirsche. Danach rührte er alles um und ging. Der Kuchenbäcker schüttelte nur mit dem Kopf und sagte halblaut, das sei wieder einmal typisch Poppich.
Am Büffet steckte Paul Trinkhalme in die Gläser, nahm den Kübel mit dem Roséwein und begab sich zum Tisch der „ Madame Polska ."
„Voilà Madame, hier der versprochene polnische Aperitif“, sagte er.
„Was ist das, Herr Ober?“
„Madame, ich bin überzeugt, sie werden es beim ersten Schluck erkennen“, antwortete Paul und beschäftigte sich mit dem Roséwein.
„Das schmeckt vorzüglich, Herr Ober. Natürlich kenne ich den Drink."
„Haben sie schon gewählt, was sie essen werden?", fragte er jetzt, um weiter von seinem Aperitif abzulenken.
„Wir nehmen eine Tomatensuppe und das Steak vom Beef, aber wirklich medium.“
„Eine ausgezeichnete Wahl, gnädige Frau! Und darf es auch ein Dessert sein? Ich habe gesehen, dass unser Küchenchef heute eine vorzügliche Schokocreme gezaubert hat“, sagte er und wartete auf die Reaktion, wobei er an den Schokoladenpudding dachte, den es zum Personalessen gab.
„Sie sind perfekt, junger Mann. Wir machen es so, wie sie gesagt haben.“
Im Kellnergang wurde Paul vom Küchenpersonal gefragt, ob es wieder Tomatensuppe und Steak sei, was er bejahte, und hinzufügte, dass er auch noch zwei Schokopudding brauche. Auf die erstaunte Rückfrage des Chefkochs sagte er, man solle vom Personalessen zwei Pudding nehmen und zunächst in den Gefrierschrank stellen. Der Koch wollte wissen, was er mit dem kalten Zeug machen solle. Er möge auf einen Glasteller etwas Vanillesoße geben und den Pudding auflegen, sagte Paul.
„Ich dachte immer, dass ich der Koch bin“, erhielt er zur Antwort.
Er solle auch nicht kochen, sondern eine Illusion erfüllen, antwortete Paul und ging.
„He, Poppich, die Tomatensuppe ist fertig“, rief der Suppenkoch.
„Nur Geduld stell sie warm. So schnell kann man doch keine Suppe für die gnädige Frau bereiten“, antwortete er und ging zum Kuchenschalter, um einen Kaffee zu trinken. Dabei bemerkte er, dass der Restaurantchef ihn ständig beobachtete.
Bevor er die Suppe servieren konnte, setzte „ Madame Polska “ an den Suppentellern aus, dass der untere Rand beschädigt sei. Paul entschuldigte sich, nahm die Suppenteller wieder vom Tisch und ging zum Kellnerschrank. Dort tat er so, als wenn er unbeschädigte Teller suchte, nahm die reklamierten Teller erneut mit einer frischen Serviette und polierte sie bis zum Tisch.
„So, gnädige Frau. Sehen sie, wir benutzen nur Unikate und keine Fließbandware. Aber jetzt dürfte alles in Ordnung sein“, sagte er, gab auf jeden Teller eine kleine Kelle Suppe und wünschte guten Appetit.
Nach dem ersten Löffel kam die erwartete Beschwerde, dass die Suppe heute nicht so sei wie sonst. Er nahm die leicht gefüllten Teller und die Suppenterrine und versprach, sich selbst darum zu kümmern.
Der Suppenkoch kannte schon das Problem. „Mach‘ die Scheiße richtig heiß, sodass sie sich das Maul verbrennt, und mach‘ die Terrine wieder voll“, sagte Paul.
Der Suppenkoch tat, wie ihm befohlen, und Poppich servierte die Suppe erneut mit den Worten, dass er selbst für den richtigen Geschmack gesorgt hätte. „ Madame Polska “ und ihr Begleiter lobten die gut schmeckende Suppe.
Bevor er die Steaks servierte, vereinbarte er mit dem Koch, dass dieser die Steaks normal grillen und in eine Servierpfanne legen solle. Am Tisch stellte er auf einem Servierwagen einen Rechaud mit offener Flamme auf. Er brachte die Pfanne mit den Steaks und stellte sie auf den Kocher. Nach kurzer Zeit drückte er mit einem großen Messer auf das Fleisch.
„Ich glaube, so wird es richtig sein, gnädige Frau“, sagte Paul. „ Madame Polska “ war perplex und nickte.
„Endlich ist das Steak so, wie ich es wünsche“, sagte sie und aß mit großem Lob.
Den Pudding servierte Poppich mit der Bemerkung, er habe zusammen mit dem Küchenchef die Qualität geprüft.
Beim Servieren des polnischen Wodkas sagte sie, dass Herr Weser die Rechnung zur Gegenzeichnung fertigmachen solle. Sie suchte in ihrer Tasche nach Kleingeld, fand aber erwartungsgemäß keines und entschuldigte sich bei Paul, dass sie leider kein Trinkgeld geben könne.
Herr Weser hatte die Rechnung bereits fertig und sagte zu den anwesenden Kellnern: „Meine Herren, vom Poppich kann selbst ich noch etwas lernen."
Als Herr Weser und Paul allein waren, erfuhr er, dass es eine allerhöchste Anordnung gebe, die Frau zu hofieren; warum, wisse niemand. Die Rechnung würde immer an die polnische Botschaft gehen.
„ Madame Polska “ wollte von da an nur noch von Herrn Poppich bedient werden, was die anderen Kellner ungemein freute.
Nach einigen Wochen erschien sie in eleganter, altersgerechter Kleidung, war leise und meckerte nicht mehr. Sie suchte bei einem guten Aperitif den Hauptgang aus und bestellte erst danach den dazu passenden Wein, die Vorspeise und das Dessert. Nur auf den polnischen Wodka verzichtete sie nicht. Paul erfuhr sogar, was ihr Ehemann machte, behielt diese Information aber wegen seines Ehrenworts auch gegenüber Herrn Weser für sich.
Paul hatte schnell begriffen, wie wichtig und richtig die Unterscheidungen waren. Bald hatte es sich eingespielt, dass einige der besonderen Gäste nur von Herrn Poppich bedient werden wollten.
Herr Leinen, der für das Thälmannkombinat mit den westdeutschen Kunden verhandelte, aß nur in der Hotelhalle und ließ sich ausschließlich von Poppich bedienen. Manchmal musste Paul extra zum Dienst geholt werden. Herr Leinen, der für das Kombinat die Devisen hereinholte, hatte eine Art Narrenfreiheit. Gegenüber dem Bedienungspersonal war er jedoch normal und nie arrogant. Er wollte immer nur relativ einfache Kost, bevor er mit seinen westdeutschen Gästen in die Tanzbar ging, zu der kein normaler DDR-Bürger Zutritt hatte.
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