Hesse fand es überzeugend, aber er erinnerte sich an Gespräche mit Bauer. Deshalb wagte er den Einwurf: "Ist das nicht so etwas wie diese - diese Elendstheorie?"
"In der Tat." Trailshag sah Hesse amüsiert an, als wollte er sagen: Hast auch schon von dieser Verführung genascht. "Die Communists sind nie verlegen um Antworten. Aber in ihrer Art sind sie genauso unbelehrbar wie die Klee-Männer. Den Beweis liefert Zecke. Ich kenne ihn nicht, aber bin überzeugt, charakterlich steht er höher als Mister Klee. Trotzdem macht er so was. Glaubt Zecke wirklich, die Mehrzahl im Lager sind Communists? Selbst wenn er gewählt würde, das lässt sich kein amerikanischer Camp-Häuptling bieten, nicht mal unser Colonel."
Fast ungläubig stieß Hesse hervor: "Ist es denn endgültig heraus?"
Der Corporal blickte erstaunt. "Heute früh Morgengespräch im Headquarter. Was meint ihr, wie sich da einige die Hände gerieben haben."
"Sie müssen aber zugeben", Kuhn wandte sich an Trailshag, "dass nicht alle Kommunisten im Lager so sind."
Trailshag lächelte geringschätzig. "Warum sind sie nicht so schlau wie Wuntram? Selbst der ist einigen Herren im Headquarter zu links und dem liberalen Stircke gerade noch tragbar."
Kuhn war dem Corporal dankbar. "Wuntram hätte die beste Chance gehabt."
Hesse schwieg vor Zorn. Er empfand Hochachtung vor Leuten wie Zecke. Dass sie ihn derart enttäuschten, war zum Heulen. Es war eben doch so: Wer sich mit der Politik befasste, machte sich zum Narren.
Der Mittagsgong erklang. Trailshag sprang auf. "Bye, bye!" An der Tür legte er den Finger auf den Mund. "Please, Guys, dieses Literaturgespräch bleibt unter uns."
Fast bewundernd sah ihm Hesse nach. Warum ist er nur Unteroffizier und nicht Offizier? Wie viel mehr könnte er dann für uns ausrichten. Wenn wir uns erst näher kennen, ob er für mich etwas über Eliza ermitteln würde, vielleicht einen Brief an sie hinausschmuggeln? Hesse erschrak über sich. Diesen Gedanken gibt mir die Sehnsucht nach Eliza ein. Eher würde ich mir die Zunge abbeißen, als den anständigen Burschen damit zu belästigen.
Darüber schreib' ich 'ne Szene, eine ganz bittere Szene, sage ich euch!"
Erschrocken schauten Kuhn und Hesse auf. Unbekümmert schimpfte Ede weiter, hinter seinen Brillengläsern sprühten die Augen eines furchtbar beleidigten Menschen. "Die Arschkriecher, diese Yes-Men mit ihrem Herrn Feldwebel, hätten wir in die Ecke gequetscht, Rache für ihre Schweinereien in McLoin genommen, und was ist nun?" Ede zerrte einen Stuhl aus einer Ecke und ließ sich darauffallen.
Choleriker sollte man sein, dachte Hesse. Er versuchte seiner Stimme einen ironischen Klang zu geben. "Wein dich ruhig aus."
Misstrauisch äugte Ede durch die Brillengläser. "Nun braucht bloß noch einer mit der Plattheit take it easy zu kommen."
"Wir nehmen es nicht leichter als du", knurrte Kuhn, "haben nur nicht dein Talent, daraus einen Auftritt zu machen."
"Einen Auftritt habe ich mit dem Suling gehabt", klagte Ede. "Als ich den frage, ob er weiß, wann die Semmel kommt, sagt er, der Captain habe andere Sorgen, als sich dauernd mit den Kinkerlitzchen der Theatergruppe zu befassen. Dafür ist jetzt Trailshag da, und wenn erst Klee gegen die zersplitterten Linken gewonnen habe, wäre sowieso Schluss mit dem Theaterrummel. Begreift ihr, was da in mir vorgegangen ist?"
"Hoffentlich hast du dich zu keiner Dummheit hinreißen lassen?" forschte Kuhn.
"Noch nie habe ich mich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten derartig begrenzt", gestand Ede, "trotzdem überlege ich, ob es nicht heilsamer gewesen wäre, den Ganoven über den Ladentisch zu ziehen."
Kuhn war ehrlich erleichtert und wurde fast beredsam. "Es wäre ein ungünstiger Wahlauftakt für uns geworden. Die Yes-Men hätten über kommunistischen Terror gezetert, und du wärst ins Guardhouse marschiert."
"Lauscht mal rum in den Baracken", schimpfte Ede, "die Indifferenten wählen Klee - weil die Linken sich nicht einig sein können."
"Sie haben ja recht", sagte Hesse.
"Von ihrem Standpunkt", gab Ede zu, "was kümmern die sich um Probleme und Prinzipien. Die wollen fertige Lösungen. Und wenn wir das nicht schaffen, dann ... "
"Das nützt jetzt alles nichts", entgegnete Kuhn, "wir müssen uns eben noch mehr anstrengen, dass Wuntram durchkommt."
"Willst du Propaganda machen gegen einen Kumpel wie Zecke?" erkundigte sich Ede giftig.
"Er ist doch selbst daran schuld!" Es war leise geschrien und zeigte Hesses Enttäuschung und Zorn.
"Unsinn." Kuhns Miene wurde streng, wie Hesse sie bisher nicht gesehen hatte. "Wir müssen Klee als das charakterisieren, was er ist, und dann sagen, deshalb wählen wir Wuntram. Zecke wird überhaupt nicht erwähnt."
Ede sprang auf und schlug Kuhn auf die Schulter. "Genau! Dieser Suling hat mich bloß so aus der Fassung gebracht. Einige Gedanken ... ", er kramte nervös in allen Taschen und brachte einen Zettel hervor, "ein paar Gedanken über Wahlplakate hatte ich mir schon gemacht." Mit dem Blick auf den Zettel las er vor: "Wer will unter die Soldaten? - Der wähle Klee!"
"Feine Idee", meinte Kuhn, "es wäre nur zu überlegen, ob es nicht besser formuliert wäre: Wer will wieder ... "
Nachdenklich wiegte Ede den Kopf. "Hm, damit zerstörst du aber, worauf der Witz der Sache beruht - der bekannte Liedanfang."
Ede hat recht, dachte Hesse, auch ohne das "wieder" weiß jeder, wie es gemeint ist. In Kuhn steckt ein Stück Schulmeister. Doch er sagte nichts und presste die Lippen aufeinander.
Ede las die nächsten Zeilen vor: "Kadavergehorsam oder Selbstdisziplin; strammstehen oder denken; Zwölfender Klee wählen oder den Kameraden Wuntram?" Arglos wandte sich Ede zu Hesse. "Was hältst du davon, Kronsohn?"
"Gar nichts", zischte Hesse, "nichts - nichts – nichts. Wenn schon die klugen Strategen solchen Mist machen, was wollt ihr dann von mir verlangen? Eure Phrasen sind für die Katz!" Hesse war aufgesprungen und ans Fenster gegangen. Sie sollten sein Gesicht nicht sehen. Er fühlte, dass es weiß war. Er vermochte nicht mehr, auch das noch zu schlucken. Was wussten die von seinen Erlebnissen, von seinen zertrümmerten Idealen?
Hinter ihm war betroffenes Schweigen. Dann räusperte sich Ede. "Lass dich bloß nicht vom Stacheldrahtkoller unterkriegen, Kleiner.
Edes Mitleid war unerträglich. Für alles glaubten sie ein Heftpflaster haben zu müssen. Es war nicht weniger banal als jene Beruhigungspillen der Mutter in der Kindheit: Eile, eile, eile, Gesundheit komm und heile. Aber ich bin kein Kind mehr, kochte es in Hesse, uns hat man aufgehuckt, was andere nicht mit Sechzig zu tragen brauchten. Enttäuschung und neuerliche Wut formten sich zu bösen Worten. "Euer ganzer Zinnober steht mir bis hierher!"
Ede sprang auf. "Was ist denn das für 'ne Einstellung?" brüllte er, "wofür Tausende von uns kaputtgegangen sind das ist für dich Zinnober?"
"Jawohl", erwiderte Hesse schreiend, "eure Blindheit, eure Klugscheißerei, diese Erbpacht auf Antifaschismus! Ich werde es euch so oft sagen, bis ihr heruntersteigt vom hohen Ross!"
Ede schwieg betroffen. Steckte in den Vorwürfen des blassen Jünglings ein wahrer Kern? Mühsam beherrscht, sagte er: "Wenn du nicht solch ein grüner Junge wärst und wenn dich der Koller nicht hätte ... "
"Ich hab' mich lange genug anbrüllen lassen und brülle zurück!" rief Hesse.
Ede trat einen Schritt zu ihm hin.
Kuhn hielt Ede zurück. "Lass ihn, mal ist jeder dran. Er muss von dir nur noch lernen, methodischer zu donnern."
Dieser Sarkasmus war wie ein feuchter Lappen um die Ohren. In Hesses Wut mischte sich Ernüchterung.
Ede war sich unschlüssig, wie er mit dem Nervenbündel verfahren sollte. Er holte geräuschvoll Luft wie ein Asthmatiker. "Der eine verkraftet's so, der andere anders und mancher noch schwerer. - Tschüss. Vergeßt nicht, für mich den Hemingway zu halten, ich bin der Nächste auf der Liste." Gegen seine sonstige Gewohnheit zog er die Tür leise hinter sich zu, wie nach einem Krankenbesuch. Draußen in der Winterluft stieß er den Atemstrom langsam durch die Zähne und ging geradewegs zu Bauer. Der hockte in der Kompanieschreibstube vor einem Stoß Listen und schrieb eifrig. Captain Bliss saß auf seinem extra breiten Stuhl und starrte aus dem Fenster.
Читать дальше