Verschlossenen Gesichts hörte der Offizier mit den Apfelbäckchen zu. Dann ging er zur Rückwand der Baracke und las den Plakattext. Er sagte nichts, die um ihn Stehenden bemerkten sein fast unmerkliches Kopfschütteln. Wortlos verschwand er in der Schreibstube, und wenige Augenblicke später kam ein Corporal mit einem Schemel und einer Schere. Missmutig hob er die Reißnägel aus dem Holz, rollte das Plakat zusammen und verschwand.
Wuntram lächelte bitter. "Die lautesten Schreier waren Leute der A-Kompanie." Er wandte sich an Hesse. "Kennst du den, der dich verprügeln wollte?"
Hesse überlegte. Sicherlich hatte er den Mann schon gesehen, aber das Gesicht war völlig fremd gewesen, von Wut verzerrt. Hesse sagte es Wuntram und dachte, wie ungenau die Sinne in solcher Erregung das Ganze wahrnehmen, nur Einzelnes bleibt überdeutlich haften. Er erinnerte sich, dass sein Angreifer nach der Rede Wuntrams verschwunden war. Zu gern hätte ihn Hesse zur Rede gestellt. Der Kampfhahn hatte ihn als Klee-Anhänger bezeichnet, hatte ihn mit dem Typ Malleck auf eine Stufe gestellt. Das war schlimmer als der Faustschlag.
Gegen sein sonstiges diplomatisches Feingefühl sprach Wuntram weiter von den Radaubrüdern der A-Kompanie. Die andern schwiegen zu dem unbehaglichen Thema, bis Kuhn sagte: "Es ist noch einmal gut gegangen, und es steht uns frei, eigene Plakate zu malen."
Wuntram fing sich. "Hast recht. Am Samstag ist die Wahl, wir haben keine Woche Zeit mehr."
"Ist unser Wahlaufruf nun zensiert und zurück?" wollte Wulk, der Sprecher der Kompanie F, von Wuntram wissen.
Buschinski holte hörbar Luft. "Den nehmen sie doch im Headquarter auseinander, um dementsprechend einen Gegenaufruf für Klee zu fabrizieren. Wetten, dass der früher genehmigt wird als der unsere? Oder siehst du es anders, Robert?"
"Kaum." Wuntram hauchte sich in die klammen Hände und schaute auf die Armbanduhr. "Aber es hat den Vorteil, dass wir damit das letzte Wort haben."
Alle lachten und taten ebenfalls zuversichtlich, als sie sich trennten.
Kuhn und Hesse gingen zur Bibliothek.
"Großartig, wie du den Messermann auf den Boden der Tatsachen gezerrt hast."
Hesses Gesicht rötete sich vor Verlegenheit. "Du und viele andere hätten es auch getan, wären sie so dicht dran gewesen wie ich."
"Von uns wäre es selbstverständlich gewesen."
Hesse sprühte aus einer größeren Konservenkanne Wasser auf die Dielen, dann stand er, beide Hände auf den Besenstiel gestützt. "Von mir war es also nicht zu erwarten?"
Kuhn hob den Kopf nicht von der Arbeit. Nach einer Weile nahm er zwei Keksrollen aus seinem Tischkasten. "Komm, iss mal etwas."
"Na schön, das Holz muss sowieso erst das Wasser aufsaugen, sonst schmiert's beim Fegen."
"Die in der Küche haben immer eine Kanne Kaffee stehen", sagte Kuhn, "natürlich würden sie uns welchen geben, aber ich mag das nicht, es sieht so nach ... , nach ... "
"Es würde nach Klee-Wirtschaft aussehen. - Sammelst du auch Kaffeegrund?"
Kuhn sah Hesse verständnislos an. "Es gibt welche, die holen sich den Kaffeegrund aus der Küche und trocknen ihn auf dem Blechkanal der Warmluftheizung. Wenn sie nach Hause kommen, sagen sie, wird er in Deutschland Gold wert sein."
"Die haben Sorgen." Kulm ärgerte sich. "Und wir haben Scherereien, wenn die Amis mit ihrem Hygienefimmel dahinterkommen. Bin gespannt, wann die erste Schutzimpfung hier fällig sein wird."
"Kaum später als der erste Film", mutmaßte Hesse.
"Was ich vorhin mit dem selbstverständlich gemeint habe", sagte Kuhn übergangslos, "war natürlich Unsinn, denn ... "
Hesse widersprach. "Auf meinen hysterischen Anfall gestern bleibt nur diese Auslegung. Aber es ist anders. Mit dem Hitlerbarras und seinen Kommissköppen gibt es für mich keinen Kompromiss. Das hat nichts damit zu tun, dass ich mich aus jeder Politik heraushalten werde."
Kuhn legte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete Hesse. "Hast du schon mal die Handfläche eines Schmieds gesehen? - Die kommt so oft mit Feuer in Berührung, dass sie völlig mit Hornhaut bedeckt ist. Man muss sich solche Hornhaut anschaffen."
"Jeder eignet sich eben nicht zum Schmied."
Nachsichtig beugte sich Kuhn vor. "Du bist Jahrgang zwanzig. Lege elf Jahre bei dir zu - was meinst du, wie du dann über manche Meinung von heute lächelst."
"Dass ihr euch auf euer Alter so viel einbildet."
Kuhn blieb friedlich. "Eine Weltanschauung muss langsam wachsen. Aber Hass auf Hitler und seinen Barras ist doch politisch. Oder? - Na also, es gibt keine unpolitischen Antinazis."
Hesse konnte die Zurückhaltung in seinem Gesicht nicht verbergen. Das hatte er schon in vielen Varianten gehört.
"Ich glaube, du machst den Fehler, politisch denken mit Kommunistsein gleichzusetzen", fuhr Kuhn fort. "Dafür bin ich kompetenter als Bauer und seine Freunde. Ich war nie in einer Partei. Die harte Disziplin, das ständige Bereitsein müssen, nee also ... Aber das ändert nichts daran, dass ich mittue nach meinen Kräften."
Kurz vor dem Mittag tauchte Ede auf. Er sah aus wie ein Kohlentrimmer, auf den Brillengläsern im verschwitzten Gesicht lag Staub. "Ist das ein Rekord, Kinder? In drei Stunden die Außentour geschafft. Unser Boss hat sich vor Vergnügen auf die Schenkel gehauen, wie wir im Dauerlauf die Ash-and-Trash-Cans rangeschleppt haben."
"Also ein erfolgreicher Tag im Müllgewerbe", spottete Kuhn.
Ede wurde feierlich. "Ein großer Tag für den Theaterfundus. Zum ersten Mal in den WAC-Baracken. Seht mal." Mit spitzen Fingern zog er eine Puderdose aus der Hosentasche. Ein leiser Fingerdruck und ihr Deckel sprang auf. Ede hielt die schwärzliche, etwas zu kurz geratene Nase über Quaste und Puderrest. "Direkt aufreizend."
"Nimmst du deiner Frau mit?" erkundigte sich Kuhn.
Empört blickte Ede ihn an. "Theatereigenrum. - Außerdem würde meine Inge sonst was dabei denken."
"Entweder dass du sie geklaut oder geschenkt gekriegt hast."
"Weder - noch." Ausnahmsweise ging Ede nicht in die Luft, verzückt ließ er den Dosendeckel auf- und zuschnappen. "Im Papierkorb gefunden. In die Baracken dürfen wir doch gar nicht hinein. Damit unsre Keuschheit nicht Schaden leidet, türmen sie ihren Abfallkrempel vor der Baracke auf. Jungs, haben wir abgestaubt. Sogar Pullen mit Whisky-Resten, zusammengegossen, 'ne halbe Flasche."
"Auch Theatereigentum?" wollte Kuhn wissen.
"Jawohl." Ede deutete auf seine Brust. "In Form von geistiger Anfeuerung seiner drei Heroen Necke, Hellmann und Ede."
"Jetzt weiß ich auch, warum ihr euch so um den Job gerissen habt", forderte ihn Kuhn heraus.
"Befürchte, diese Ausbeute an Whisky wird nur montags zu erwarten sein", gestand Ede. Er kramte abermals in der Hosentasche und breitete ein gelbes Seidentuch auf den Schreibtisch.
"Dass die so etwas wegschmeißen!" Hesse wunderte sich.
Ede wandte sich an Hesse, sagte hastig und verlegen: "Für dich. Ist doch jetzt die Masche der Jungen, ein grelles Halstuch unterm Hemdkragen."
Hesse war noch verlegener als Ede, und der fragte rasch: "Übrigens ... , kommst du heute nach dem Abendessen in die Theaterwerkstatt - Wahlslogans fabrizieren?"
"Bestechung", rief Kuhn, "merkst du, Heinz, er schmeißt mit der Wurst nach der Speckseite."
"Ich nehme die Wurst", sagte Hesse.
Weniger gemächlich als sonst aß er seine Abendmahlzeit. Als einer der Ersten war er fertig und eilte zur Theaterbaracke.
Ede saß schon mit einem Bleistiftstummel über einem Blatt Papier. Dann sprang er auf und ging Hesse mit Rednergeste entgegen. "Uns auf die Neese den Herrn Klee? - Da sagt das ganze Lager: Nee!"
"Ein bisschen anspruchslos, wie?" fragte Hesse.
"Die geistvollen Sachen machst du. Aber vergiss nicht: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Kannst doch nicht nur die Intellektuellen ansprechen."
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