Partu brachte mir währenddessen eine Decke und ein paar Leckereien nach draußen. Den restlichen Tag verbrachte ich voller Harmonie im Garten. Auf der Decke liegend betrachtete ich die vorbeiziehenden Wolken, die Bewegung der Bäume und die Vögel, die vereinzelt hin- und herflogen. Marces arbeitete den ganzen Tag, bis zum späten Abend. Erst als es allmählich dunkel wurde, kam er zu mir, um mich zum Abendessen zu holen.
Partu hatte sich viel Mühe gegeben.
Der Tisch war reich gedeckt. Das erste gemeinsame Abendessen im neuen Haus sollte etwas besonderes sein. Aber Marces und ich waren so müde, dass wir nicht sonderlich viel aßen. Stattdessen verschwanden wir zeitig ins Bett.
»Träum süß!«, flüsterte er mir ins Ohr, als er sich von hinten an mich kuschelte.
»Ich liebe dich!«, antwortete ich. Woraufhin er mir einen Kuss auf die Wange gab und ich langsam die Augen schloss. Ich war total müde.
Obwohl ich den ganzen Tag im Garten verbracht hatte, fiel erst in diesem Moment, eng umschlungen von Marces’ Armen, die Anspannung von mir ab.
Ich schlief ein und träumte wieder:
Ich stand in einer Kirche, die festlich geschmückt war. Durch die bemalten Fenster fiel ein sanftes Licht herein. Um mich herum mehrere hundert Leute. Die mir alle vollkommen unbekannt waren.
Ich blickte nach vorne zum Altar und da stand er – Marces.
In einem feinen Anzug mit einem strahlenden Lächeln streckte er die Hand nach mir aus. Als wollte er sagen – Komm. Aber ich zögerte. Irgendetwas hielt mich zurück.
Dann trat ein Priester neben ihn, deutete mit seiner Hand auf die Bibel in seinen Händen und sagte: »Willst du diesen Mann zu deinem Mann nehmen?«
Ich wusste im Innersten, wie dieser Satz weiter ging. Ich wollte antworten, aber ich tat es nicht.
Ich zögerte und wachte auf. Es war mitten in der Nacht. Marces schien noch immer zu schlafen. Zumindest bewegte er sich nicht. Ich blieb in seiner Umarmung liegen. Wieso hatte ich gezögert?
Du bist meine Rose,
die nie verblüht.
(Marces)
Trotz der Gedanken um den Traum schlief ich noch einmal ein. Am nächsten Morgen weckte mich Partu: »Mademoiselle! Sie müssen langsam aufstehen. Sie kommen sonst zu spät!«
Ich öffnete die Augen und drehte mich im Bett ein paar Mal um, bevor ich ihm antwortete: »Ich stehe gleich auf!« Dann blickte ich auf Marces’ Betthälfte. Er war nicht mehr da. Als hätte Partu meine Verwunderung darüber bemerkt, sagte er: »Der Herr arbeitet bereits. Er wollte Sie nicht wecken! Was möchten sie frühstücken?«
»Ein Brötchen, das reicht. Nur nicht so viel!«, antwortete ich, während Partu aus dem Zimmer verschwand, rappelte ich mich auf und zog mich an. Eigentlich wollte ich direkt zu Marces, um ihm einen Guten Morgen zu wünschen, aber Partu hielt mich zurück: »Der Herr telefoniert gerade! Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Ja!«, antwortete ich etwas überrumpelt: »Sagen Sie ihm einen guten Morgen von mir und dass ich ihn liebe!«.
Partu nickte und bat mich mit einer Handbewegung ins Esszimmer. Ich aß nur eine Kleinigkeit, bevor ich mich auf den Weg zur Universität machte. Die Sonne fiel mir ins Gesicht, als ich aus dem Haus trat.
»Miss!«, rief Partu mir hinterher.
Ich drehte mich um: »Ja, Partu?«
»Soll ich Sie zur Universität bringen lassen?«, fragte er. »Nein, danke Partu! Ich werde bei dem schönen Wetter zur Uni laufen«, antwortete ich. Partu nickte und ging zurück ins Haus, während ich durch das Tor trat und die Straße entlang Richtung Stadtmitte lief. Die Universität besaß mehrere Gebäude, die in der gesamten Stadt verteilt waren. Für den Anfang hatte ich zunächst einige Seminare und Vorlesungen im Hauptgebäude, das im Stadtzentrum etwa fünfzehn Minuten von unserem Haus entfernt lag.
Das alte Gebäude wurde nach dem Abriss des Jenaer Schlosses genau an jener Stelle erbaut. Ich hatte bereits in den Ferien einige Nachforschungen darüber angestellt in welchen Räumen meine Veranstaltungen stattfanden, war allerdings nie weit gekommen, da der Lageplan und die farbigen Erklärungen mich mehr verwirrten als das sie mir halfen. Deshalb wollte ich es vor Ort versuchen. Was sich im nach hinein als wenig clever herausstellte.
Ich lief also unsere kleine Straße und dann die großen Fernverkehrsstraße hinunter, vorbei an den großen Villen, der Klinik und dem Botanischen Garten, der im sanften Licht erstrahlte bis zum Hauptgebäude.
Bereits von außen konnte man die verwinkelte Anlage der Zimmer und Wege erkennen. Nun gut, dachte ich mir. Versuchen wir es einfach mal. Da am großen Eingang keinerlei Hinweise zu finden waren lief ich einmal gerade aus durch, an der langen Pinnwand vorbei, auf die andere Seite. Dort, im zweiten Eingangsbereich, hing eine große Tafel oder besser gesagt ein riesiger Wege-Plan. Eine Art Wegweiser mit verschiedenen Farbwegen, für die verschiedenen Ebenen und Treppen. Bei vier Etagen und mehreren verschiedenen Treppenaufgängen, die teilweise in Bereiche führten, die man nur über diese eine erreichen konnte, eine sehr hilfreiche Idee.
Während ich den Plan studierte, murmelte ich vor mich hin: »Zimmer 026, das muss doch hier irgendwo sein!« »Junges Fräulein!«, rief mir eine Stimme von hinten zu. Ich drehte mich um und sah einen Mann in Anzug, der aus einem kleinen Raum direkt neben der Eingangstür trat.
»Entschuldigen Sie, suchen Sie etwas?«, fragte er mich. »Ja!«, antwortete ich etwas irritiert: »Zimmer 026.«
Der Mann nickte und lächelte mich an: »Da sind Sie schon dran vorbeigelaufen. Zimmer 026 ist der große Hörsaal, gleich rechts vom anderen großen Eingang.« Dann deutete er mit der Hand auf eine Tür, die uns gegenüber, durch den Hof hindurch zu sehen war.
»Dort drüben ist es. Aber lassen Sie sich ruhig Zeit. Die Veranstaltung vor Ihnen ist noch drin, bis Dreiviertel.« »Danke!«, entgegnete ich und lief den Weg zurück, den ich gekommen war, zu der Tür, die er mir gezeigt hatte. Dort setzte ich mich auf die Fensterbank der Tür gegenüber. Im Raum waren Stimmen zu hören. Gut, warte ich eben noch ein wenig, dachte ich mir. Während ich so in Richtung Tür blickte, wurde mein Puls immer schneller. Äußerlich war ich zwar die Ruhe selbst, innerlich machte mein Herz rasende Sprünge – vor Aufregung.
Mehrmals blickte ich daher auf die Uhr. 41, 42, 43 … dreiviertel. Ende. Ich schaute wieder zur Tür, aber da tat sich nichts. Müsste die Veranstaltung jetzt nicht zu Ende sein? Ich drehte mich ein paar Mal zu allen Seiten um, wo sich mittlerweile einige andere versammelt hatten, wohl alle samt nun Kommilitonen von mir. Einige schienen vertieft in Aufzeichnungen oder Pläne, andere starrten wie ich in der Gegend umher. Ich traute mich allerdings nicht einen von ihnen anzusprechen und seufzte stattdessen.
Während ich mich wieder der Tür zuwandte, trat ein Mädchen neben mich. Sie war etwa in meinem Alter, maximal ein paar Jahre älter. Ihre langen, blonden Haare fielen ihr über die Schultern nach vorn und betonten ihre blauen Augen.
»Darf ich dich kurz stören?«, fragte sie mich.
Ich schaute sie an: »Ja!«
»Ich bin auf der Suche nach dem richtigen Raum, diese Wegweiser sind ja einfach grässlich. Hier soll irgendwo die Vorlesung zur Einführung in die Archäologie stattfinden, aber ich kann den blöden Raum nicht finden!«, antwortete sie.
Schmunzelnd gab ich ihr eine Antwort: »Die findet hier statt. Ich will auch in die Vorlesung. Du studierst also auch Archäologie?«
Das Mädchen lächelte mich an: »Oh! Danke. Ja, ich hab grad angefangen. Du auch?« Sie unterbrach kurz, als wollte sie mir Zeit lassen um etwas zu sagen, redete dann aber doch gleich weiter: »Ich bin übrigens Lana.«
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