Im gleichem Moment kam Niel von oben herunter: »Wie ich sehe hast du schon Bekanntschaft mit unseren Vermietern gemacht.« Mrs. Daniels blickte ihn schmunzelnd an: »Das konnte ich mir doch nicht nehmen lassen.«
Mr. Daniels grummelte daraufhin vor sich hin: »Gibt es jetzt endlich was? Ich verhungere hier noch.«
Mrs. Daniels gab daraufhin noch ein paar Kräuter in den Topf, dann sagte sie zu Niel: »Fertig. Niel, bring den Topf doch mal zum Tisch!«
Er folgte ihrer Anweisung und nachdem wir noch Teller und Löffel zum Tisch gebracht hatten, aßen wir gemeinsam zu Abend. Mrs. Daniels erzählte nebenbei von dem neuesten Klatsch und Tratsch der Stadt. Niel schien die Kobolde und Menschen von denen Mrs. Daniels erzählte alle samt zu kennen. Ich hingegen konnte den Erzählungen einfach nicht mehr folgen. Der Tag war einfach zu lang. Ich verließ die anderen nach nur wenigen Minuten und legte mich ins Bett. Ich war hundemüde – so ein verrückter Tag!
Am nächsten Morgen regnete es in Strömen. Ich saß vor dem großen Wohnzimmerfenster und blickte hinaus.
»So ein ekliges Wetter!«, murmelte ich vor mich hin.
Niel legte sein Buch zur Seite und sah mich an: »Irland ist bekannt für seine wechselhafte Laune.«
Mrs. Daniels lachte, als sie das hörte: »Na, na, na. Ihr werdet doch wohl nicht unser schönes Irland kränken. Das Wetter ist wie es ist. Es kommt und geht, wie es Laune hat. Ich bin mir sicher, in spätestens einer Stunde scheint wieder die Sonne. Ihr werdet schon sehen!«
Niel schüttelte belustigt den Kopf. Mir persönlich war ganz egal wie das Wetter war. Es war totenstill hier. Langweilig und öde. So ruhig das man ständig anfing sich über alles mögliche Gedanken zu machen. Was machte meine Familie? Wie erging es den anderen?
»Wie lange sollen wir eigentlich hierbleiben?«, fragte ich Niel schließlich. Er sah mich eine Weile an und überlegte. Er schien die richtigen Worte zu suchen.
»Ich weiß es nicht!«, antwortete er nach ein paar Minuten: »Solange bis Danny uns anruft.«
Ich seufzte: »Wieso der ganze Aufwand? Was macht das für einen Unterschied?«
Niel setzte sich daraufhin zu mir: »Ich weiß, die Situation ist nicht einfach. Ich will nur eine gerechte Verhandlung für uns. Für dich und mich. Das Gericht würde uns ohne mit der Schulter zu zucken verurteilen.
Bei einem Konzil haben wir wenigstens die Chance auf einen Freispruch!«
»Und wieso glaubst du, dass das Gericht uns verurteilt?«, fragte ich mürrisch.
»Das Gericht besteht aus fünf Richtern. Marces, Daamien, dem Werwolfanführer, Lilly, Garushin, dem Vampirkönig, und Wara, seiner Frau.«, erwiderte er.
»Und wer hat das bestimmt? Wieso gerade sie?«, hakte ich nach.
Niel verzog das Gesicht, man konnte ihm ansehen, dass ihn das Thema reizte: »Garushin und Wara haben seit Anbeginn der Zeit ein Geburtsrecht auf ihre Plätze. Wer und wann dies festgelegt wurde, konnte mir zumindest bisher keiner sagen. Die anderen drei Plätze gehören dem Hüter und seinen zwei Stellvertretern, die, wie du ja weißt, vom Konzil gewählt werden. Wobei es allerdings keine Regelung gibt, wie lange jemand diesen Posten führen darf.«
Ich schüttelte den Kopf: »Geburtsrecht. Das klingt nach Monarchie.«
Niel nickte und fuhr fort: »Wenn sie allein entscheiden dürften, ob ich schuldig bin, steht es vier zu eins gegen mich. Und glaub bitte nicht, Marces würde für mich stimmen.«
Ich wollte etwas erwidern, aber im Inneren war mir klar, dass er Recht hatte.
»Marces mag mich einfach nicht. Aber das ist auch nicht weiter wichtig. Wenn es darum geht, dass du dich endgültig verwandelt hast, wird es schon etwas komplizierter. Marces und Daamien werden sicherlich für dich stimmen also gegen eine Bestrafung, aber Garushin und Wara hassen uns, sie würden dich niemals so davon kommen lassen. Damit wäre Lilly das Zünglein an der Waage. Ich denke, du weißt selbst, wie sie sich entscheiden würde!«
Ich blickte abermals aus dem Fenster und seufzte: »Sie hasst mich. Sie würde sich gegen mich entscheiden.«
Niel nickte zustimmend: »Beim Konzil haben wir wenigstens eine Chance auf Gerechtigkeit!«
»Aber einfach wird das auch nicht!«, fügte Mr. Daniels an, der gerade das Zimmer betrat.
Ich blickte abwechselnd zu ihm und Niel.
Mr. Daniels setze sich schließlich auch zu uns und erklärte es mir: »Du musst dir das Konzil wie eine Art großes Gericht vorstellen, bei dem alle Unsterblichen zusammenkommen. Da prallen viele Interessen aufeinander. Zunächst wird das Konzil offiziell eröffnet. Dann verliest einer der fünf Richter die Anklageschrift. Danach hat der oder die Angeklagte die Möglichkeit sich zu erklären. Nachdem beide Seiten gehört wurden, kann jeder aus dem Konzil Fragen an den Angeklagten und die fünf Richter stellen. Damit sich alle ein Bild von der Situation machen können. Aber ihr benötigt einiges an Talent, um die verschiedenen Gruppen für euch zu gewinnen.«
»Was für Gruppen?«, unterbrach ich ihn.
»Es gibt sechs verschiedene Gruppen oder besser gesagt Rassen der Unsterblichen. Die Drachen, Vampire, Formwandler, Werwölfe, Kobolde und Trolle. Am Ende des Konzils entscheidet jede Gruppe der Unsterblichen unter sich ob sie den Angeklagten für schuldig halten oder nicht. Die Mehrheit entscheidet dabei über die endgültige Entscheidung. Wenn ihr zumindest die Werwölfe, Kobolde und Trolle für euch gewinnen könnt, dann seid ihr auf der sicheren Seite.«, antwortete Mr. Daniels.
»Was ist mit uns, den Drachen?«, hakte ich nach.
Mr. Daniels runzelte die Stirn und überlegte.
»Ihr werdet vermutlich nicht abstimmen dürfen, da ihr alle betroffen seid. Selbst Niels alleinige Schuldaufnahme wird daran nichts ändern. Ihr müsst gut vorbereitet sein, sonst werdet ihr scheitern.«, erwiderte er.
Niel nickte zustimmend: »Umso mehr Zeit wir haben, desto besser! Ich fürchte, du wirst es noch eine Weile mit uns hier aushalten müssen!«
Ich schmunzelte: »Ich werde es überleben!«
Niel lief daraufhin zum Schrank, nahm einen Stift und einen Block heraus. Dann setzte er sich wieder zu uns.
»Es wird vermutlich zwei getrennte Anklagepunkte geben auf die ihr euch vorbereiten müsst.«, erklärte Mr. Daniels weiter: »Nummer eins wird die Ermordung von Carl und seinen Kindern sein. Wenn ihr es schafft, alle davon zu überzeugen, dass du, Niel, sie alleine in einen Hinterhalt gelockt hast und dann jeden Einzelnen mit deinem Feuer getötet hast. Könnte das zumindest einen Teil der Unsterblichen überzeugen, die anderen außen vor zu lassen. Ob sie sich davon überzeugen lassen, dass es Notwehr war, sehe ich eher kritisch. Nummer zwei wird die Anklage gegen dich sein, Cara. Du hast gegen die Regeln verstoßen, in dem du dich endgültig verwandelt hast. Wenn du Glück hast, hält dich die Hälfte im Raum für zu jung und belässt es dabei, dass es eine einmalige Jugendsünde war. Ich nehme an, Marces wird alles daran setzen für dich zu sprechen. Ich wäre aber vorsichtig, dass das Ganze nicht nach hinten losgeht. Der Hüter sollte immer eine neutrale Position einnehmen.«, während er dies sagte, schrieb Niel ein paar Stichworte dazu auf den Block. Er wollte nichts vergessen.
»Das Wetter sagt euch ihr sollt euch lieber früher als später Gedanken darüber machen!«, fügte Mr. Daniels an.
Dann verließ er den Raum. Mrs. Daniels folgte ihm. Niel und ich blieben zurück und blickten uns etwas ratlos an.
»Ich wusste nicht, dass das solche Folgen haben würde!«, sagte ich leise.
Niel nickte, als wollte er mir zustimmen: »Wir sollten Mr. Daniels’ Rat befolgen und uns Gedanken machen!«
Ich schüttelte den Kopf: »Das wird mir zu viel!«, und stand auf. Als ich gerade an ihm vorbei gehen wollte, hielt er mich an der Hand fest.
»Ich werde uns beide da heil rausholen!«, sagte er zu mir: »Ich verspreche es dir!«
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