»Wir sind gleich da. Ich werde jetzt zum Landeflug übergehen.«, sagte Niel zu mir. Ich nickte zustimmend und schnallte mich wieder an. Die Landschaft unter uns wurde langsam klarer, als wir durch die Wolkendecke nach unten drangen. Weite Wiesen, Felder, und hier und da ganz vereinzelt mal ein paar Häuser. Genauso wie die Gegend um Naluns Haus. Hier würde uns keiner finden. Der Landeanflug gestaltete sich schwieriger als gedacht. Die Landepiste war nicht sonderlich lang, geschweige denn gut ausgebaut. Nach einem etwas holprigen und rumpligen Aufsetzen rollten wir in Richtung des einzigen Gebäudes. Ein kleines Haus am Rande der Piste. Niel parkte das Flugzeug direkt davor.
»Dann wollen wir mal!«, sagte er zu mir, während er das Cockpit verließ. Ich folgte im nach draußen. Das Wetter war ziemlich trüb. Es regnete leicht und der Wind fuhr durch meine Haare. An dem kleinen Gebäude war ein Schild befestigt – Bantry (Ireland).
»Welcome!«, rief uns ein älterer Mann entgegen. Er trat geradewegs aus dem kleinen Haus.
»Mr. Mores!«, antwortete Niel: »Vielen Dank, für Ihre Hilfe.«
»Kein Problem!«, erwiderte Mr. Mores: »Dort hinten steht mein alter Ford. Die Schlüssel stecken schon und auf der Beifahrerseite liegt eine Karte. Ich habe Ihnen den Standort der kleinen Hütte eingekreist. Ihr Flugzeug werden wir in der Scheune unterstellen. Ich denke, ich habe an alles gedacht, was Sie gesagt haben.«
Niel nickte zufrieden und übergab unser Flugzeug Mr. Mores. Dann brachte er mich zum Auto und bat mich einzusteigen. Bevor er selbst im Auto Platz nahm, sagte er noch zu Mr. Mores: »Es darf keiner erfahren, dass wir hier sind.«
Mr. Mores schmunzelte: »Das klingt wie einsame Flitterwochen!«
Niel schüttelte den Kopf: »Es ist viel komplizierter!«
Dann stieg er zu mir ins Auto und wir fuhren los. Die Karte nahm ich auf den Schoss, während ich Niel aushorchte: »Was wollte Mr. Mores noch?«
»Nichts wichtiges!«, antwortete Niel kurz angebunden und konzentrierte sich auf die Straße. Wenn man den Feldweg, den wir entlang fuhren überhaupt als Straße bezeichnen kann. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Durch das hin und her Geschaukel des Autos wurde mir ganz schlecht.
»Sind wir bald da?«, fragte ich Niel schließlich.
Er reagierte zunächst nicht. Hatte er mich nicht gehört? Ich wollte gerade ansetzen, um noch einmal zu fragen, da deutete er mit dem Finger auf ein kleines Haus in der Ferne.
»Das müsste es sein!«, fügte er an. Ich drehte mich um und sah es schließlich auch. Ein kleines Steinhaus, das sich über zwei Etagen erstreckte. Vor dem Haus war ein Kräutergarten zu sehen, dahinter lag eine Wiese. Ein kleiner Bach durchkreuzte sie und verschwand dann im angrenzenden Wald. Umso näher wir kamen, desto schöner wurde es. Auf den Fensterbrettern standen Blumenkästen mit roten und gelben Blumen. Niel parkte das Auto direkt vor dem Haus.
»Da wären wir!«, sagte er.
»Hübsch!«, antwortete ich, »Aber ganz schön groß für uns zwei!«, scherzte ich.
Niel schüttelte den Kopf: »Es ist kleiner als Marces’ Haus und wir wohnen hier auch nicht allein.«
»Nicht?«, antwortete ich fragend.
»Hier lebt in jedem Haus eine Kobold-Familie. Das ist Tradition und soll Glück bringen.«, erwiderte Niel.
Ich blickte ihn verdutzt an. Was? Kobolde? Ich hatte schon einige Geschichten über Kobolde gehört. Erzählungen, Märchen, dachte ich immer. Sollte es sie wirklich geben?
Niel reagierte nicht auf meine Frage, er ging einfach ins Haus. Ich folgte ihm schließlich etwas irritiert. Durch den offenen Flur gelangte man direkt in einen großen, hellen Raum. Die komplette Südseite war verglast und man konnte von hier aus über die Wiese blicken. Wenn man den Raum betrat, lief man direkt auf einen großen Esstisch zu. Rechter Hand davon lag die offene rustikale Küche. Auf der anderen Seite standen ein großes Sofa und ein Fernseher. Im Flur warteten bereits drei größere Taschen auf uns. Niel lief zunächst in Richtung Küche und bog dann rechts ab in eine Art Arbeitszimmer, das allerdings nur spärlich eingerichtet war. Er stellte eine seiner Taschen darin ab und kam dann zurück.
»Hier drüben ist noch ein kleines Bad. Du kannst es über das Wohnzimmer oder über den Flur betreten. Die Schlafräume sind oben. Komm, ich zeige sie dir!«, sagte er zu mir, bevor er die Treppe im Flur mit den anderen zwei Taschen in der Hand hinauf lief. Als wir oben ankamen, erschien es mir zunächst etwas dunkel.
»Die Aufteilung ist ganz einfach. Hier rechts ist ein kleines Bad, daneben kommt das erste Schlafzimmer, das beziehe ich. Gerade aus zu liegt das zweite, etwas größere. Es hat eine schöne Fensterfront, ebenso wie unten, das kannst du nehmen. Links daneben ist noch eine kleine Schlafkammer und dann kommt das Privatzimmer der Kobolde. Das solltest du nicht betreten. Da sind Kobolde etwas eigen.«, erzählte Niel mir. Ich runzelte die Stirn. Das war irgendwie eigenartig. Kobolde mit uns unter einem Dach. Was waren das wohl für Wesen? Wie sahen sie aus? Wie werden sie wohl sein? Ich dachte abermals an die Geschichten, die ich über Kobolde gelesen hatte. Ob sie wohl in Natura auch so waren? Niel stellte meine Tasche vor meine Zimmertür ab, dann betrat er das Seine. Ich nahm meine Tasche und öffnete die Tür. Die Sonne fiel durch das große Fenster ins Zimmer direkt auf das Bett. Das Zimmer war groß, aber spärlich eingerichtet. Ein Himmelbett, ein kleiner Nachtschrank, eine Kommode und ein Kleiderschrank. Alles aus dickem Holz gefertigt. Ich stellte die Tasche auf die Kommode und ließ mich aufs Bett fallen. Was für ein Tag!
Heute Morgen waren wir noch alle gemeinsam in Jena. Jetzt saß ich auf einmal in einem Landhaus mit Niel und Kobolden fest. In Irland. Meilenweit von zu Hause entfernt. Oh Marces, wo bist du nur? Ich seufzte leise.
»Was hast du denn Liebes?«, fragte mich plötzlich eine leise Stimme.
Ich zuckte erschrocken zusammen: »Was?«
»Ich habe dir doch gesagt, du erschreckst sie!«, sagte eine andere Stimme.
»Hier drüben, Liebes?«, erwiderte die erste Stimme.
Ich richtete mich auf und drehte mich zur Kommode um. Auf ihr standen zwei kleine Wesen. Eine Frau und ein Mann. Nicht viel größer als meine Hand. Die kleine Frau hatte grün-schwarze Augen und langes, rotes, sich kräuselndes Haar. Sie lächelte mich freundlich an, während sie mit den Fingerspitzen ihre helle Schürze auf ihrem grünen Kleid noch ein wenig zu Recht zupfte. Der Mann war etwas größer als sie, dafür aber molliger und kräftiger. Seine Augen waren ebenfalls grün-schwarz. Seine roten, krausseligen Haare hatte er zusammen gebunden. Er blickte etwas mürrisch drein.
»Hallo, Liebes. Ich bin Mrs. Daniels und das ist mein Mann, Mr. Daniels. Willkommen in unserem Haus. Wir hoffen, es gefällt dir hier. Wenn du etwas brauchst, musst du mich nur fragen. Wir haben bestimmt eine schöne Zeit zusammen. Niel hat uns schon so viel von dir erzählt.«, fügte Mrs. Daniels an.
»Wirklich?«, antwortete ich: »Hoffentlich nur Gutes.«
Mrs. Daniels schmunzelte: »Ich denke, wir werden gut zurechtkommen.«
»So nun aber genug der Begrüßung. Ich habe Hunger!«, sagte Mr. Daniels und kletterte prompt die Kommode herunter und verließ durch eine kleine Tür in der Zimmertür das Zimmer.
»Wenn er nicht pünktlich sein Abendessen bekommt, wird er ungenießbar.«, sagte Mrs. Daniels lachend und folgte ihm: »Komm, Liebes!«
Ich folgte ihr nach unten. Mrs. Daniels kletterte über eine Leiter auf die Küchenplatte und fing an allerlei Gemüse zu zerkleinern. Dann warf sie das Gemüse in einen Topf mit Wasser und ließ es köcheln.
»Hmm, wie das duftet. Das wird euch schmecken. Nach so einem langem Flug braucht ihr etwas Ordentliches zu Essen!«, erzählte Mrs. Daniels nebenbei.
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