»Ja.«, sagte er zu mir, dann wandte er sich Nalun zu: »Wo ist er eigentlich?«
»Wo wohl!?«, antwortete Nalun lachend: »Auf dem Meer fischen. Er liebt es. Dein Besuch wird ihn sehr freuen.«
»Wir können leider nicht lange bleiben!«, erwiderte Niel. Nalun trat schließlich mit etwas Gebäck und mehreren Tassen Kakao sowie Tee zu uns.
»Nehmt euch, was ihr möchtet.«, sagte sie, während sie sich setzte. Emma schnappte sich sofort ein paar Kekse und die größte Tasse Schokolade. Ihre anfängliche Scheu gegenüber Nalun war bei dem Anblick der Leckereien wie verflogen. Ich setzte mich neben Niel.
Nalun nahm einen Schluck Tee: »Ihr könnt nicht lange bleiben? Das klingt, als seid ihr auf der Flucht vor etwas.«
»Vor dem Gericht, um genau zu sein.«, antwortete Niel.
»So, so. Noch jemand. Dann sind wir ja schon fünf.«, Nalun blickte zu Emma: »Ihretwegen?«
Niel schüttelte den Kopf: »Nein. Das waren wir nicht.«
Er holte tief Luft: »Das war Carl. Er wollte sie benutzen, um unsere Drachenmütter zu bändigen. Wir mussten ihn töten, um Schlimmeres zu verhindern.«
»Du bist wegen Mordes angeklagt?«, Nalun zuckte erschrocken zusammen, sie hätte beinahe ihre Tasse fallen lassen: »Das ist nicht dein Ernst?!«
Niel verzog das Gesicht: »Was hätten wir denn tun sollen? Einfach zu sehen?«
»Mag sein, dass du es für das Richtige hältst. Aber dann kannst du nicht einfach hier herkommen. Man wird dich überall suchen.« Nalun machte ein sehr ernstes und nachdenkliches Gesicht.
Niel nickte: »Ich weiß. Aber es ist alles geregelt. Keiner wird jemals erfahren, dass wir hier waren. Cara und ich fliegen weiter nach Irland. Ich möchte dich nur bitten, Emma bei dir zu behalten.«
Emma kam sofort zu mir und sah mich fragend an. Ich versuchte stark zu sein, drückte sie fest an mich und gab ihr einen Kuss auf den Kopf.
»Du musst jetzt stark sein. Wir wollen nur das Beste für dich. Bitte, glaub mir!«, flüsterte ich ihr ins Ohr. Emma drückte sich daraufhin fester in meine Arme und nickte, als wollte sie mir zu verstehen geben, dass sie stark sein werde. Ich seufzte leise. Nalun schwieg zunächst. Sie überlegte sichtlich verunsichert, bevor sie schließlich leise antwortete: »Gut. Sie kann hier bleiben.«
»Wir wollen keine Umstände...«, setzte ich an.
»Nein«, erwiderte Nalun daraufhin: »So war das nicht gemeint. Ich freue mich wenn sie hier bleibt. Wir machen das schon.«, dann wandte sie sich Emma zu: »Wir machen lauter verrückte Sachen und ich bringe dir ein paar Dinge über uns Vampire bei. Was hältst du davon wenn du dir schon mal dein Zimmer ankuckst?«
Emma zögerte. Sie war hin- und hergerissen zwischen Unsicherheit und Neugier.
»Die Treppe rauf und dann rechts. Du hast das Zimmer mit der besten Aussicht. Direkt aufs Meer. Wenn du genau hinsiehst, kannst du vielleicht auch Xervas auf seinem Boot sehen.«, fügte Nalun an.
Woraufhin Emma schließlich doch nach oben rannte. Das wollte sie natürlich sehen.
»Ich wusste, dass ihr euch gut verstehen werdet.«, sagte Niel zufrieden.
Nalun schmunzelte kurz: »Aber dir ist klar, dass du nicht ewig vor dem Gericht weglaufen kannst.«
»Das habe ich auch nicht vor!«, antwortete Niel.
»Was willst du tun?«, hakte Nalun nach.
Woraufhin Niel anfügte: »Ich will es nur ein wenig hinauszögern. Bis Danny es geschafft hat ein Konzil einzuberufen.«
»Verstehe.«, erwiderte Nalun: »Dann kannst du es erklären und erhältst vielleicht ein milderes Urteil. Und was ist mit dir, Cara?«
»Ich bin illegal!«, polterte es aus mir heraus. Was hätte, ich auch anderes erwidern sollen? Nalun runzelte die Stirn.
»Sie ist ein Drachenkind, wie ich«, erklärte Niel: »Was laut Gesetz ja verboten ist.«
»Oh«, antwortete Nalun: »Ist ja scheinbar einiges passiert, seitdem wir uns von der unsterblichen Welt abgekapselt haben.« Niel seufzte leise. Als wollte er sagen – Oh ja.
»Ich werde Xervas alles erklären. Er wird nicht begeistert sein, aber wir kriegen das schon hin. Ihr solltet weiter. Ich hoffe, dass dein Plan funktioniert.«, fügte sie an.
Niel erhob sich daraufhin und ging zur Tür: »Ich hole nur noch Emmas Sachen aus dem Auto. Es ist nicht viel. Vielleicht kannst du noch ein paar Dinge besorgen.« Nalun nickte zustimmend.
»Ich möchte Emma noch Tschüss sagen.«, erklärte ich den beiden und lief nach oben. Emma saß am Fenster in ihrem neuen Zimmer und blickte auf das Meer hinaus. »Hey, kleine Maus. Wir müssen jetzt gehen. Ich habe dich lieb.«, sagte ich zu ihr und nahm sie in den Arm. Ich wollte sie nicht verlieren. Aber es war besser so. Für sie. Für uns. Für alle. Das musste ich mir immer wieder sagen. Dann liefen wir zusammen nach unten, wo sie Niel um den Hals fiel. Er verabschiedete sich von ihr, während mir Nalun noch ein paar Kleinigkeiten mitgab. Es fiel mir nicht leicht Emma dort zu lassen, aber sie war bei Nalun sicherer als bei uns. Vielleicht konnte sie dort endlich wieder ein Kind sein. Carl hatte ihr viel zu viel von ihrer Kindheit geraubt.
Niel und ich fuhren schweigend zurück zum Flughafen. Meine Gedanken kreisten weiter um Emma. Würde ich sie jemals wiedersehen? Was, wenn man uns bereits verfolgte? Hatten wir Nalun und Xervas ebenso in Gefahr gebracht wie uns? Was war aus meinem einfachen Leben, meinem Studentendasein geworden? Als Niel auf den Flugplatz einbog, holte er tief Luft. Die Maschine stand noch an demselben Platz wie vorher. Keine Menschenseele weit und breit. Nicht einmal der Lotse war zu sehen. Niel parkte das Auto. Wir stiegen aus und ich betrat abermals das Flugzeug. Niel ließ den Schlüssel im Auto stecken in der Hoffnung, dass der Lotse irgendwo in der Nähe war. Dann startete er die Maschinen und wir flogen weiter.
Wer seinen Weg nicht mehr findet,
muss Freunde danach fragen.
(Nalun)
Die Tür knarrte laut, als sie aufging. Die Drachen saßen versammelt um den Tisch im Esszimmer. Sie ahnten, was auf sie zukam. Sie wussten, was geschehen würde. Es war nur eine Frage des »Wie«.
Partu trat als Erster ins Haus. Er sagte nichts. Marces folgte ihm mit finsterer Miene. Danny lief ihm sofort entgegen und versuchte Marces die Hand zu geben, um ihn zu begrüßen, aber Marces reagierte nicht. Er trat an ihm vorbei ins Esszimmer.
»Wo ist Cara?«, fragte er mit energischer Stimme.
Alle zuckten zusammen. Jeder von ihnen konnte spüren, dass Marces keine lange Erklärung wollte. Ein Wort. Ein Ort. Sonst nichts. Danny trat nach Marces zurück in den Raum. Er deutete allen an Ruhe zu bewahren.
Aber Osiris war anderer Meinung: »Wir wissen es nicht! Ehrlich!«
Marces verzog das Gesicht: »Wo ist sie?«
»Ehrlich. Ich habe keine Ahnung, wo er sie hingebracht hat. Wir haben nichts mit der ganzen Sache zu tun!«, antwortete Osiris erneut.
Marces schlug daraufhin mit der Faust auf den Tisch: »Wo ist sie?«
Tara und Kira schraken zusammen. So aufgebracht und wütend hatten sie Marces noch nie erlebt. Tara lief ein kalter Schauer über den Rücken. Osiris wollte abermals etwas erwidern, aber Danny fuhr ihm ins Wort: »Sie ist bei ihm! Das ist alles, was wir dir sagen können.«
Marces schüttelte den Kopf: »Ihr vertraut mir nicht.«
Er machte eine kurze Pause: »Ich euch auch nicht. Habe ich nie und werde ich nie. Ich glaube euch kein Wort. Natürlich ist sie bei ihm. Was denkt ihr eigentlich habe ich die ganze Zeit gemacht? Däumchen gedreht? Ich weiß, was hier passiert ist. Ich weiß, was ihr getan habt und ich weiß verdammt noch Mal, was heute zwischen Lilly und euch vorgefallen ist. Also fängt jetzt verdammt noch einmal jemand an zu reden!«
Danny schüttelte den Kopf: »Tut mir leid. Wie du schon gesagt hast. Nicht alle von uns vertrauen dir. Niel ist heute Morgen mit Cara und Emma geflohen. Wir hatten weder die Chance ihn aufzuhalten, noch wissen wir, wo sie jetzt sind. Wir bitten dich beim Gericht ein gutes Wort für ihn einzulegen, weil wir glauben, dass er nur zurückkommen wird, wenn es ein Konzil gibt.«
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