»Sie sind schneller, als ich dachte!«, antwortete Niel.
Im selben Moment liefen Tara und ich wieder hinunter zu den anderen. Zu meiner Überraschung hatten sich die anderen bereits alle wieder unten versammelt und zurückverwandelt. Elen, Danny und Le hatten sich bereits umgezogen. Kira und Osiris trugen wie immer noch ihre Schuppen-Klamotten. Niel seltsamerweise auch. Er stand sichtlich angespannt im Flur und unterhielt sich mit Danny und Osiris. Kira, Elen, Le und Emma saßen im Esszimmer.
Als Niel uns bemerkte, reagierte er sofort: »Geht bitte ins Esszimmer!«
»Wieso?«, hakte ich nach.
Tara und ich standen noch immer auf der Treppe.
»Tut, was ich sage!«, antwortete Niel energisch.
Er wollte noch etwas anfügen, aber die Türklingel unterbrach ihn. Alle starrten auf die Tür.
Ich hoffte inständig, dass es Marces war oder Partu mit einer Nachricht. Niel gab Osiris ein Zeichen, die Tür zu öffnen. Die Tür quietschte laut und da stand sie.
»Lilly!«, flüsterte ich erschrocken.
»Das wird ein Nachspiel haben!«, sagte sie wütend.
Dann trat sie energisch mit drei Begleitern in den Flur und stieß dabei Osiris unsanft zur Seite.
»Wer bist du? Und was willst du hier?«, fragte Niel energisch, während er sich ihr entschlossen entgegenstellte.
Lilly lachte laut: »Ich bin Lilly. Die zweite Stellvertreterin des Hüters und Mitglied des Gerichts der Unsterblichen. Eure Taten werden nicht ungestraft bleiben.«
»Was wirft man uns vor?«, erwiderte Niel.
»Ihr habt Carl und seine Kinder getötet und da steht der Beweis!«, sagte sie und deutete auf das Schwert.
Woraufhin es einer ihrer Begleiter sofort an sich nahm.
»Ich ganz allein habe das zu verantworten. Sonst keiner!«, rief Niel sofort.
Lilly runzelte die Stirn: »Du übernimmst die volle Verantwortung für diese Morde?«
Niel nickte: »Ja. Ich habe sie getötet. Alle samt. Sonst war keiner beteiligt.«
Daraufhin lachte Lilly laut: »Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Aber gut, ich verschone die anderen. Bis zum Prozess wirst du für sie alle ins Gefängnis wandern.«
Niel antwortete nicht. Er wusste, jedes Widerwort würde die anderen in Gefahr bringen.
»Was ist mit Emma?«, hakte Danny nach.
Lilly blickte an ihm vorbei ins Esszimmer: »Die Kleine nehme ich auch mit. Die königliche Vampirfamilie wird sich um sie kümmern. Ich hoffe, sie hat einen Nutzen für sie. Ansonsten …«
Sie ließ den Satz unbeendet und grinste stattdessen höhnisch. Keiner von uns mochte sich vorstellen, was sie mit ihr machen würden. Osiris wollte daraufhin etwas erwidern, aber Danny hielt ihn sofort zurück.
Er gab ihm zu verstehen, dass er besser den Mund hielt.
»Und weil wir gerade dabei sind.«, fügte Lilly plötzlich an: »Dich nehme ich auch mit, Cara.«
»Was?«, Tara sah mich entsetzt an.
»Wieso?«, erwiderte ich wütend.
»Weil du gegen das Gesetz verstoßen hast, Drache!«, antwortete Lilly mir mit einem schadenfrohen Unterton.
Wer hätte gedacht, dass sie mich einmal einsperren durfte. Sie schien Gefallen an dem Gedanken gefunden zu haben.
»Aber Marces hat gesagt …«, entgegnete Osiris.
Lilly ließ sich nicht davon abbringen und unterbrach ihn: »Befehl ist Befehl! Das Gericht wird entscheiden!«
»Ich wusste es!«, antwortete Niel und schüttelte den Kopf. Lilly wog sich bereits in Sicherheit.
Keiner von uns schien sich gegen die Festnahme zu wehren. Bis jetzt. Im selben Moment wandte sich Niel mit einer abfälligen Handgeste von ihr ab, um ins Esszimmer zu gehen und Emma zu holen. Doch dann wirbelte er sichtlich entschlossen herum, packte erst Lilly, dann ihre drei Begleiter an den Schultern und ließ sie gemeinsam zu einem großen Eisblock erstarren.
»Das wird nicht lange halten! Tara, du gehst zu den anderen ins Esszimmer. Cara, du kommst mit mir.«, rief er uns zu, während er mit dem Rucksack in der Hand ins Esszimmer lief.
»Was hast du vor?«, hakte ich nach, während ich ihm folgte.
»Ich bringe euch in Sicherheit. Emma, komm zu mir!«, antwortete er, ohne sich zu mir umzudrehen. Er setzte Emma den Rucksack auf.
Kira nahm mich in den Arm: »Vertrau ihm.«
Ich blickte sie verwundert an. Was hatte er vor? Was sollte das werden?
»Wenn Marces die Sache mit dir geregelt hat, sag ich ihm, wo du bist.«, fügte Danny an.
Dann packte mich Niel an der Hand und zog mich nach draußen. Emma hatte er bereits Huckepack genommen.
»Viel Glück!«, riefen uns Kira und Danny hinterher.
Ich hatte keine Zeit mehr darüber nachzudenken, ob ich das Richtige tat. Ich lief einfach nur. Mitten durch den Wald. In einer rasenden Geschwindigkeit vorbei an den Bäumen und Sträuchern.
Einfach neben Niel her, der meine Hand nicht losließ. Er sagte nichts. Aber seine Anspannung war ihm ins Gesicht geschrieben. Nur weg von hier. Weit weg. Wo uns keiner finden konnte. Ich denke, dass waren seine Gedanken.
»Halt!«, sagte ich und blieb einen kurzen Moment stehen: »Ich brauche eine Pause.«
Niel schaute mich an. Er sagte nichts, nickte aber kurz und blickte sich derweil um. Meine Hand ließ er immer noch nicht los.
»Glaubst du, sie folgen uns?«, flüsterte Emma leise.
Niel lauschte in die Ferne: »Ich bin mir nicht sicher.«
Er drehte sich zu mir: »Wir müssen weiter!«
Ich holte tief Luft: »Wo sollen wir denn hin?«
»Vertrau mir, bitte! Ich weiß, wo wir sicher sind!«, antwortete er. Emma klammerte sich fester an ihn, womit sie ihr vollstes Vertrauen zu ihm ausdrückte. Ich zögerte. Eigentlich wollte ich nur noch zu Marces. Aber der war nicht da. Er hatte mich allein gelassen. Was sollte nun werden? Was sollte ich tun? Niel drückte meine Hand an seine Brust: »Bitte! Vertrau mir!«
Ich nickte schließlich. Irgendetwas sagte mir, dass ich ihm vertrauen sollte. Wir liefen also weiter. Durch den Wald hinunter in die Stadt. Niel blickte sich immer wieder unauffällig um. Er wollte kein Risiko eingehen. An jeder Ecke könnten sie lauern und nach uns suchen.
»Wartet kurz!«, Niel blieb am Durchgang zwischen dem Campus-Gelände und der Straße zum großen Eichplatz stehen.
»Was hast du?«, fragte ich ihn, während ich mich nervös zu allen Seiten umblickte.
»Nichts. Es ist keiner zu sehen.«, antwortete er, als er sich zu mir umdrehte: »Wir müssen uns jetzt beeilen. Verstanden. Wir gehen so schnell wir können die Straße hinunter, steigen dort in ein Taxi und fahren zum Flugplatz. Ich bringe uns von hier weg. Habt keine Angst!«
»Ich habe keine Angst!«, erwiderte Emma.
»Natürlich nicht!«, fügte er schmunzelnd an: »Fertig?«
»Fertig!« erwiderten wir gleichzeitig.
Dann liefen wir so schnell wir konnten die Straße entlang, hinunter zu den Taxis. Dort angekommen setzte Niel Emma wieder ab und während er mit dem Fahrer sprach, nahmen sie und ich hinten im Auto Platz. Niel setzte sich dann nach vorn. Er deutete dem Fahrer an sich zu beeilen. Dafür würde er eine kleine extra Belohnung erhalten. Die er natürlich unbedingt haben wollte. Wir brauchten dementsprechend auch keine fünfzehn Minuten, bis wir am Flughafen waren. Die Maschine stand bereits auf dem Rollfeld zum Start bereit.
Ein Mitarbeiter lief uns entgegen: »Es ist alles vorbereitet.« Niel bezahlte unser Taxi, während Emma und ich bereits ins Flugzeug einstiegen.
Emma war sichtlich erstaunt: »Wow! Ist der ganze Platz nur für uns?«
Ich schmunzelte sie an: »Ja. Das ist alles für uns. Du kannst also alle Plätze ausprobieren, wenn du möchtest.« Emma grinste mich an: »Toll!«
Dann hüpfte sie quasi auf einen der Plätze.
Niel trat wenig später ins Flugzeug: »Ok. Ich habe alles vorbereitet. Wir kriegen gleich die Startfreigabe. Ich werde mich dann mal ins Cockpit verziehen. Wenn ihr wollt, könnt ihr mir nachher Gesellschaft leisten.«
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