Wer es heute noch nicht glaubt, wird es schon noch begreifen. Wir werden sehen.
Eingedenk dessen, dass die Momente des Erlebens nie oder selten Momente des Verstehens sind, möchte ich diese Erinnerungen nicht nachträglich ausstatten mit logischen Begründungen, Berechenbarkeiten und der Unausweichlichkeit Fehler zu beschönigen und meine ehemaligen Genossen verdammen, wie es der Zeitgeist der heute Mächtigen verlangt.
Diese, meine Zeilen erheben auch nicht den Anspruch auf die absolute Wahrheit, wie wir sie bisher kannten. Es sind Erinnerungen eines Menschen, einer Familie, teils Legenden, die nicht ein Merk- und Denkzettel für hunderttausende andere Menschen sein können oder sollen.
Frühere Aufzeichnungen sind nicht vorhanden. Militärische Daten durften für private Zwecke nicht aufgezeichnet werden und bei den Wertungen wurden die verwendet, die in der beschriebenen Zeit zu den jeweiligen Entschlüssen und Entscheidungen führten.
Im Osten nichts Neues? Oh doch, es entstand eine andere, eine neue Welt, eine kleine Insel - die Sowjetische Besatzungszone, ab 1949 die Deutsche Demokratische Republik. Es war der Versuch einer Alternative zum kapitalistischen Deutschland, von dem im 20. Jahrhundert zwei furchtbare Kriege ausgingen.
Das alte, faschistische Deutsche Reich ist vernichtet. Das neue Deutschland wird entstehen:
14.25 Uhr, am 30. April 1945, hissen zwei Sowjetsoldaten das rote Siegesbanner über den deutschen Reichstag in Berlin. Die 8. Gardearmee des Generalobersten Tschuikow vernichtet die letzten Widerstandsnester der faschistischen Truppen.
8. Mai 1945 unterzeichnet Feldmarschall Keitel mit weiteren Generalen des faschistischen Oberkommandos im Stab der sowjetischen Truppen in Berlin - Karlshorst die bedingungslose Kapitulation Deutschlands gegenüber der Sowjetunion, deren Vertreter u.a. Marschall Schukow war.
Ende Juni beginnt man in den Städten und Dörfern Ostdeutschlands mit der Bildung antifaschistischer Jugendausschüsse, in denen demokratisch denkende junge Menschen aller politischen Richtungen und Weltanschauungen zusammenarbeiten.
Am 14. Juli 1945 schließen sich die vier Parteien Ostdeutschlands (SPD, KPD, CDU, LDPD) zum antifaschistisch - demokratischen Block zusammen.
Am 2. August 1945 unterzeichnen die Regierungschefs der UdSSR, der USA und Englands das Potsdamer Abkommen, welches später nur von der UdSSR eingehalten wird.
Im September des gleichen Jahres beginnt die demokratische Bodenreform. 22 Millionen Hektar Land werden den, großteils an der Machtausübung im faschistischen Deutschland beteiligten, Großgrundbesitzern und Junkern genommen und an arme Landarbeiter, Kleinbauern und vor allem an Umsiedler vergeben.
Der 7. März 1945 wird zum Gründungstag der FDJ, die als einheitliche antifaschistische - demokratische Massenorganisation die Interessen der jungen Generation vertritt.

FDJ-Mitgliedskarte aus diesen Tagen
Am 21./22. April 1946 schließen sich 605.000 SPD-Mitglieder und 600.000 Kommunisten zur SED zusammen, die dann später von den Kommunisten dominiert wird. (Westliche "SPD-Genossen", Schumacher-Anhänger, werden sie als Zwangsvereinigung bezeichnen.) Die Spaltung der Arbeiter, eine der Ursachen der faschistischen Machtübernahme von 1933 wurde beseitigt.
Vaters SPD-Ausweis

MANIFEST
Beim Volksentscheid in Sachsen, am 30. Juni 1945 stimmten 77,6 % der Wähler für die entschädigungslose Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher und der Überführung deren Besitztümer in Volkseigentum.
In Hessen stimmten 71,9 % auch dafür, aber die Besitzverhältnisse wurden nicht angetastet, weil die Besatzungsmacht das deutsche Kapital schützte.
Seit der Angliederung der DDR an die BRD verkleistern uns die bürgerlichen Ideologen mit Begriffen wie Vernichtung und Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten. Sie meinen dabei nicht die Taten der deutschen Kriegsmaschinerie, sondern die Gräueltaten der Sowjetarmee bzw. die Umsetzung der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz zu den künftigen Grenzen Deutschlands.
Durch deutsche Soldaten und die folgenden Besatzer wurden in der Sowjetunion cirka 1.700 Städte und 70.000 Ortschaften total zerstört, große Teile der Zivilbevölkerung gemordet und 25 Millionen Obdachlose hinterlassen. Etwa 1.650 Kirchen, 520 Synagogen und 425 Museen wurden zerstört bzw. beschädigt oder geplündert.
In deutscherHand waren unter Anderem ca. 5 Millionen sowjetische Soldaten als Kriegsgefangene, von denen etwa 3 Millionen, der von den höchsten Kreisen der politischen und militärischen befohlenen Vernichtungspolitik zum Opfer fielen. Beispiel: Am 7. Oktober 1941 kam der erste Güterzug mit sowjetischen Kriegsgefangenen in Auschwitz an. Insgesamt waren es an diesem Ort der Vernichtung 13.775 Mann. Am 7. Januar 1945 beim letzten Appell vor der Befreiung waren es noch 92 Mann.
Nicht nur die SS, sondern auch Polizei, SD und Wehrmacht, deren erstes KZ im September 1941 in Serbien errichtet wurde (25.000 Insassen - siehe Analyse Balkankrieg f.f.), folgten willfährig diese Vernichtungsstrategie.
Unter den Begriffen der "Aussonderung" und "Sonderbehandlung" wurden große Personengruppen, wie z.B. kommunistische Offiziere und jüdische Soldaten an Ort und Stelle erschossen. Verpflegungssätze unterhalb des Existenzminimums für alle Kriegsgefangenen, tödliche Unterkunftsbedingungen (unter freiem Himmel, Erdhöhlen, kalte Baracken), fehlende medizinische Versorgung und unzumutbare hygienische Bedingungen forderten zahllose Opfer. Ab 1942 verfolgten die faschistische Führungskaste und ihre Handlanger die Strategie "der Vernichtung durch Arbeit", um den Profit der deutschen Industrie durch unmenschliche Ausbeutung der Kriegsgefangenen zu steigern.
In sowjetischer Hand befanden sich annähernd 3,5 Millionen deutscher Kriegsgefangene in rund 2.000 Lagern. Deren hohe Sterberate beruhte weder auf eine Vernichtungsstrategie, noch auf eine gezielte rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskraft. Sie war Folge einerseits der Kriegsschäden, die durch die deutsche Wehrmacht selbst verursacht und anderseits zweier Missernten (1946 und 1947). Insgesamt starben in sowjetischen Kriegsgefangenlagern etwa 357.000 Mann. Im Lager Beketowka, wo die Überlebenden der 6. Armee, die bei Stalingrad vernichtet wurde, zusammengeführt wurden, verstarben 42.000 von 52.000 Mann. Also doch Vernichtung? Nein! Der Grund dafür war, dass aufgrund Befehle deutscher Vorgesetzter bereits eine Woche vor der Kapitulation an Verwundete keine Verpflegung mehr ausgegeben wurde und kampffähigen Soldaten nur noch 75 Gramm Brot, 12 Gramm Fett und 200 Gramm Fleisch ausgegeben wurde. Im Gegensatz dazu erlebten deutsche Kriegsgefangene, dass sie von der sowjetischen Bevölkerung um ein Stück Brot gebeten wurden, weil die Zuteilung für Kriegsgefangene besser war, als die von Teilen der Zivilbevölkerung!!! Wie auch Frankreich und Belgien vertrat die sowjetische Seite die Ansicht, deutsche Kriegsgefangene für Wiederaufbauarbeiten einzusetzen. Aus diesem Grund befanden sich die Lager vor allem in den Ballungsgebieten der Industrie Russlands, der Ukraine, Belorusslands und des Baltikums. Die bis heute gehegte und gepflegte Mär von den "Schweigelagern" im fernen Sibirien stimmt also nicht, wenn es auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass einzelne Gefangene in Sibirien Wiedergutmachung leisten mussten. Individuell motivierte Übergriffe forderten ebenfalls Opfer unter den Kriegsgefangenen, was hier nicht verschwiegen werden soll. Wiederholt hörte ich in meiner Kindheit und Jugendzeit von Männern die an der Ostfront eingesetzt und in sowjetischer Kriegsgefangenschaft waren: „Wenn der Russe Gleiches mit Gleichem vergolten hätte, niemand hätte uns beigestanden.“ Kriegsbilder, Filme und einschlägige Literatur sowie oben genannter Ausspruch, lassen mir die damals sicher vorhandenen Rachegefühle von Angehörigen der siegreichen Roten Armee durchaus verständlich erscheinen. Mir wird speiübel, wenn mir heute noch in den Medien, und das immer wieder, der grinsende smarte GI und das hassverzerrte Gesicht eines rachedurstigen Russen als Sieger des II. Weltkrieges vorgeführt werden. Dem gebetsmühlenartigen Erinnern an die Gräueltaten sowjetischer Soldaten und das Verschweigen der Untaten der westlichen Alliierten ist doch Methode der Geschichtsaufarbeitung dieses Landes. In welchem Film sieht man heute die Leiden deutscher Kriegsgefangener in den Lagern der Westalliierten, unter freiem Himmel ohne ausreichende Verpflegung bei miserablen hygienischen Bedingungen z.B. in den Rheinwiesen, wie sie mein Onkel H. erlebt hatte. Dafür wird mir ständig in die Ohren geblasen: „Die Russen mordeten, plünderten, vergewaltigten… .“ Als ich begann mein Umfeld zu verstehen, erzählte mir mein Großvater: Es war fast zwei Jahre nach dem furchtbarsten Gemetzel in der Geschichte der Menschheit, in einem der kältesten Winter dieses Jahrhunderts, als ich, als sein erster und einzigster Enkel, im Anhaltinischen der Sowjetischen Besatzungszone das Licht dieser Welt erblickte. Den ersten Kontakt mit Fremden hatte ich bereits nach wenigen Stunden meines Erdendaseins, denn ich musste, wegen Platzmangels, mein Bett mit einem russischen Mädchen teilen, welches unmittelbar nach mir auf diese Welt kam. Vielleicht ist das der Grund meiner Einstellung, dass das Blut aller Menschen rot ist und nicht die Rasse oder Hautfarbe über gut oder böse, wertvoll oder minderwertig entscheidet. Einzig und allein sollte jeder Mensch nach seinem Verhalten zu seinen Mitmenschen, zur Natur und zu sich selbst bewertet werden.
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